«Passengers»: Jennifer Lawrence steht auf Stalking?!

«Hunger Games»-Star Jennifer Lawrence macht sich für Frauenrechte stark. Ihre Rolle im SciFi-Film «Passengers» hinkt dem feministischen Selbstverständnis allerdings um Lichtjahre hinterher.

Wir lieben Persönlichkeiten, die wissen, was sie wollen. Erst recht, wenn sie ihren Willen so scheinbar unangestrengt bekommen. 

«Als ich klein war, hatte ich eine normale Vorstellung davon, was ich wollte», liess sich die heute 26-jährige Jennifer Lawrence in der «Vogue» zitieren: «Ich würde eine Mutter sein, eine Ärztin, und ich würde in Kentucky leben. Aber ich habe schon immer gewusst, dass ich berühmt werde.»

Diesseits des Atlantiks nahm man dieses unwiderstehliche Talent zum Ruhm erstmals 2010 wahr, als die knapp 19-jährige Lawrence ein verwildertes Mädchen mit Pfeil und Bogen im Crystal-Meth-verseuchten Hinterland der USA spielte, wo sie Eichhörnchen jagte und ihren verschollenen Film-Vater suchte. Das Publikum war sich einig: Die blonde Amazone in «Winter’s Bone» hat das Zeug zum Star.

Die Rolle ihres Berufslebens

Und Lawrence war entschlossen, diese Erwartungen zu erfüllen. Als Kind war sie eine lausige Schülerin, verhaltensauffällig und alles andere als verzärtelt: Weil ihre Mutter sie für zu grob hielt, trainierte Lawrence im Sportunterricht mit den Jungs. Als Neunjährige spielte sie ihre erste Theaterrolle (eine Prostituierte), mit 15 schmiss sie die Schule, um Schauspielerin zu werden.

Lawrence zog mit ihrer Mutter an die Westküste, Medikamente und Therapien brauchte sie ab da nicht mehr: «Sie ist glücklich», meldete die Mutter ins heimische Kentucky, und dabei blieb es. Lawrence wechselte vom Fernsehen zum Film, wurde mit Kritikerlob überschüttet, stolperte charmant zu einem Oscar («Silver Linings Playbook») und brachte es als Katniss Everdeen in «The Hunger Games» zu Weltruhm.

Der Grosserfolg der «Hunger Games» verdankte sich nicht zuletzt dem Umstand, dass Lawrence sich sozusagen selbst spielte. Die dystopische Geschichte um eine Rebellin in den Fängen einer menschenverachtenden Unterhaltungsmaschinerie spiegelte den Kampf der Schauspielerin gegen die Vereinnahmung durch das Showbusiness (Stichwort: Schlankheitswahn) und die Verletzung ihrer Intimsphäre.

Als private Nacktaufnahmen von ihr gehackt wurden, bezeichnete Lawrence den Übergriff als «sex crime»: «Das ist mein Körper, meine Entscheidung, und die Tatsache, dass es nicht meine Entscheidung war, ist widerwärtig.» Ungnädig fiel auch Lawrences Kommentar zu Donald «pussy grabber» Trump aus: «Lasst euch davon nicht unterkriegen», schrieb die Clinton-Supporterin nach der verlorenen Wahl, «werdet wütend!»

Klagen auf hohem Niveau

Wütend ist Lawrence spätestens, seitdem sie erfahren hat, dass ihre männlichen Mitakteure im Grosse-Buben-Film «American Hustle» (2015) mehr kassierten als sie selbst: «Fuck that.» Sie klage auf hohem Niveau, räumte die bestverdienende Schauspielerin des Jahres 2015 ein (52 Mio. US-Dollar), aber sie weiss eben auch, dass die Lohnungleichheit alle Frauen trifft.

Für die SciFi-Rom-Com «Passengers» hat sich Lawrence deshalb eine höhere Gage ausbedungen als Co-Star Chris Pratt («Jurassic World»), und die Frage nach ihrem aussergewöhnlichsten Sexerlebnis beantwortete die sonst so redefreudige Lawrence auf ihrer Promotionstour mit eisigem Schweigen.




Hier dürfen auch Androiden noch Männer sein: Michael Sheen (links) und Chris Pratt an der Bar.

Unter diesen Vorzeichen müsste «Passengers» nur so vor weiblicher Selbstermächtigung strotzen, richtig?

Falsch geraten.

Wegen Überbevölkerung hat sich die Menschheit der Zukunft darauf verlegt, fremde Planeten zu kolonisieren, zahlungsfreudige Auswanderer werden mit dem Versprechen auf einen Neustart und unbegrenzten Raum geködert. Und da ist sie wieder, die Eroberungsfantasie vom jungfräulichen Westen, in den das Raumschiff «Avalon» mit halber Lichtgeschwindigkeit vorstösst.

An Bord des interstellaren Frachters: 5000 Passagiere im Winterschlaf. Die Reise dauert 120 Jahre, doch ein Meteorhagel weckt einen der Passagiere (Pratt) vorzeitig auf. Da sitzt der Ingenieur nun, gestrandet auf einem riesigen Schiff, mit der Aussicht auf 90 Jahre Einsamkeit. Aus den Art-déco-Kulissen des Luxusgefängnisses, zu dem auch ein sprechender Android in Gestalt eines Barmannes (Michael Sheen) gehört, winkt der Wahn wie seinerzeit in Stanley Kubricks «The Shining».

Doch liegt da eben auch Jennifer Lawrence in ihrem Dornröschen-Glassarg und wartet darauf, von einem Prinzen wachgeküsst zu werden. Der Ingenieur schwärmt dem Androiden vom tollen Charakter der schlafenden Schönen vor – das Drehbuch macht aus ihr sinnigerweise eine Schriftstellerin, eine öffentliche Person also, deren Gedanken der Passagier gründlich studieren kann.

Die Autorin bringt ihn zum Lachen, noch bevor sie ein einziges Wort gesprochen hat, und wir sollen glauben: Da ist nichts Grusliges dran an der Obsession des Ingenieurs.

Bis an die Grenzen

Als er wieder einmal um die Schlafende schleicht, öffnet diese ihre sexy Schlupflider-Augen, und die Balz verläuft nach bewährtem Muster: Annäherung, erstes Date, erster Kuss, kosmische Eruptionen der Leidenschaft. Dann muss der Film seinen dramatischen Kurs neu berechnen.

Das Thema Ausbeutung wird kurz gestreift, immerhin befindet sich das Paar auf einem kommerziellen Seelenfänger, der seine Besatzung in die finanzielle Verschuldung schickt. Neoliberale Schubkräfte, Rückzug ins Private – der Film schrammt nonchalant an der Möglichkeit zur Systemkritik vorbei.

Doch «Passengers» wurde als Romanze entworfen, die nicht nur an die Grenzen des bekannten Universums geht, sondern auch über die Genrekonventionen hinweg: Der massive Übergriff, mit dem die Liebesgeschichte beginnt, richtet mehr Schaden an als jeder Meteor. Der Film veranstaltet in der zweiten Halbzeit deshalb viel Action-Getöse, um die Schriftstellerin trotz aller berechtigten Vorbehalte in die Arme ihres Stalkers sinken zu lassen.

Jennifer Lawrence würde diese miese Weltall-Tour nie dulden.

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