Am 11. April kommt Sally Potters Film «Ginger and Rosa» um die turbulente Freundschaft von zwei 17-jährigen zur Zeit der Kubakrise in die Kinos. Am Tag zuvor trafen wir die britische Regisseurin im Unternehmen Mitte.
Wir treffen Sally Potter zwischen dicht geschachtelten Terminen auf ein Gespräch in der Nonfumare-Bar. Die 64-jährige Dame aus England mit der feinen und ruhigen Stimme ist zur Vorpremiere ihres neuen Films «Ginger and Rosa» nach Basel gekommen. «Mich hat ein Film über zwei Teenager in den 60er Jahren sehr interessiert. Sowie die Mädchen dabei sind, erwachsen zu werden, wird die Welt in dieser Zeit erwachsen.»
Sally Potter ist für teils sehr experimentelle Filme mit den besten Besetzungen aus Hollywood bekannt, darunter «Orlando» (1992), «The Tango Lesson» (1997), «Rage» (2009)
Frau Potter, für Ihre Filme schreiben Sie, spielen, tanzen, führen Regie und komponieren. Reicht das Medium aus für all diese Interessen?
Gespielt und getanzt habe ich nur in «Rage», abgesehen davon bin ich Schriftstellerin und Regisseurin. Aber als Regisseurin bin ich in jedem Aspekt involviert. Film ist ein gemischtes Medium.
Filme machen bedeutet, in all diesen Kunstformen zu arbeiten?
In allen und in keiner. Man arbeitet durch die Arbeit von anderen. Ich bin auf seltsame Weise im Zentrum von allem und kontrolliere das letztendliche Bild, aber ich mache es eigentlich nicht. Man legt nicht wirklich Hand an, sondern bringt die Anderen dazu, ins Bild zu treten.
Vermissen Sie etwas?
Ich habe Arbeit mit Händen sehr gern, deswegen mag ich auch das Schreiben. Daneben vermisse ich manchmal das performen, ja. Aber ich liebe dieses eigenartige Geschäft, aus nichts ein Bild zu machen. Und am Ende hat man es – irgendwie – hingekriegt, eine Welt zu erschaffen. Es ist keine Handarbeit im wörtlichen Sinn, aber man hat seine Hände in allem, man ist der Geist, der alles zusammen hält. Ich liebe es. Film ist umfassend, Film ist gross.
Ihre Filme haben sehr verschiedene Themen: Tanz, Macht, Dominanz…
…und Zusammenarbeit !
…Transvestiten, Freundschaft, Beziehungen, Jugend, Aktivismus. Gibt es einen roten Faden?
Wenn es in meinen Filmen etwas Gemeinsames gibt, dann die Suche der Figuren danach, wer sie sind. Sie rebellieren gegen enge Definitionen ihrer Person. Sie stellen Fragen. Nach dem Zusammenleben mit Anderen. Und nach den Illusionen, die sie von sich selbst haben. Film ist ein sehr gutes Medium, um diese Illusionen vom Selbst darzustellen. Denn das Selbst verändert sich dauernd. Man kann es erfahren, aber man kann es nicht halten.
Was sind Gingers Illusionen?
Freundschaft, die für immer hält, Liebe, die simpel ist, Loyalität, Stabilität. Oder auch einfach die Illusion, dass ihre Eltern erwachsen sind. Ginger hat viel zu tun. Sie muss ihre schwierigen Erfahrungen in eine Form von Verständnis umwandeln.
Wie kamen Sie darauf, einen Film mit zwei 16-jährigen Mädchen zu drehen?
Well, ein Stück weit haben mich Erinnerungen dazu bewegt. Teenager sind interessant, weil sie revolutionär sind. Sie brechen aus der Kindheit aus, sind aber noch nicht in der Verantwortung des Erwachsenenalters angekommen. Die Erwachsenen sagen ihnen, dass es sinnlos ist, trotzdem stellen sie die grossen Fragen: Gibt es einen Gott? Kann man in der Weltpolitik etwas ausrichten? Auch wenn sie gerade dabei sind, ihre Jeans zu schrumpfen oder sich Gedanken machen über ihre Haare. Ich habe selbst eine 18-jährige Patentochter und bin beeindruckt, wie sie ihren Weg sucht. Und es gibt eine Parallele: Die Mädchen sind dabei, erwachsen zu werden und die ganze Welt ist es auch. Die späten 60er sind im Film noch nicht da. Es ist ein Beginn mit ungewisser Zukunft.
Sie sind 5 Jahre später geboren als die beiden Mädchen im Film. Steckt in Ihnen eine Ginger oder Rosa?
Man muss sich als Schriftsteller in all seine Figuren hineinleben, in die Art, wie sie die Welt sehen. Die Mädchen stehen mir vielleicht näher, weil sie nah an meiner eigenen Erfahrung sind. Aber auch Bella, die Aktivistin, und der Vater von Ginger, der von der Liebe geblendet wird und grausam ist, ohne es zu wollen. Ich versuche, meine Figuren nicht zu beurteilen, sondern sie zu verstehen. Und ich identifiziere mich nicht mit ihnen. Das ist eine Illusion über Schriftsteller. Ich muss meine Figuren lieben. Aber ich muss nicht sein wie sie. Aber ja – auch ich hatte als Teenager rote Haare, ich schrieb Gedichte, ich nahm die selben Konflikte war – ich kenne Gingers Welt.
Andere Ihrer Filme sind formal sehr viel experimenteller.
Ja, «Ginger and Rosa» ist naturalistisch. «Rage» war der erste Film, der auf Handy rauskam. Es war spannend, die erste zu sein. Mit «Ginger and Rosa» war genug damit. Ich wollte einen Film machen, der die klassischen Erzählformen des Films aufnimmt und auf andere Weise komplex ist – in der Story, in den Charakteren, im politischen Hintergrund.
Der Film spielt in den 60ern. Was hat diese Zeit mit unserer Zeit gemeinsam?
Alles! Die Wurzeln von vielen Dingen, die uns heute beschäftigen, liegen in den 60ern: Das Bewusstsein über die nukleare Bedrohung, Neudefinitionen von Beziehungen, von sexueller Identität, das Ende der religiösen Macht, Menschenrechte – so viele Dinge. Sie passierten nicht plötzlich, sondern entwickelten sich seit langer Zeit. Aber die Cubakrise von 1962 ist die Zuspitzung des Kalten Krieges. Ost und West gingen bis an die Grenze, die Welt zu vernichten. Aus der Erleichterung, dass dies nicht geschah, entstand das, was das Leben in den 60ern so interessant machte. Die sozialen Explosionen aus dieser Zeit fühlen wir heute noch.
Wie war es, mit den Mädchen zu arbeiten?
Wundervoll. Sie sind sehr seriöse junge Künstlerinnen – sehr jung! Ich castete 2000 Mädchen, bis ich sie fand. Bei der Arbeit habe ich mich in beide verliebt.
- Ginger & Rosa läuft im kult.kino club. Zum TaWo-Kinoprogramm gehts hier.