Das Thema «Clubsterben» erhitzt Schweizer Kulturveranstalter. Allerdings nicht in Basel: Hier setzt man auf pragmatische Lösungen.
Wer kürzlich in Bern weilte, hat sie bereits gesehen: die omnipräsenten Bierdeckel, Plakate und T-Shirts mit dem Schriftzug «Figg di Frou Müller», die viele Kulturorte «zieren». Doch was hat dieser provokante Slogan zu bedeuten? Zumindest eines: Berns Kulturveranstalter sind sauer. Denn obwohl die Stadtoberen, insbesondere der Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP), gerne den Titel «Schweizer Kulturhauptstadt» gebrauchen, machte in Bern in den letzten Jahren ein Lokal nach dem anderen dicht.
Prominentestes Beispiel: das «Sous Sol», ein traditionsreicher Ausgehtempel, der von einer zugezogenen Soziologin «weggeklagt» wurde. Die ominöse Frau Müller fühlte sich von den Bässen in ihrer neuen Wohnung derart gestört, dass sie den Club solange gerichtlich bekämpfte, bis ihr der sozialdemokratische Statthalter in letzter Instanz Recht gab. Ende letzten Jahres schalteten die «Sous Soul»-Verantwortlichen eine Todesanzeige: «Nach langem Kampf gegen engstirnige Mitmenschen und subjektive Entscheide von Behörden ist unser geliebtes Kulturlokal in der Nacht vom 30. Dezember in Würde von uns gegangen.»
Die ominöse «Frou Müller»
Als Reaktion auf «die bedenklichen kulturpolitischen Entwicklungen in und um die Stadt Bern» bläst das Aktionsnetzwerk «Figg di Frou Müller», ein loser Zusammenschluss von Künstlern, Veranstaltern und Konsumenten, seit Februar nun zur Gegenoffensive: mit Infoveranstaltungen, Partys und einer Facebook-Page, die schon 2500 Mitglieder zählt.
Auch wenn es in der Bundeshauptstadt am lautesten brodelt: Die Diskussion ums «Clubsterben» ist in den letzten Wochen im ganzen deutschsprachigen Raum neu entflammt. In Clubmetropolen wie Berlin und Hamburg fanden Kundgebungen und Demos statt. In Zürich sorgte die Nachricht, dass die legendäre Ausgehmeile an der Geroldstrasse (mit weltbekannten Clubs wie «Hive», «Cabaret» und «Supermarket») bald einem Einkaufszentrum weichen soll, für breite Bestürzung. In St. Gallen und Luzern laufen Gerichtsverfahren gegen die beliebten Lokale «Kugl» und «Opera».
Indirekt Opfer ihres eigenen Erfolgs
Im Zentrum des Konflikts stehen dabei immer dieselben «Feindbilder»: Die Clubbetreiber kämpfen mit Nachbarn, die sich ob Dreck und Lärm gestört fühlen, mit Investoren, welche die Liegenschaften gewinnbringend weiterverkaufen oder vermieten wollen, mit Politikern und Behörden, die im Zweifelsfall gegen die Clubs entscheiden. Die Krux dabei: Oft werden die Clubs indirekt Opfer ihres eigenen Erfolgs. Sie siedeln sich in vermeintlich «unattraktiven», sprich günstigen Lagen an, werten diese zum Trendquartier auf und rufen damit Investoren auf den Plan, welche die betroffenen oder umliegenden Liegenschaften sanieren, um daraus Wohn- oder Gewerbeflächen zu machen. Den neuen Mietern sind die Clubs dann oft nur mehr ein lästiger Dorn im Auge.
«Im Grunde wollen alle Beteiligten dasselbe: eine lebenswerte Stadt», bringt es Isabelle von Walterskirchen von «Petzi», dem Verband Schweizer Musikclubs, auf den Punkt: «Nur gehen die Vorstellungen darüber, was das konkret bedeutet, stark auseinander.» Umso wichtiger sei, dass diese Diskussion nun öffentlich geführt werde. «Es besteht nämlich grosser Handlungsbedarf.» Einerseits auf regionaler Ebene, wo in mehreren Städten Konflikte geschlichtet werden müssten. Andererseits sei aber gerade beim Lärmschutz längerfristig eine nationale Lösung die einzig sinnvolle Option: «Am Ende ist dies nämlich eine politische Frage, die die ganze Schweiz betrifft.»
Erstmals national vernetzen
Gerade unter Politikern sei zurzeit aber noch eine starke Zurückhaltung spürbar: «Viele zögern, sich in dieser Frage zu exponieren.» Aus diesem Grund organisiert «Petzi» diesen Samstag am Zürcher «M4Music»-Festival ein grosses Panel zum Thema «Clubsterben oder alles nur Schall und Rauch?». Das Panel werde die Probleme nicht lösen können, sagt von Walterskirchen: Ziel sei es aber, die verschiedenen regionalen Player erstmals national zu vernetzen. Neben Geschäftsführern von betroffenen Clubs wie «Kugl» oder «Bonsoir» wird auch Philippe Bischof, Leiter der Abteilung Kultur im Basler Präsidialdepartment, an der Diskussion teilnehmen.
Das Erfreuliche daran: Bischof reist nicht als Buhmann nach Zürich. Der Kulturabteilungsleiter wird zurzeit sogar oft als positives Beispiel genannt, wenn es um den Dialog zwischen Kulturveranstaltern, Politik und Verwaltung geht. Tatsächlich weht in Basel ein frischer Wind: die ehemals verhärteten Fronten zwischen der Clubszene und den Behörden scheinen sich aufzulösen. «Ich kann in Basel derzeit kein Clubsterben feststellen», meint denn auch Bischof selbst. Im Gegenteil: «Ich habe den Eindruck, dass wir hier zurzeit tolle kulturelle Initiativen haben, die in der Stadt einiges bewegen – das Spektrum reicht vom ‹Hinterhof› auf dem Dreispitz bis zum ‹Schiff› am Rheinhafen.»
Als ehemaligem Kulturveranstalter liege ihm die kulturelle Vielfalt und damit auch die Clubszene sehr am Herzen, sagt Bischof: «Basel braucht diese Dynamik. Es ist an der Zeit, dass die Clubkultur als Teil der allgemeinen Kulturlandschaft verstanden wird.» Dies sei auch ins langerwartete neue Kulturleitbild eingeflossen.
Neues «Clubgremium» schaffen
Zusätzlich schwebt Bischof ein «Clubgremium» vor, eine Art runder Tisch, wo sich Vertreter aus Politik und Verwaltung regelmässig mit Veranstaltern zur Diskussion und «Chropfleerete» treffen: «Denn sobald ein enger, persönlicher Kontakt besteht, lassen sich viele Vorurteile abbauen: aus Mythen werden Fakten.» Einen ersten Schritt hierzu hat Bischof bereits getan: In den letzten Wochen verschickte er einen Fragebogen an knapp 20 Basler Clubs, auf dem die Betreiber ihre Probleme und Wünsche vermerken konnten. Das Ergebnis zeigt ein ähnliches Bild wie im Rest der Schweiz: Vor allem im Lärm- und Bewilligungswesen herrschen Unsicherheiten.
Deshalb soll in Zukunft ein allgemeiner Leitfaden zum Bewilligungsverfahren erarbeitet werden. Bischof kann sich – analog zum Thema «Littering» – ausserdem Info- und Sensibilisierungskampagnen zum Lärmschutz vorstellen, etwa zur Frage, «was 100 Dezibel konkret bedeuten».
Dennoch: Einen «Masterplan» zur Clubkultur wird es auch künftig nicht geben. «Kultur soll und kann nicht von oben herab diktiert werden», betont Bischof. Genauso wenig liesse sich die Diskussion um Kulturlärm endgültig lösen: «Sowohl Feiern wie Ruhe sind menschliche Bedürfnisse. Es braucht Toleranz auf beiden Seiten, anders geht es nicht.»
Wie ältere Fasnächtler
Auch Stadtentwickler Thomas Kessler argumentiert gegen allzu fixe Regelungen. Angesprochen auf Vorwürfe einer zunehmenden «Gentrifizierung», die junge Kulturunternehmer zu Zwischennutzern verdamme, die später jeweils für «gute Steuerzahler» Platz machen müssten, entgegnet der oberste Stadtplaner: «Basel hat nicht zu viel, sondern zu wenig Dynamik.» Ginge es um Freiräume, würden die Kreativen oft genauso konservativ argumentieren wie ältere Fasnächtler. «Man muss wegkommen von der Idee, dass der Kultur ewige Zonen, am besten noch innerhalb der alten Stadtmauern, zustehen.»
Viel wichtiger als eine «Kultur der Sesshaftigkeit» sei, dass beständig neue, freie Räume geschaffen würden. Hier zeige sich ein «typisches Problem des Stadtkantons: Es wird zu klein gedacht.» Also doch eine überregionale, gar nationale Lösung? Für Kessler ist klar: «Die Kultur darf nicht an den Stadtgrenzen enden.» Geeignete Flächen sehe er im Vergleich zur zugebauten Basler Innenstadt vielmehr an den Rändern, an der Grenze zu Deutschland, zum Elsass oder Baselbiet.
Bis dahin bleibt Basel wohl vorerst die «Stadt der Zwischennutzungen», wie der Zürcher Journalist Alex Flach die Situation auf dem Nightlife-Portal «Tillate» treffend beschreibt. Hier herrscht wahrlich kein Mangel – und bald sollen auf dem Dreispitz und im Hafen weitere dazu kommen. Mit Segen der Abteilung Kultur: «Wir werden die Entwicklung genau beobachten und stehen neuen Initiativen wohlwollend gegenüber», verspricht Bischof.
Was vor 15 Jahren als Experiment begann, hat sich mittlerweile zu einem der grössten Events im Basler Kulturkalender gemausert: Die 16. Ausgabe der BScene wartet dieses Wochenende mit fast 60 Live-Acts aus der Region auf und erwartet wiederum um die 8000 Besucher. Im Zentrum des Basler Clubfestivals stehen neben Headlinern wie den Indie-Poppern von We Invented Paris (Freitag, 24 Uhr, Kaserne), der World-Music-Combo Zisa (Freitag, 22.45 Uhr, Volkshaus), dem Electro-Projekt LaFayette (Samstag, Volkshaus, 24 Uhr) und den Rap-Lokalmatadoren Brandhärd (Samstag, 1.30 Uhr nachts, Kaserne) auch die Lokale selbst: Auf insgesamt zehn Bühnen in acht Clubs präsentieren jeweils drei bis vier Acts ihr Können. Mit der «8-Bar» und dem «Sääli» des Restaurants Zum goldenen Fass sind dieses Jahr auch kleinere Treffpunkte mit von der Partie. Im letzten Moment ersatzlos aus dem Programm gestrichen werden musste hingegen die Jägerhalle: Dem Restaurant fehlte die Konzertbewilligung, wie die TagesWoche gestern berichtete. Ein weiterer Wermutstropfen: Die BScene findet wieder zur gleichen Zeit statt wie das M4Music-Festival in Zürich und Lausanne. Ein «ärgerlicher Zufall», der in Zukunft vermieden werden soll – auf dass die nächsten Auflagen der BScene mehr als «nur» eine umjubelte «Basler Nabelschau», nämlich: ein Event mit schweizweiter Ausstrahlung werden mögen. Trotz dieser beiden Dämpfer im Vorfeld will sich Festivalpräsident Thom Nagy die Vorfreude nicht nehmen lassen. Prinzipiell sei die Ausgangslage für die diesjährige BScene nämlich «hervorragend»: «Dem Basler Nachtleben und insbesondere der Basler Clubszene geht es zurzeit so gut wie lange nicht mehr.» Punkto Qualität könne es Basel mittlerweile mit allen grossen Städten aufnehmen: «Es hat eine Entwicklung stattgefunden, die weg vom typischen ‹Sound of Basel› hin zu mehr Mut zur Individualität führt – was sich positiv auf die Vielfalt der präsentierten Acts und Stile auswirkt.»
BScene, Basler Clubfestival. Fr, 23., und Sa, 24.3., an diversen Orten
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 23.03.12