Eine Ausstellung im Museum der Kulturen Basel zeigt Bilder, Filme und Kunstgegenstände von indigenen Völkern Amazoniens. In hervorragender Gestaltung findet man dort keine Relikte, sondern Einblicke in die ethnologische Arbeit selbst. Diese beruht mehr denn je auf dem wechselseitigen Austausch mit den Völkern.
Der amazonische Wald in Südamerika wird nach wie vor geraubt. Zwar sind inzwischen 50 Prozent des gesamten Gebiets Naturschutz- oder Indianergebiete, aber trotzdem sind in den vergangenen zehn Jahren 140’000 Quadratkilometer Wald verschwunden, die vierfache Fläche der Schweiz.
Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts rückt die industrialisierte Welt in den grössten Wald der Erde vor. Ein symbolisches Ereignis hierfür ist die Verlegung der Hauptstadt Brasiliens – wo der weitaus grösste Teil des amazonischen Waldes liegt – von Rio de Janeiro nach Brasilia im Jahr 1960: weg von der Küste, hin zum Wald. Seither wird das Leben für die indigenen Völker zunehmend schwierig, denen Holz, Land- und Wasserwirtschaft den Lebensraum streitig machen.
Die Frage nach dem Ausstellen
All das ist bekannt. Natur- und Klimaschützer haben Gehör, tragische Staudammbauten werden in den Medien verfolgt und zunehmend organisieren sich indigene Völker selbst und generieren Aufmerksamkeit.
Was kann eine ethnologische Ausstellung an dieser Stelle ausrichten? Wie kann eine Institution, die die Kulturgüter von indigenen Völkern dokumentiert, im Diskurs mit den übermächtigen Interessenvertretern der Wirtschaft mitwirken?
Das ist die Frage, welche die Ausstellung «Was jetzt? Aufstand der Dinge am Amazonas» im Museum der Kulturen Basel an sich selbst richtet. Sie ist einerseits eine Dokumentation von Kulturgütern, von Schmuck, Musikinstrumenten und Kultgegenständen. Daneben ist sie im wesentlichen eine Dokumentation der ethnologischen Arbeit selbst. Die Geschichte der rund 150 Objekte von rund 25 Stämmen aus ganz Amazonien bricht nicht am Ort ihrer Herstellung ab und wird als solche im Museum nacherzählt: Die Herstellung der Gegenstände, ihre Überführung nach Europa und schliesslich ihre Ausstellung im Museum bilden selbst das Thema der Ausstellung.
Verfängliche Flöten
Diese Dynamik ist zu einem grossen Teil und auf befeuernde Weise dem Ethnologen und Kurator Alexander Brust geschuldet, der Führungen durch die Ausstellung anbietet. In einigen Projekten, deren Resultat zu sehen ist, war Brust selbst involviert und kann von der Begegnung der Forscher mit den Amazoniern berichten.
So war eine Forschungsgruppe beim Stamm der Yudjá zu Gast und interessierte sich für Musikinstrumente. Die Yudjáner veranstalteten eigens eine Präsentation der Instrumente, liessen einige Flöten jedoch unberührt. «Warum spielt Ihr nicht auch die?», fragte eine Forscherin. Die Yudjáner willigten ein, garantierten aber für nichts: Es handelte sich um Flöten, mit welchen der Regen herbeigerufen wird. «Tatsächlich regnete es die folgenden Tage», sagt Brust und lacht.
Einige andere Flöten hat das Museum zwar im Haus, darf sie aber auf Geheiss der Yudjáner nicht ausstellen. Ihr Ton und auch ihre blosse Anwesenheit rufen bei Frauen Blutungen hervor, die tödlich sein können.
Ältere ethnologische Ansätze führen diese Auffassungen, vielleicht im Gewand der Faszination, auf die Primitivität der indigenen Völker zurück: Die glauben halt noch an so etwas. Neuere Forschung, namentlich aus Brasilien selbst, beschreibt hingegen das Nebeneinander der Kulturen. Einerseits sind da solche, die den beseelten Menschen den unbeseelten Gegenständen gegenüberstellen und andererseits solche, die sowohl im Menschen als auch in allen Gegenständen eine Seele wahrnehmen.
Wiederentdeckung von Wissen
Welchen der Standpunkte man einnimmt, ist eine Frage des Respekts. Genau dieser Respekt wohnt den Sammlungen, Fotografien und der Videoinstallation der Austellung inne. Alle wurden erarbeitet auf der Grundlage der Kommunikation. Viele der Gegenstände liessen die Forscher – alle Projekte wurden zwischen 1950 und 2010 durchgeführt – eigens anfertigen, um sie nicht aus einem Lebenszusammenhang zu entführen. Wie mit diesen Gegenständen in den Augen der Indigenen umzugehen ist, wird beachtet.
Umgekehrt können ethnologische Ausstellungen die indigenen Völker unterstützen. Da deren Zahl, Handlungsspielraum und Eigenständigkeit aus vielen Gründen zurückgehen oder zumindest gefährdet sind, nimmt auch das Wissen der Indigenen um die Praktiken ihrer eigenen Kultur ab. Dieses Wissen wird von Mund zu Mund weitergegeben und die Überlieferungslinien werden zunehmend unterbrochen. Die ethnologische Arbeit kann durch ihre Dokumentation der Praktiken den kulturellen Fortgang der Völker begünstigen, manchmal auch die Wiederentdeckung.
Einen solchen Fall zeigt die Videoinstallation von Thomas Isler und Anna-Lydia Florin. In den Jahren 1948 und 1955 reiste der Schweizer Ethnologe Franz Caspar zum Volk der Tuparí an den Rio Branco. 2008 besuchte sein Sohn die Tuparí erneut, woraufhin diese 2009 zum Gegenbesuch nach Basel kamen. Viele der Gegenstände, die Franz Caspar damals mitnahm, sind den Tuparí kaum noch bekannt. Der Film zeigt Szenen der Erinnerung und Wiederentdeckung.
Der Besuch dieser Ausstellung ist kein Betrachten von Relikten, sondern die Teilnahme an der menschlichen, produktiven und wechselseitigen Auseinandersetzung von Forschern und amazonischen Völkern.
- «Was jetzt? Aufstand der Dinge am Amazonas»
Museum der Kulturen Basel, Münsterplatz 20, 4051 Basel
Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr
Jeden ersten Mittwoch im Monat 10 bis 20 Uhr - Bis 29. September 2013