Sie war eine der markantesten Stimmen der Sixties und gehörte am Ende zu den tragischen Ikonen der Hippiekultur: Janis Joplin (1943–1970). Ein neuer Dokumentarfilm zeigt nun auf, warum sie den Blues hatte. Allerdings gelingt das nur streckenweise überzeugend.
Als Letzte trat Amy Winehouse dem «Club 27» bei, diesem traurigsten Club der Rockmusik. Die britische Soul-Sängerin kam 2011 ums Leben, im Alter von 27 Jahren – sie starb damit genau so jung wie Janis Joplin, Jimi Hendrix und Jim Morrison im denkwürdig traurigen Jahr 1970.
All diesen genialen Musikern gemein war das Pendeln zwischen Erfolg und Einsamkeit, Rausch und Rekorden. Doch während Amy Winehouse ihr Leben und Sterben in aller Öffentlichkeit führte, verfolgt von Paparazzi und dokumentiert von Handyvideos, war Janis Joplins Lifestyle eingebettet in eine ganze Bewegung, schien sie aufgehoben in einer Hippie-Community, zu der damals in den Sixties halb Kalifornien gehörte.
Man sprach vom «Summer of Love», von der Entfesselung einer jungen Generation, die ihren Traum von Freiheit lebte und dabei der Wirklichkeit entfloh. Mithilfe der Musik – und der Drogen. Wo eine WG war, war auch ein Dealer. Bis zum Ende der Dekade sah darin kaum jemand ein Problem. Bis 1970 die Ikonen starben. Kurz vor ihrer Heroin-Überdosis hatte Janis Joplin noch ihren Eltern geschrieben: «Dear Family, ich habe meinen 27. Geburtstag hinter mich gebracht, ohne ihn wirklich zu spüren.»
«Der hässlichste Mann auf dem Campus»
Dass Janis Joplin sich betäubte, hat mit Verletzungen zu tun, die ihr bereits als Schulmädchen zugefügt wurden: Sie war das burschikos wirkende Entlein, das von keinem Jungen für die «Prom Night» angefragt wurde. Im Gegenteil, ein paar Studenten an der University of Texas wählten sie zum «hässlichsten Mann auf dem Campus». Das sass, das knickte sie nachhaltig, wie sich ein Jugendfreund im neuen Dokumentarfilm «Janis – Little Girl Blue» erinnert.
Janis ertränkte ihren Schmerz in den Bars, sie war laut, unternehmungslustig, «she was trouble». Und sie war im falschen Staat zu Hause. Heimatgefühle entwickelte sie nicht in Texas, sondern in Kalifornien, in San Francisco, dem Hippie- und Drogenmekka dieser Zeit. Hier fühlte sie sich geborgen. Allerdings trug sie ständig einen inneren Konflikt mit sich herum, fühlte sich nicht begehrt, ihre Selbstsicherheit war wacklig – zumindest, wenn sie nicht am Mikrofon stand und sang.
Sie war sich selbst nicht genug
Ihre unglücklichen, oberflächlichen Beziehungen zu Männern werden im Film leider nur angedeutet, gerne hätte man mehr darüber erfahren. Auch verschweigt uns Regisseurin Amy Berg, dass sich Joplin am Ende ihres Lebens in den jüngeren Kokaindealer Seth Morgan verliebte. Stattdessen wird vor allem die Beziehung zu David Niehaus näher beleuchtet, einem Traveller, mit dem sie glückliche Wochen verbrachte, der sie aber aufgrund ihres ungesunden Lebensstils verliess. Seine Erzählungen erschüttern, ebenso die privaten Bilder. Doch bleibt auch einiges unklar. Etwa die Rolle von Peggy Caserta, einer Geliebten und Freundin von Janis Joplin. «Sie hat Janis‘ Drogenkonsum eher ermöglicht als verhindert», sagt Gitarrist Sam Andrew einmal im Film. Mehr ist aber nicht zu erfahren. Schade. In Zeitungsinterviews sprach er schon deutlicher und schonungsloser über diese wilde Zeit.
Doch immerhin dringt durch, dass Janies Joplin oft an Einsamkeit litt, während ihre männlichen Bandkollegen nach einem Konzert oder einem Studiotag mit einem Mädchen abrauschten. «You can’t imagine, how hard it is to be me», schrieb sie ihrer Familie in einem ihrer Briefe – Briefe, die sie sowohl verletzlich als auch stark zeigen. Mal erzählte sie darin stolz von ihren Erfolgen, den Plattenverträgen, den Zeitungskritiken. Mal manifestiert sich aber auch ihre Unsicherheit, ihr Schrei nach Liebe – der uns bis heute einfährt und erahnen lässt, mit welcher Kraft sie Zuneigung gesucht hat – und wie sehr sie konstantes Pech und Unglück aufgerieben haben müssen:
Als Sängerin von Big Brother and the Holding Company entwickelte Janis Joplin ihr Gesangstalent ab 1966, wurde zur weissen Antwort auf Aretha Franklin. Sie überführte Soul und Blues auf herzzerreissende Weise in die psychedelische Ära und setzte Klassikern wie George Gershwins «Summertime» eine dermassen eigenwillige Note auf, dass ihre Version zum Massstab für ganze Generationen wurde.
Später, mit wachsendem Erfolg, stiegen ihre Ambitionen und diejenigen ihres Business-Umfelds, Joplin wurde Leaderin der Kozmic Blues Band. Doch nach diesem rauschhaften Aufstieg war sie auch anfälliger, was den Konsum harter Drogen anging. Und zuletzt, wenige Tage nachdem sie «Me and Bobby McGee» und «Mercedes Benz» aufgenommen hatte, kostete sie eine Überdosis das Leben. Man fand sie in ihrem Motelzimmer, neben dem Bett.
Auch wenn Janis Joplins Gesang unter die Haut geht, auch wenn sie es verdient hat, in einem (weiteren) Film verewigt zu werden: Man hätte sich weniger authentisch verwackelte Amateuraufnahmen gewünscht und dafür eine gründlichere Einordnung aus heutiger Sicht. Da viele Zeitzeugen aber längst nicht mehr leben, kommt dieser Film ein paar Jahrzehnte zu spät. Denn wären da nicht die Briefe an ihre Familie, man müsste anstelle des Kinobesuchs die Biografie von Myra Friedman empfehlen, die detaillierter, tiefgründiger und aufwühlender ist.
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«Janis – Little Girl Blue» läuft ab 14. Januar u.a. im Basler Kino Atelier.