Heute Samstag abend tauft Laurin Buser sein Hip Hop-Album «Nachtaktiv EP» in der Kuppel. Im Gespräch, das wir vor kurzem mit ihm geführt haben, redeten wir mit ihm über das Erwachsenwerden. Und ob er eigentlich hart genug ist zum Rappen.
Laurin Buser, der Slampoet und Schauspieler, der Kleinkünstler und Rapper, ist schon lang dabei im Kulturbetrieb. Teil des Basler Inventars, das kann man wohl so sagen. Trotzdem ist Buser immer noch erst 22 Jahre alt. Oder schon? «Der Jugendbonus ist vorbei», sagt er. Jetzt muss er Ernst machen, um sich als Professioneller in der Kunst zu etablieren. Abwarten und geschehen lassen war gestern. Bestes Zeugnis dafür ist sein erstes Hip-Hop-Album «Nachtaktiv EP», das soeben erschienen ist. Zeit, den gewandten Wortmann zu fragen, wie man heute eigentlich erwachsen wird.
Auf der Bühne gleitet Laurin Buser durch Rap und Slam wie der Fisch im Wasser. Bei unserem Gespräch spricht er mit langsamer, tiefer Stimme und nimmt sich Zeit zum Überlegen. Wer hätte das gedacht vom Slampoeten Buser, der gerade beim Basler Drummeli die Menge aufgemischt hat.
Als Slam-Poet am Drummeli – war das eine gute Idee?
Ich hatte meine Zweifel, ob ich in diesen Rahmen passe, weil ich selbst wirklich nicht viel zu tun habe mit der Fasnacht. Aber genau das fand die Regisseurin Bettina Dieterli interessant.
Was haben Sie zunächst befürchtet?
Ich war früher einmal am Drummeli, und es ist halt ein sehr traditioneller Anlass. Aber das ist viele Jahre her, und Bettina hat angefangen neue Elemente reinzubringen. Dafür, dass das Ganze dreieinhalb bis vier Stunden dauert, ist es doch recht kurzweilig.
Also haben Sie nicht nur für das Geld mitgemacht?
Ich hab nicht das gekriegt, was ich verlangt habe.
Wie kam die Slam Poetry an?
Im Drummelipublikum gibt es Menschen aus allen Schichten, von den einfachsten Leuten bis hin zu Professoren. Die Reaktionen waren überrascht und positiv, auch seitens der Älteren. Das hat unsere Erwartungen übertroffen.
Sind Sie in Ihren Texten Kompromisse eingegangen?
Es sind sicher nicht die brutalsten Texte, ich wusste schon, dass ich fürs Drummeli schreibe. Ich wollte nicht provozieren, um zu provozieren. Das würde mir als künstlerisches Element nicht reichen. Aber eine scharfe Prise war schon drin. Den Vortrab habe ich gedisst.
Sie haben ihn als «Hardcore Basler» bezeichnet, der Leute zur Seite boxt und darauf pocht, dass Baseldeutsch gesprochen wird. Dann gaben Sie zu, dass Sie eigentlich selbst gern Vorträbler wären.
Ich habe das früher mal gemacht. Dass ich jetzt selbst wieder im Vortrab stehen will, ist meine literarische Freiheit (lacht).
Ist die Fasnacht eine Zeit, in der die Basler aus sich rauskommen? Oder herrscht da erst recht Ordnung ?
Ich empfand sie in den letzten Jahren schon als etwas spiessig. Man tut sehr anarchistisch, aber alles verläuft nach strengen Regeln. Doch als ich dieses Jahr dem Drummeli so nah war, sah ich, wie Tausende Leute involviert sind und jeder jedem hilft, ohne dass jemand Geld dafür bekommt. Gerade gestern sprach ich mit einem richtigen Fasnächtler, mit dem ich in den Pausen immer Zigis rauchen gehe. Da treffen zwei Welten aufeinander. Ich sagte, dass es manchmal schön wäre, wenn dieser Fasnachtsspirit das ganze Jahr über herrschen würde. Darauf antwortete er, dass genau dies unsere Stadt ja ausmache. Zwei ganz verschiedene Wahrnehmungen der gleichen Stadt. Ich kam bisher nie in Kontakt mit solchen Leuten, ich weiss nicht, wie die wählen und was sie sonst so rauslassen. Aber in dem Moment begegnet man sich und kommt miteinander aus, das ist schon noch interessant.
Sollte sich die Fasnacht trotzdem weiterentwickeln?
Grundsätzlich finde ich, dass der Fasnacht die eigene Tradition im Weg steht und dadurch Dinge blockiert werden. Obwohl Tradition an und für sich nichts schlechtes ist.
Könnten Sie sich vorstellen, als Slampoet in einen Cliquenkeller zu gehen?
Das kann schon funktionieren, es muss einfach einen Fasnachtsbezug haben. Man kann da nicht einfach irgendwas machen.
Die Drummeli-Texte haben Sie auf Baseldeutsch gesprochen, rappen tun Sie meistens auf Hochdeutsch. Funktioniert Hip-Hop nicht mit Mundart?
Doch, auf jeden Fall. Rap kommt einfach auf Hochdeutsch aus mir raus, wie auch die meiste Slam Poetry, die ich mache. Ich habe auf Hochdeutsch eine persönlichere Schreibsprache entwickelt als auf Schweizerdeutsch. Ich fühle mich wohler.
In welcher Sprache kann man besser fluchen?
Da gibts es auf Schweizerdeutsch schon um Welten bessere Worte. Ich baue auch in Slamtexte immer wieder schweizerdeutsche Passagen ein, wenn ich Leute parodiere. Gewisse Charaktere erweckt man nur auf Schweizerdeutsch zum Leben.
Was für ein Charakterzug ist das?
Das Bünzlige. Das gibt es nur in der Schweiz. Auf Hochdeutsch gibt es dafür gar kein Wort.
Da heisst es Spiesser.
Das ist was anderes.
Was hat der Bünzli dem Spiesser voraus?
Eine bestimmte Schweizer Mentalität. Die ist grundsätzlich mal nichts Schlimmes. Aber was mich sehr nerven kann, ist falsche Freundlichkeit. Man ist korrekt. Und dann gibt es gewisse Sachen, «die macht man einfach nicht». Das ist ein sehr typisch bünzliger Satz. Wieso nicht, frage ich mich? Spiessig ist für mich eher so ein Upper-Class-Ding. Das hat mit Geld zu tun, Bünzligkeit nicht. Es gibt die coolsten Typen, auch Künstler, die einfach bünzlig sind. Du merkst es an ihrer Attitüde. Aber eben, ich werfe das niemandem vor.
«Auch coolste Typen sind bünzlig. Aber ich werfe das niemandem vor.»
Haben Sie die Nase voll von der Schweiz?
Wenn ich drei Wochen am Stück hier bin, muss ich mal raus. Durch meinen Beruf ergibt sich das sowieso, häufig bin ich in Deutschland. Aber Deutschland reicht manchmal auch nicht. Ich brauche manchmal die Anonymität. Ich spiele schon lange mit dem Gedanken, in eine Grossstadt zu ziehen, und sei es nur für ein paar Jahre. Ich warte auf den richtigen Moment und will es nicht überstürzen.
In welche Stadt zieht es Sie denn?
Nach Hamburg. Da fühle ich mich lustigerweise sehr daheim.
Hart, aber herzlich?
Voll.
Ist Zukunft ein wichtiges Wort für Sie?
Ich habe letzthin mit einem Kollegen darüber gesprochen, wie weit wir in die Zukunft planen. Ich weiss so ungefähr, was ich die nächsten zwei Jahre mache. «Was?», sagte er, «ich plane die nächsten zwei Tage!» Offensichtlich schaue ich doch weiter voraus als andere. Ich weiss nicht jeden Tag, aber doch grundsätzlich, wohin ich gehen will. Doch das bezieht sich auf meine Projekte, persönlich habe ich keine Ahnung.
Welche Entwicklung wünschen Sie sich?
Dieses Jahr versuche ich, so viel wie möglich mit der Band unterwegs zu sein. Nächstes Jahr will ich ein neues Soloprogramm aufgleisen. Ich will die Zweigleisigkeit in meinem Leben etablieren, Kleinkunst und Musik.
Haben Sie ein Vorbild?
Nein.
Niemand, der Sie inspiriert?
Das schon. Sehr viel aus Büchern. Wenn sich jemand ernsthaft mit Sprache befassen will, ohne zu lesen – das finde ich absurd. Und natürlich Musik. Früher viel deutscher und Mundart-Rap, inzwischen viel amerikanischer. Als Drittes will ich Sandra Löwe nennen, die Frau, mit der ich meine ersten beiden Programme gemacht habe. Ohne den Austausch mit ihr würde ich nicht die Texte schreiben, die ich schreibe. Durch sie kam ich zur Liebe zum Wort.
«Ich sehe mich echt nicht als Intellektuellen, nur weil ich Bücher lese.»
Klingt recht intellektuell. Beim Rappen rufen Sie «Yo» und «Yeah». Sind Sie nicht ein wenig zu klug für diese Art von Coolness?
Nein. Ich hab nicht mal die Matura. Ich sehe mich echt nicht als Intellektuellen, nur weil ich Bücher lese. Ich studiere nicht, ich mache nur mein Kunstding. Und zu klug für die Coolness? Nein. Meinen ersten Zugang zum Wort hatte ich durch Rap und nicht durch Bücher. Ich komme von da. Diese Art von Attitüde ist für den Slam manchmal zu hart. Und für den Rap bin ich manchmal fast zu weich.
Sie sind ein «Zweigeteilter», rappen Sie auf Ihrem neuen Album.
Das stimmt. Ich bin noch jung und will mich da – auch Zitat – noch «nicht zu fest festlegen». Das geht phasenweise. Manchmal will ich die Rap-Attitüde ausleben. Und dann reicht mir das wieder nicht. Sie bedient genau ein einziges Gefühl …
«Mein Block, mein Revier» …
Genau. Dieses «Ich bin ich». Das ist ein Gefühl, das ich sehr gut kenne, das mich interessiert und antreibt. Eine gewisse Attitüde gehört zu mir. Die ist authentisch, ich will sie nicht verleugnen.
Eine authentische Attitüde, das ist ein Widerspruch in sich.
Man kann auch als Schauspieler eine Rolle authentisch spielen. Sogar die eines Mörders, weil ich es irgendwo in meinem Inneren vorfinde. Nicht, dass ich jemanden umbringen würde. Die Mordattitüde ist eine Rolle, aber gleichzeitig gehört sie zu mir. Man hat verschiedene Rollen. Wann ist man denn nicht in einer? Alles ist Rolle.
Ihre Augen fangen gerade an zu glänzen.
Das ist nur der Lichtwechsel.
Sind Sie erwachsen?
Im letzten Jahr ist einiges passiert, das mich hat wachsen lassen. Privat, aber auch künstlerisch. Mir wurde klar, das jetzt der Jugendbonus weg ist. Früher war ich unbeschwerter und habe zack, zack einfach drauflosgemacht. Jetzt wird meine Arbeit durch die Professionalisierung ernst. Ich muss in der Organisation besser werden. Wenn du jung bist, verzeiht dir ein Veranstalter noch eher, wenn du nicht sofort zurückschreibst. Auch künstlerisch merke ich, dass der Output nicht einfach so von alleine kommt. Früher machte ich einfach, und irgendwann merkte ich, oh, ich habe seit über einem Jahr keinen richtigen Text mehr geschrieben. Jetzt merke ich: Damit ich schreiben kann, muss ich mir selber Raum geben. Ich schreibe vor allem, wenn ich Zeit zum Alleinsein habe.
«Mein Jugendbonus ist jetzt weg.»
Erwachsen sein ist eine strukturelle Sache.
Im Berufsleben schon. Im Privaten sind es andere Punkte.
Was wäre hier erwachsen?
Letztens habe ich zu einem Freund gesagt, dass ich ein wenig erwachsener geworden bin. Aber ich weiss gar nicht, wie ich das definiere.
Sie hatten einen Anlass, es zu sagen.
Es war ein Gefühl. Wie definiert denn der Volksmund heute «erwachsen»? Was ist das für ein Wort? Wenn es bedeutet, dass man mit etwas abgeschlossen hat, dann bin ich nicht erwachsen. Und weiss nicht, ob das erstrebenswert ist.
Was ist erstrebenswert?
Dass man von sich selbst kein fixes Bildnis macht. Dass man sich als ein Wesen ansieht, das sich permanent entwickelt. Ein Bildnis ist ein Freeze dieser Bewegung. Das gibt es im Menschen eigentlich gar nicht.
«Ich will es vermeiden, mir selbst eine Selbstbild aufzuschwatzen.»
Was ist Ihr Ziel: Aus einem festen Bild heraus- oder nicht in eines hineinzuwachsen?
Das ist bei jedem verschieden. Bei mir ist eher die Gefahr, in ein festes Selbstbild zu verfallen. Als Teenie war ich unbeschwert. Ich habe mir über alles mögliche Gedanken gemacht, aber mich selbst nie definiert. Ich wurde auch zu nichts gedrängt oder habe mich zu nichts drängen lassen, instinktiv. Was ich vermeiden will, ist, dass ich mir selber ein Selbstbild aufschwatze. Da geht es nicht mal um Kunst, sondern um den Charakter. Mir den offenzuhalten, das muss mindestens mein Ideal sein.
Das ist erwachsen?
Vielleicht nennen andere genau das Gegenteil erwachsen, wenn sie sich ein Bildnis von sich selbst gemacht haben. Wenn man weiss, so bin ich, dann hat man einen sicheren Wert… Aber auf diese Art von Erwachsensein haben viele Leute keinen Bock mehr.
Sie machen Slam Poetry und Rap – zwei Genres, die man eher mit jungen Leuten verbindet oder mit Leuten, die nicht erwachsen werden wollen.
Ich finde es vermessen, von all diesen Leuten zu sagen, dass sie auf einem Film hängen geblieben sind, bloss weil sie Slam Poetry oder Rap machen.
Rap kommt ursprünglich aus dem Trotz, aus dem Untergrund, der sich gegen die Obrigkeit auflehnt.
Ja, ich bin ein trotziger Mensch. Immer noch. Ich bin allergisch gegen Autorität, was seltsam ist, da ich krasser Autorität nie ausgesetzt war. Dieser Charakterzug ist sicher nicht schlecht, aber in manchen Fällen ist es lächerlich, wie trotzig ich bin.
Wenn man nicht aus autoritären Verhältnissen kommt, ist man umso empfindlicher dagegen.
Das kann sein. Ich hatte nicht den bösen Vater und nicht die strenge Mutter. Sie haben mich erzogen, aber in einem sehr freien Rahmen. Dann war ich noch auf der Steinerschule, was auch nicht gerade pure Autorität ist.
«Manchmal ist es lächerlich, wie trotzig ich bin.»
Ihr Vater ist Kabarettist und Schauspieler, Ihre Mutter Regisseurin. Ist das schwierig oder fördernd?
Fördernd. Bei meinem ersten Programm war mein Vater als musikalischer Gast dabei. Es ist interessant, über das Schreiben und die Bühne mit den eigenen Eltern zu sprechen, die aus der gleichen Szene sind. Es gibt verschiedene Ansichten, aber wir stehen uns nicht im Weg.
Wovon müssen Sie sich emanzipieren?
Vielleicht muss ich mich manchmal – nein. Ich habe kein Problem (lacht).
Ihre Kunst kommt aus keinem Leidensdruck.
Doch, oft sogar. Ich schreibe vor allem, wenn es mir schlecht geht. Ich denke viel über mich nach, darum ist die Gefahr, mir ein Bild von mir selbst zu machen, immer da. Ich bin selbstkritisch, habe viele Zweifel. Ich gebe mich einem gewissen Leidgefühl gerne hin. Leiden ist Inspiration. Doch das ist eine gefährliche Sache, weil das Leiden echt ist.
Woran leiden Sie?
Ich leide an meinen Gedanken und an meinen inkonsequenten Handlungen, die nicht meinen Prinzipien entsprechen. Und immer wieder kann ich eine gute Portion Menschenhass aufbringen, der mich alles scheisse finden lässt. Daran leide ich: Wieso bin ich jetzt so abweisend? Was stört mich?
Sind das produktive Gefühle?
Nicht während ich es effektiv fühle. Es kann schnell kippen, und ich bin nur im Leiden. Dann kann ich auch nicht schreiben. Ich muss das Gefühl erst erleben, bevor ich schreiben kann. Zum Glück habe ich einen Speicher, in dem diese Gefühle abgelegt werden. Wenn es ans Schreiben geht, kann ich sie portionsweise abrufen, ohne dass es mich vom Schreiben abhält. Eine Gratwanderung.
Sie sind aber ausser Gefahr, vom Leid verschluckt zu werden?
Kommt drauf an. Ich empfinde es manchmal schon als gefährlich. Aber genau die Gefährlichkeit macht es auch spannend. Ich suche die dunkle Seite, dort, wo der Dreck liegt. Ich bewege mich instinktiv in ein Gefühl, das mich auch zerfressen kann.
Wie holen Sie sich da wieder raus?
Auch mit Instinkt.
Der Mann der Instinkte. Mysteriös …
Ein Tier!
Welches?
(überlegt und schweigt)
Vorhin sagten Sie, Sie leben nicht umsonst seit 22 Jahren in der Schweiz. Was lieben Sie an diesem Land?
Die Berge (lacht). Was mich an Basel hält, sind in erster Linie Freunde und Familie. Wenn ich sage, ich liebe die Anonymität der Grossstadt, dann liebe ich sie als Ausgleich zu dem sehr dörflichen Stadtleben, wie wir es hier in Basel haben. Ich komme vom Dorf. Ich mag es, dass man sich kennt, dass man sich in der Stadt einfach so antrifft.
Nestwärme?
Vielleicht bin ich ein Vogel, wenn schon ein Tier.
Der immer noch im Nest sitzt. Zeit für Ausflug?
Ja. Ich hoffe, ich bin kein Pinguin, der keine Flügel hat.