Mit 77 Jahren veröffentlicht der Kanadier Leonard Cohen ein neues Album. Noch einmal bittet er seine Frauen um Vergebung.
Nichts Besseres konnte diesem jungen Jahr widerfahren, als dass aus der Kakophonie um den Nationalbankpräsidenten, dem Gebell seiner Gegner und dem Pfeifen der Whistleblower eine Stimme auftauchte, auf die wir lange gewartet haben: die Stimme Leonard Cohens. Gewartet haben wir wider besseres Wissen und entgegen den Wahrscheinlichkeiten der menschlichen Biologie, wonach das Alter der Beginn des Rückzugs, der schweigsamen Weisheit und der wohlverdienten Müdigkeit sei. Leonard Cohen ist heute 77 Jahre alt und man weiss, dass er seine letzten Tourneen auch unternommen hat, um das finanzielle Loch, das der schnelle Abgang seiner raffgierigen Agentin in seine Altersversorgung gerissen hat, zu stopfen.
Unverbrauchte Eleganz
Der Meister – auch das ein Alterswort, das ihn milde verfehlt – der Meister war mit seinem Koffer voller Songs, aufgefrischt von einem formidabel aufspielenden Ensemble, voller Energie und Eloquenz um den halben Erdball getourt und hatte bei seinem Publikum tiefe musikalische Engramme hinterlassen. Mit seiner Mischung aus unverbrauchter Eleganz, nimmermüder Männlichkeit und (selbst-)ironischem Pathos hat der Fischer in den Jagdgründen vieler Stile und Generationen neues Publikum für sich gewonnen.
Bei meinem letzten Konzert in der St. Jakobshalle stand ich neben meinen halbwegs ergrauten und in den Mundwinkeln lächelnden Altersgenossen und -genossinnen, deren Kinder spätestens nach dem dritten Song mitgingen. Ich schrieb damals, Cohen sei eine «Biografiemaschine», die einen von den frühen Songs wie «Suzanne» und «The Partisan» durch den Erinnerungsstaub wirbelt. Ich schrieb, dass er mit «Democracy», lange vor unserem Überdruss an den Weltreichen, sich blasphemisch die Mauer zurückwünschte, den Weltuntergang melodiös in Kauf nahm und uns Männer, als ewiger Liebling der Frauen einen Vorsprung geniessend, in die Emanzipationsschlaufe des Multitasking schickte: «I’m your man». Da die männliche Emanzipation im Schlick des neokonservativen Rollback steckenblieb, verkörpert Cohen noch immer die annehmbarste Art von Männlichkeit; viril und selbstironisch.
Ohne Hauch der Vergänglichkeit
Über Jahrzehnte hinweg blieb er ein Wahrsager der eigenen Sehnsüchte. Deshalb sind viele bereit, an die Ewigkeit zu glauben, an das Versprechen der Musikindustrie, ja der Kulturindustrie, dass Altern nur ein Gerücht ist und dass eine goldene Stimme vom kalten Hauch der Vergänglichkeit unberührt bleibt. Gerade das langsame Verglühen von Bob Dylan, dessen Stimme zu unserem Leidwesen allmählich zu einem blechernen Tröten zusammenschnurrte, hat uns die unausweichlichen Folgen des Alterungsprozesses zu Ohren gebracht.
Abgesänge der schönsten Art
Nun erscheint ein neues Album von Leonard Cohen mit dem spöttischen Titel «Old Ideas». Zehn Stücke, zum Teil aus früheren Zeiten stammend, zum Teil weiterentwickelt aus Liveauftritten, zum Teil in den Archiven gefunden. Im Ton heiterer als das letzte Album «Dear Heather» (2004).
Es sind Abgesänge der schönsten Art, zuweilen zartbitter, aber durchaus von der bekannten Doppelbödigkeit: «Old Ideas» – das klingt ein wenig nach abgestandenem Gedankengut, überholtem Ingenium, ranziger Butter. Wäre da nicht wieder die vertraute Ironie des Selfperformers. Der initiale Song «Going home» entrollt sogleich einen komplexen, hintersinnigen Teppich, der sich auch als Abschiedsgruss lesen lässt: «I love to speak to Leonard, he’s a sportsman and a shepherd, he’s a lazy bastard living in a suit.» Es ist das Selbstgespräch eines Künstlers, der den Abschied nahen spürt. Während der eine Teil seines Selbst immer weiter seine Liebeslieder, seine Vergessenshymnen (anthem of forgiving) und sein «manual for living with defeat» zum Besten geben will, weiss der andere Teil, dass das grosse Heimgehen bevorsteht. Und dieses «memento mori», wenn man so will, bildet denn auch den Refrain: «Going home without my sorrow … going home where it is better than before. Going home without my burden, going home behind the curtain, going home without the costume I wore.»
Biblische Wendungen
Die Verse jonglieren in nüchternem Bass mit biblischen Wendungen und blenden zurück auf andere Songs, sie etablieren zwanglos eine Ebene des Zeitlosen. Aber «Going home» ist eben auch so kunstvoll gestaltet, dass der Refrain nur einen Teil des Selbstgesprächs bildet, während der andere trotzig vom Weitersingen kündet.
Ohne Federlesen findet Cohen in «Old Ideas» zurück zu seinem Kerngeschäft, dem Gesang über die Bitterkeiten der Liebe und dem Leben; er huldigt dem Schmerz der Trennungen und bittet – man sieht den ironischen Kratzfuss förmlich – seine Frauen noch einmal um Vergebung. Es gibt Lieder wie «Banjo», die wirken ein wenig aufgetaut, andere wie «Anyhow» klingen etwas verhärmt und abgekocht.
Altersweise und altershalber
Im gesamten ist die CD wärmer, durchbluteter, heller und heiterer als die Alben der Nuller-Jahre. Da schwingt nicht nur Altersweisheit, sondern auch Altersheiterkeit mit, jenes ruhig abgeklärte Aufräumen («Come Healing») oder jene Poesie der langen Nächte im sehnsüchtigen Wiegenlied «Lullaby». Und da gibt es auch jenen Song, der unverkennbar das Zeug zum Ohrwurm hat, jenem Echo, das nicht durch schnelles Hinhören, sondern erst durch geduldige Gewöhnung entsteht, die schon immer einen Teil des Suchtpotenzials seiner Musik ausmachte: «The Darkness» – «I caught the darkness / It was drinking from your cup / …/ I said ‹is it contagious?› / You said ‹just drink it up›.»
Dieses Gedicht von stiller, rhythmisch präziser Eindringlichkeit beschreibt die Dunkelheit als Teil seines Lebens, seiner Musik, seiner Gedichte. Man könnte sie Depression nennen, besser Melancholie, die er nie anders denn als produktiven Teil seiner Kreativität verstanden hat. Sie hat, dialektisch, der Liebe den Schatten, dem Glück die Bitterkeit und selbst dem Kitsch jenes Gramm Intelligenz beigegeben, die es für wahre Momente braucht.
Als er älter geworden sei, so liess er sich sinngemäss verlauten, habe er die Anweisungen seiner Stimme verstanden: sich nie zu beklagen. Und wenn man gezwungen sei, die unausweichliche Niederlage, die uns alle erwartet, auszudrücken, dann dürfe dies nur strikt innerhalb der Grenzen von Würde und Schönheit geschehen. Für dieses Quantum Schönheit kann die Ewigkeit nicht lange genug dauern.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 20/01/12