Die Gemeinde Riehen lässt vier Wandbilder einer bekannten Künstlerin übermalen – gegen deren Widerstand: Ein häufiger Konflikt bei Kunst am Bau. Die Stadt Basel will ihn künftig mit einem Standard-Vertrag umgehen.
Am Basler Steinengraben 19 steht ein Mann mit dem Rücken zur Wand. Er blickt vorsichtig um die Ecke des Gebäudes der National Versicherung, als wolle ihm jemand an den Kragen. Das Graffito ist kein Werk eines nächtlichen Sprayers, sondern des renommierten Churer Künstlers Robert Indermaur. Und an den Kragen will ihm (vorerst) niemand.
Das ist keineswegs selbstverständlich. Kunst am Bau und namentlich solche im öffentlichen Raum gibt immer wieder Anlass zu Konflikten und Verstimmung. Nicht nur aufgrund öffentlichen Missfallens und unmittelbar nach der Schöpfung wie im Fall des Freskos von Alfred Heinrich Pellegrini am Stadtkasino, das im Oktober 1941 mit Farbbeuteln verunstaltet wurde, oder Michael Grosserts Plastik «Lieu dit» an der Heuwaage, die 1976 mit schwarzer Farbe verschandelt wurde.
Vergammeln lassen ist okay
Häufiger noch bricht ein Konflikt erst viel später aus, und zwar zwischen Eigentümer und dem Künstler. Denn entgegen der gängigen Meinung haben Kunstbesitzer keine uneingeschränkte Eigentumsrechte an den Werken, die sie gekauft oder in Auftrag gegeben haben. Nicht einmal dann, wenn es sich um Kunst am Bau handelt, die spezifisch für ein Objekt konzipiert wurde. Der auf Kunst- und medienrecht spezialisierte Anwalt Bruno Glaus fasst es sehr knapp zusammen: «Man kann Kunst (am Bau) vergammeln lassen, aber nicht entstellen; man kann sie zerstören, aber nicht ohne Zustimmung des Künstlers verpflanzen, sofern sie für den Ort geschaffen wurde, an dem sie steht.»
Das hat eben die Gemeinde Riehen erfahren, die vier grosse Wandbilder in ihrem Restaurant «zum Schlipf» übermalen lassen wollte, weil der neue Pächter eine neue Innengestaltung wünschte. Die Gemälde der Baslerin Elisabeth Masé, welche die in Berlin lebende Künstlerin vor rund fünfzehn Jahren angefertigt hat, spielten auf vier grossen, roten Flächen verschiedenen Anordnungen der sechs Backsteine aus dem Riehener Wappen. Am Montag wurden sie übermalt.
Masé, von der Gemeinde vor einem knappen Monat per Mail auf die bevorstehende Zerstörung des Werks hingewiesen, setzte sich zur Wehr: Sie schlug vor, die Bilder abzudecken. Und als der Gemeinderat darauf nicht eintreten wollte, bot sie nach eigener Aussage die Rekonstruktion an anderer geeigneter Stelle an.
Dabei gehe es ihr nicht um ihre eigene Eitelkeit, sagt die Künstlerin. Vielmehr stört es sie, dass ein Werk, das von der Kunstkommission mit Geldern der Gemeinde bestellt und erschaffen worden war, ohne Konsultation der Sachverständigen oder auch der Riehener Steuerzahlern, denen es letztlich gehört, aus der Welt geschaffen werde. Ihr Rekonstruktions-Angebot steht derzeit noch im Raum.
Basel-Stadt will solche Konflikte künftig im Vornherein ausschliessen: mit einem Standard-Vertrag für Kunst am Bau, der die Rechte beider Seiten detailliert festhalten soll. Details will das Baudepartement noch nicht bekanntgeben.
Abgesehen von Kommunikationspannen ist in Riehen allerdings alles rechtens. Zwar muss ein Kunstbesitzer ein Werk, das er nicht mehr will, dem Künstler zur Rücknahme anbieten. Wenn das allerdings nicht geht, weil es sich um eine feste Installation oder eben Kunst am Bau handelt, dann darf er es zerstören: Die Schöpferin muss vorher benachrichtigt werden, damit sie ihre Arbeit wenigstens so dokumentieren kann, dass sie sie allenfalls rekonstruieren könnte.
Dass aber auch das nicht immer geschieht, hat Elisabeth Masé bereits erfahren müssen: Ihr «Weisser Platz» vor dem AHV-Gebäude in Binningen ist von der Besitzerin beim Neubau sang- und klanglos abgerissen worden. Ihre Anfrage über Gründe und Vorgehen sei höchst unwirsch beantwortet worden.
Dabei müssten sich Eigentümer von Kunstwerken bewusst sein, dass sogar Schadenersatz fällig werden kann, wenn sie «ihr» Kunstwerk ohne Nachricht an den Künstler zerstören: Die (zollfrei-) Gemeinde Samnaun musste dem Aktionskünstler Roman Signer mehrere tausend Franken Genugtuung für «seelische Unbill» bezahlen, nachdem sein «Schnapstor» am Gemeindeeingang von einem Bagger zerstört worden war.
Nachvollziehbar werden solche gerichtliche Entscheidungen spätestens dann, wenn es um weitere Verwertungseinnahmen der Künstler geht. So wehrte sich das Duo Com&Com gegen den Abbau seines Konzeptkunstwerks «mocmoc» in Romanshorn auch deswegen, weil bereits Merchandising-Verträge abgeschlossen worden und Einnahmen aus mocmoc-Pralinés, T-Shirts und CDs flossen. Den Fall nahm Autor und Anwalt Bruno Glaus, Verfasser des Buchs «Kunstrecht», zum Anlass für eine ausführliche Betrachtung.
«Höchstrichterliche Entscheidung zur Frage der Zerstörung eines fest installierten Kunstwerks fehlen, weil bisher immer eine Lösung gefunden wurde, sofern der Künstler vor der Zerstörung wie vom Gesetz vorgeschrieben in den Prozess einbezogen wurde», sagt Werner Stauffacher, Vizedirektor der Verwertungsgesellschaft ProLitteris.
Ausserdem, wirft Stauffacher ein, könne man «aus den Artikeln des Urheberrechts nicht direkt ableiten, dass ein Werk auf immer und ewig bestehen wird.»
Sind Graffiti Werke?
Dieser Meinung sind sogar bisweilen Künstler selber: Der Basler Daniel Reichmuth, Mitglied der Kunstkreditkommission, hält den Anspruch auf permanente Erhaltung für überholt: «Kunst im öffentlichen Raum stellt unter anderem die Frage nach Vergänglichkeit.»
Noch spannender als die Frage, ob Kunst am Bau «weg kann», ist eigentlich diejenige, ab wann sie Schutz geniesst: Laut Urheberrecht ist es jede kreative Schöpfung einer gewissen Originalität. Und wie sieht das aus für die teilweise sehr originellen Graffiti, die illegal gesprayt werden? Für Werner Stauffacher ist diese Frage «ein höchst interessanter juristischer Grundrechtskonflikt. Als Urheberrechtler sage ich, dass auch ein Graffito auf einer fremden Hauswand einen Urheberrechtsschutz geniesst, sofern es die Voraussetzungen für die Werkqualität erfüllt.»
In Zürich wurde die Frage anders beantwortet: Die noch erhaltenen Sprayereien von Harald Nägeli geniessen seit 2004 sogar hochoffiziellen Denkmalschutz.