Jessica Chastain: Nicht gross, nicht blond – dafür grossartig

Seit vier Jahren gehört Jessica Chastain zu den auffälligsten Frauen in Hollywood. Zu Recht: In «A Most Violent Year» spielt die Schauspielerin ihre männlichen Kollegen an die Wand.

Seit vier Jahren gehört Jessica Chastain zu den auffälligsten Frauen in Hollywood. Zu Recht: In «A Most Violent Year» spielt die Schauspielerin ihre männlichen Kollegen an die Wand.

Es gibt diese eine Szene im Film «A Most Violent Year», da zögert der Mann, dem soeben angefahrenen Hirsch den Gnadenstoss zu versetzen. Da knallen drei Pistolenschüsse, abgefeuert von seiner Frau. Ihre Lippen umspielt danach ein feines Lächeln, gepaart mit dem Gesichtsausdruck, der nichts anderes besagt als: Was bist du doch für ein Waschlappen. Verkörpert wird die Frau namens Anna Morales von Jessica Chastain. Und es sind Szenen wie diese, welche die 38-Jährige zu einer der aktuell spannendsten Schauspielerinnen Hollywoods machen.

Vor 2011 kannte niemand die rothaarige Kalifornierin. Dann war sie plötzlich omnipräsent, in gleich sechs Filmen stellte sie in jenem Jahr ihre Wandelbarkeit unter Beweis, und man fragte sich: Wie konnte man diese Frau bisher übersehen?

In Terrence Malicks «A Tree of Life» fiel sie uns zuerst auf, ein bildgewaltiger, wenn auch etwas blutleerer Film, in dem Chastain neben Brad Pitt eine fürsorgliche Mutter verkörperte. Mit ihrem blassen Teint passte sie perfekt in die weichgespülte Szenerie und die lavendelfarbenen Kleider. Zuvor war es genau dieser Teint gewesen, der sie grössere Rollen gekostet hatte – ist sie selber überzeugt: «Hollywood wusste schlichtweg nichts mit mir anzufangen», sagte sie Anfang März in einem Interview der «Frankfurter Allgemeinen Sonntags-Zeitung». «Ich war nicht gross, blond und braungebrannt.»

Für die Nebenrolle der Celia Foote in «The Help» stülpte sich die Abgängerin der renommierten Juilliard-Schauspielschule in New York eine platinblonde Perücke über und legte sich eine naive Piepsstimme zu. Dafür wurde sie prompt für einen Oscar nominiert – eine Ehre, die ihr 2013 später für ihre Rolle als CIA-Analytikerin auf der Jagd nach Bin Laden in «Zero Dark Thirty» erneut zuteil wurde.

Die Rollen, die man Chastain unterdessen anbietet, haben etwas gemein: Immer spielt sie starke Frauen, auch wenn sich deren Stärke manchmal erst auf den zweiten Blick offenbart wie im Falle der Celia Foote. Auch bei Anna Morales merkt man erst nach einer gewissen Zeit, dass sie diejenige ist, die in der Ehe die Hosen anhat. Die auch mal skrupellos sein kann. Die ihre Krallen ausfährt – in Form von drei Zentimeter langen künstlichen Fingernägeln, die auf den ersten Blick klarmachen, dass diese Frau sich keinen Deut für Hausarbeit interessiert.

Die zentrale Figur des Filmes ist eigentlich Annas Mann Abel Morales (gespielt von Oscar Isaac). Er ist im umkämpften Heizöl-Geschäft tätig und sieht sich mit der zunehmenden Kriminalität in New York im Jahr 1981 konfrontiert. Seine Öltrucks werden regelmässig überfallen, die Fahrer verletzt und das Öl geklaut. Im Verdacht stehen (natürlich) seine Konkurrenten. «A Most Violent Year» ist eine Art Gangsterfilm, ohne grosse Actionszenen, aber voller Korruption und Gewalt. Jeder kämpft hier für sich, keiner ist dem anderen gegenüber ehrlich. Sogar der Staatsanwalt, der wegen Steuerhinterziehung gegen Morales ermittelt, denkt nur an den eigenen Vorteil. Kein nettes Milieu, kein Milieu für Frauen. Trotzdem wäre der Film ohne Jessica Chastain nicht halb so gut, ist ihre Figur doch für die Ausgewogenheit unabdingbar.

Im «Telegraph» sagte Chastain zu ihrer Rolle als Anna Morales: «In einem schönen Sinne ist sie ein bisschen wie eine Schlange. Anna liebt es, mit dem mächtigsten Mann im Raum zusammen zu sein, weil sie versteht, dass in den 1980er-Jahren New York City eine Männerwelt war. Und wenn er nicht der Mächtigste ist im Raum, dann ist sie es – nur ist sie es nicht offensichtlich.» Wobei Anna durchaus klare Worte sprechen kann, beispielsweise, wenn es darum geht, dem gegen ihren Mann ermittelnden Staatsanwalt ein bisschen Respekt beizubringen. Widersprechen mag ihr dann keiner.

Inzwischen kann Chastain, die in Hollywood zuerst nur als Leiche in Krimiserien besetzt wurde, sich ihre Rollen aussuchen. Und auch ihre Haarfarben: Natürlich rothaarig war sie kürzlich in «The Disappearance of Eleanor Rigby» und Christopher Nolans «Interstellar» zu sehen, rotblond ist sie nun als Anna Morales in «A Most Violent Year». In «Crimson Peak» von Guillermo del Toro wird sie kommenden Herbst braunhaarig auftreten – und im Moment steht sie als Marilyn Monroe erneut mit platinblondem Schopf vor der Kamera.

Dass Jessica Chastain nun für Furore sorgt, hat sie Al Pacino zu verdanken. Er hatte sie als Bühnenpartnerin für die Titelrolle in Oscar Wildes «Salome» engagiert und war von ihrer Performance so entzückt, dass er sie an Terrence Malick vermittelte. Diesen wiederum überzeugte sie derart, dass er sie weiteren Kollegen ans Herz legte. Und plötzlich standen alle Türen offen.

Inzwischen hat Chastain rund 70 Preise gewonnen, darunter einen Golden Globe für «Zero Dark Thirty». Über ihr Privatleben schweigt sie still – sie wolle, dass die Leute sie über ihre Rollen definieren, sagte sie einmal. So weiss man nur, dass sie sich als Feministin bezeichnet, Veganerin und mit jemandem aus der Modebranche liiert ist. Lieber redet sie über ihre Vorbilder: Liv Ullmann beispielsweise, und vor allem Isabelle Huppert, die in «The Disappearance of Eleanor Rigby» ihre Mutter spielte. Und dass sie davon träume, mit europäischen Filmemachern zu drehen, zum Beispiel mit Michael Haneke.

Noch bleibt das ein Traum. Trotzdem werden wir in naher Zukunft viel von ihr hören: Für die Jahre 2015 und 2016 sind gleich sieben Filme mit ihr angekündigt.

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«A Most Violent Year» läuft ab dem 9. April in den Basler Kinos.


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