Marielle möchte so gerne Meerjungfrau sein. Dass das nicht gut gehen kann, zeigt Melanie Schmidli in ihrer beherzten Soloperformance im Theater Roxy.
Melanie Schmidli hatte einen Traum. Einen doppelten Traum gewissermassen: Die in Deutschland lebende Basler Schauspielerin wollte in einer Solo-Bühnenperformance ihre eigene (Umkehr-)Interpretation des Disney-Märchens «Arielle, die Meerjungfrau» spielen und damit endlich in die beherrschende Identifikationsfigur aus ihrer Kindheit schlüpfen. Und weil ein solches Projekt Geld kostet, startete sie auf startnext.de eine Crowdfunding-Kampagne. Mit Erfolg.
Nun steht sie, nach ersten Vorstellungen in Berlin, Leipzig und Bern, auf der Bühne des Theater Roxy in ihrer Heimatregion Basel und spielt einen Traum. Den Traum von «Marielle, der Ehrjungfrau», die mehr als alles im Leben so gerne eine Flosse als Unterleib hätte und sich somit in das ebenso schutzbedürftige wie verführerische (aber letztlich geschlechtlich handicapierte) Fabelwesen einer Meerjungfrau verwandeln könnte.
Bühne im Meeresnebel
Das klingt erst einmal sehr tiefenpsychologisch. Nach dem Typus eines Mädchens, das sich gegen das Frauwerden sträubt, gleichzeitig aber dennoch vom Bild des schutzbedürftigen und zierlichen Weibchens beherrscht bleibt. Melanie Schmidli präsentiert diese Interpretationen aber nicht auf dem Serviertablett, sondern hüllt das Ganze in ein geheimnisvolles Traumspiel ein, welches das Märchen der Meerjungfrau einerseits vordergründig nachstellt, gleichzeitig aber auch nebulös verschleiert.
Dieses Nebulöse ist erst einmal ganz wörtlich zu verstehen. Als Zuschauer oder Zuschauerin tritt man in einen Theatersaal, der von einem undurchdringlichen Nebel erfüllt ist (Bühne und Kostüme: Clementine Pohl), aus dem ein dumpfes elektronisches Tiefseegrollen erschallt (Livesound: Christoph Wirth). Erst mit der Zeit wird in diesem Nebel die Figur der (Möchtegern-)Meerjungfrau sichtbar, mit ihren feuerroten Haaren und einem engen langen Kleid, das sich auf Fusshöhe wie eine Flosse weitet.
Das Meerjungfrauen-Dilemma
Es ist Arielle, die Meerjungfrau. Oder Marielle, die Ehrjungfrau, die gerne Meerjungfrau sein möchte. Ganz so klar wird das nicht. Melanie Schmidli lässt offen, ob es sich nun um Spiel oder Ernst handelt. Ob wir einem Spiel beiwohnen, aus dem Ernst wird. Primär geht es aber um die eigentliche Geschichte von Arielle, die eben Mensch sein möchte, von der Meereshexe einen Zaubertrank verabreicht bekommt, der ihr die dreitägige Probe- bzw. Bewährungszeit als Mensch gewährt, damit sie sich mit dem Kuss der wahren Liebe endgültig zum Mensch verwandeln kann. Dies allerdings zum Preis, dass Arielle ihre Stimme an die Hexe abgeben muss.
In dieser fest mit dem Schicksal der Meerjungfrau verketteten Geschichte offenbart sich aber das grosse Dilemma: Marielle möchte Meerjungfrau sein, eine Meerjungfrau aber strebt voll und ganz nach der Erlösung aus ihrem Hybriddasein, will ganz Mensch bzw. Frau werden (was sie aber nur durch den Verlust ihrer Stimme und die Hingabe zu einem Mann erreichen kann). Im Märchen führt das zum Happy End, im Falle von Marielle indes ganz und gar nicht. Am Schluss ist sie nicht Meerjungfrau, nicht Mensch, sondern Dame ohne Oberleib bzw. ein jämmerlich daliegender Fisch mit Frauenunterteil.
Beherztes Spiel
Melanie Schmidli geht ausgesprochen beherzt an die komplexe Erfüllung ihres (Bühnen-)Traums. Sie zeigt die im Märchen verborgenen, weniger angenehmen Seiten der Wesensumwandlung. Etwa wenn die Meerjungfrau aus dem Wasser tritt und nun am Land zappelnd grosse Mühe bekundet, von der Kiemen- zur Lungenatmung umzustellen. Dann wiederum hinterfragt sie ihr Spiel selbstironisch: «Sometimes it seems a little bit strange to be dressed like a mermaid – especially at my age!» Oder sie tritt ganz aus ihrer Rolle heraus, indem sie direkt ins Publikum fragt, was für eine Geschichte nun denn gewünscht werde.
Melanie Schmidli und ihr Livesound-Bühnenpartner Christoph Wirth schaffen mit «Marielle, die Ehrjungfrau» ein atmosphärisch dichtes Stimmungsbild oder einen Zerrspiegel weiblicher Identitätsmuster. Eines, das einem durch die dauernden Sprünge von einer Spielebene in die andere (von der Märchen- und der Befindlichkeitsebene in die (Alb-)Traum- und in die Wir-sind-ja-nur-im-Theater-Ebene) den schlüssigen Nachvollzug des Geschehens aber nicht gerade erleichtert.
«Marielle, die Ehrjungfrau»
Regie und Spiel: Melanie Schmidli, Musik/Sound: Christoph Wirth, Bühne/Kostüme: Vlementine Pohl
Weitere Vorstellungen: 28. und 29. November 2013 im Theater Roxy