«Ich gebe dem Unfertigen eine Plattform»

Sein Atelier auf dem nt/Areal wird demnächst abgerissen. Noch ein Ort weniger, wo sich die Dinge spontan entwickeln können. In seiner Kunst hält Martin Chramosta dagegen und stellt das Unfertige auf den Sockel.

Martin Chramosta in seinem Atelier: «Das einzige, was noch subversiv ist, ist das Normale.» (Bild: Livio Marc Stoeckli)

Sein Atelier auf dem nt/Areal wird demnächst abgerissen. Noch ein Ort weniger, wo sich die Dinge spontan entwickeln können. In seiner Kunst hält Martin Chramosta dagegen und stellt das Unfertige auf den Sockel.

Ein feiner Parfumduft umgibt Martin Chramosta (31), als er uns am Morgen in seinem Atelier im ehemaligen Ausstellungsraum «Schwarzwaldallee» auf dem nt/Areal empfängt. Auch die Kleidung ist gewählt. Am Hinterkopf hat er einen kleinen weissen Fleck gefärbt. Ob das Zufall ist oder ein Markenzeichen im Understatement-Format? Wir vergessen zu fragen und setzen uns stattdessen auf die improvisierte Holzterrasse vor dem Atelier.

Die Sonne fällt schräg in die von der Nacht noch eiskalte Luft, vor uns liegt die letzte Brache des nt/Areals, dahinter fluten die Neubauten heran. Wahnsinnsstimmung. Wir sitzen genau auf der Schwelle zwischen dem letzten Raum, der unkontrolliert gewachsen ist, und systematischer Überbauung. Auch Chramosta muss sein Atelier räumen, schon im Mai zügelt er aufs Kasernenareal.

Die Kunst hat die Chance, dass man die Sachen nicht fertig machen muss.

Will eigentlich eine Mehrheit die Bereinigung des Stadtraumes? Will sie wirklich? Oder stehen dahinter nur wirtschaftliche Interessen? «Ich glaube schon», sagt Chramosta. Die Kunst jedenfalls lebt schon lange etwas anderes vor. Vielleicht aus der Haltung des Widerstandes heraus. Sie behauptet das Unfertige, das Aufbrechende, das Unvorhergesehene. Schnell stossen wir im Gespräch auf diesen Aspekt in Chramostas Arbeit.

Wenn der Abfall zum Werk wird

Zum Beispiel als er mit einem Stipendium in der Tasche nach Montreal reiste, um dort ein halbes Jahr zu arbeiten. Bei seiner Ankunft hatte Chramosta kein soziales Umfeld, keine sonstigen Verpflichtungen, nur das Atelier. Er durchstreifte die Stadt und schaute sich um: Was ist hier passiert, wer hat hier gesiedelt? Wie klingt die Sprache, was machen die Leute?

Sein Blick blieb an der Architektur hängen. Obwohl die Stadt für amerikanische Verhältnisse alt ist, gibt es viele Gebäude, die auf europäisch machen. «Das soll kulturelle Verankerung suggerieren, dabei sind die Fassaden auf billige und requisitenartige Weise gebaut.» Das amüsierte ihn, und er beschloss, sie aus Plastilin en miniature nachzubauen. Das überschüssige Material formte er zu Klumpen und liess sie rumliegen. Irgendwann fiel ihm auf, dass sie eigentlich viel interessanter sind als die nachgebauten Fassaden. «Das sind Klumpen aus Müll, Schrott eigentlich. Aber darum gehts. Die Kunst hat die Chance, dass man die Sachen nicht fertig machen muss. Plötzlich entsteht aus dem Rest das fertige Werk.»

Anders funktioniert die grosse Arbeit «Opera», mit der Chramosta zurzeit drei Räume im Kunsthaus Baselland bespielt. Für den Wettbewerb um die «Solo-Position» musste er ein fertiges Konzept einreichen, dann blieben ihm sechs Wochen zur Umsetzung. Mit Ausprobieren und Zufälle geschehen Lassen war da nichts. «Ich fühlte mich eher als Architekt oder Innenausstatter», sagt er. Doch auch hier: An die Wände kopierte Chramosta in grossem Format Entwürfe aus seinen Skizzenbüchern. Sie sind Abfall, Beiwerk. Darüber hängen in Bilderrahmen fragmentarische Dramentexte, die er geschrieben hat. Sehr unterhaltsam übrigens, etwa diese Regieanweisung: «Eine schamanisch angemalte Frau spielt mit zwei grossen Knochen Schlagzeug: Menschenfresser-Galeeren-Rhythm: Bum Bum Bum Bum».

Normalität – die letzte Bastion des Widerstands

Die Texte sind zwar konzipiert, doch von vornherein Ausschnitt. «Vielleicht ist dort – wenn wir nochmal ins Politische kommen wollen – wirklich ein Widerstandsmoment. Ich gebe dem Unfertigen eine Plattform und hebe es auf den Sockel.»

Chramostas Widerstand äussert sich nicht in Wut, eher in Verwunderung. Bei den jungen Leuten bemerkt er, dass Karriere und Stromlinienförmigkeit wieder en vogue sind. «In den 90ern hat eher ein grungiges Rumhängen den Ton angegeben, ein Losertum.» Dann fragt er uns, ob wir schon mal was von Normcore gehört haben. Das sei jetzt der neue Trend. «Alles Schrille und Auffällige ist korrumpiert, also versucht man, so normal wie möglich auszusehen. Das ist vielleicht die letzte Bastion des Widerstands.»

Chramosta diskutiert gern über die Entstehung von Kunst. Keine muffeligen Abfertigungen wie: «Das entsteht halt!» Als wir den Abschied einleiten, ist er sogar besorgt. «Reicht das denn für ein Porträt?» Stattdessen wollen wir lieber noch was Persönliches hören, für die Atmo. Hobbys, Herr Chramosta? Er nimmt eine Heidistimme an: «Also schwimmen, wandern.» Ist sogar die Wahrheit, sagt er.

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Ernte & Solo-Position, bis 4. Mai 2014, Kunsthaus Baselland, St. Jakob-Strasse 170, Muttenz

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