«Just like Marijuana leads to Heroin»

Das Theater Basel präsentiert die «Freischütz»-Adaption «The Black Rider – The casting of the magic bullets» des Star-Dreigespanns Robert Wilson, Tom Waits und William S. Burroughs als rauschartig-skurrile Revue mit einem fulminant aufspielenden Schauspiel- und Sängerensemble und einem Spezialauftritt der Guggemuusig «Gülle-Schlüch» als dämonisch-gruseliges Jagdorchester.

Finstere Gesellschaft (Michael von der Heide, Jörg Schröder und Rainer Süßmilch) (Bild: Tanja Dorendorf)

Was wäre, wenn man sich den spätromantischen Opernklassiker «Der Freischütz» auf einem LSD-Trip zur Gemüte führen würde? Etwa so kommt die Adaption des Stoffes durch Robert Wilson, Tom Waits und William S. Burroughs auf der Grossen Bühne des Theater Basel daher.

Manchmal kann der Charakter des Schlussapplauses nach einer Premiere einiges über das Vorangegangene aussagen. Während die vornehmlich älteren Zuschauerinnen und Zuschauer auf den teuren Plätzen in der Mitte des Parketts ihre zurückhaltend klatschenden Hände bald schon nach Schluss der Aufführung müde zurück in den Schoss legten, wurde darum herum noch lange und vor allem kräftig weiterapplaudiert. So kräftig, dass sich sogar auf den finsteren Mienen der Guggemusiker der «Gülle-Schlüch» ein freudiges Lächeln breitmachte. Der Applaus galt aber vor allem dem fulminant aufspielenden Ensemble, allen voran Max Hopp, Jelena Kuljc, Michael von der Heide und Vincent Leittersdorf in den Hauptrollen, und den souveränen Multiinstrumentalisten der Band «Dr. Nic and the Green Bullets».

Vorausgegangen war die zweistündige Aufführung von «The Black Rider – The casting of the magic bullets» des US-amerikanischen Star-Dreigespanns Robert Wilson, Tom Waits und William S. Burroughs. Der Meister der übergross-pathetischen Bühnengesten, der Sänger und Komponist der hintersinnig-gebrochenen Rock-Balladen und der literarische Grossvater der Beat-Generation hatten sich Ende der 1980er-Jahre zusammengesetzt, um die gruselige Volkssage «Der Freischütz» als revueartige Schauerballade über die gottlose Generation X auf die Bühne zu bringen (Uraufführung 1990 im Hamburger Thalia-Theater). Bekannter ist der Stoff aber nach wie vor als Geschichte in der gleichnamigen spätromatischen Oper von Carl Maria von Weber.

Urromantisches Schauermärchen

Diese ist so simpel wie faszinierend und urdeutsch-romantisch zugleich: Der Amtsschreiber oder hier Buchhalter möchte seine geliebte Förstertochter Käthchen heiraten, stösst aber als Versager in Waidmannsdingen auf einen Brautvater, der die Hand seiner Tochter nur einem Burschen überlassen möchte, der mit dem Jagdgewehr umzugehen weiss. Also muss der schiessunkundige Freier die Hilfe des Teufels annehmen, der ihn mit Zauberkugeln ausstattet, die immer treffen. Dass der Pakt mit dem Antichristen einen Haken hat, ist klar. Die letzte Kugel trifft nämlich in das vom Teufel vorgesehene Ziel, ins Herz der beinahe schon gewonnenen Braut.

Wilson/Waits/Burroughs haben das urromantische Schauermärchen zu einer Art Drogen-Allegorie umgemünzt nach dem Motto: «Just like Marijuana leads to Heroin». Wer einmal eine Zauberkugel geladen hat, kommt nicht mehr von ihr los, bis sie alles zerstört, was man eigentlich damit erreichen wollte und einem gut und lieb war.

In der Basler Aufführung wiederum wird ein Schritt zurück gemacht zur ursprünglichen Geschichte. Die Ausstattung (Ralf Käslau) wirkt wie eine überdimensionierte Jägerstube – mit Bretterverschlägen, einer grossen Treppe, einer Bar und in einer erhöhten Ebene untergebrachten Nischen für Nebenschauplätze – sowie einem kleinen Orchestergraben auf der linken Bühnenhälfte. Das Ganze sieht so aus, als hätte Christoph Marthalers Leibausstatterin Anna Viebrock ein Bühnenbild für den «Freischütz» geschaffen. Ganz auf Försterwelt und dämonischen Polterabend abgestimmt sind auch die Kostüme von Sabine Blickenstorfer.

Der Teufel als Chansonnier

Es ist also (zum Glück) nichts mit einem Franchising-Produkt, wie die Beschreibung «Regie und Stage Design der Originalproduktion von Robert Wilson» im Programmheft suggerieren könnte. Regisseurin Corinna von Rad beweist in ihrer Inszenierung ein sicheres Gefühl für skurril-komische Bildkompositionen, die stimmig mit der wunderbaren Musik von Tom Waits korrespondieren, die mit scheinbar munteren Tonfolgen schauerliche Geschichten erzählt. Sie hat aber vor allem ein wahrhaft gutes Händchen in der Besetzung der personellen Produktion an den Tag gelegt. Mit dem Chansonnier Michael von der Heide hat sie einen Teufel (Stelzfuss) auserkoren, der eine überaus smart-undurchschaubare Version des diabolischen Verführers abgibt und die dunklen und gebrochen-melodiösen Balladen von Tom Waits so singt, als wären es süsse Evergreens aus einer anderen Welt.

Jelena Kuljic als Käthchen ist eine stille, fast unscheinbare Braut, die aber in ihren stimmgewaltigen Gesangspartien, in denen ihre Gefühlswelt nach aussen dringt, zum urgewaltigen Gegenpart mutiert. Für die Höhepunkte des Abends aber sorgt Max Hopp als Wilhelm, der sich als anfänglich bemitleidenswerter Versager auf hinreissend-komische und zugleich berührend-tragische Art in das verhängnisvolle Abhängigkeitsverhältnis mit dem Teufel ziehen lässt. Das Besäufnis mit dem plappernden Brautvater Bertram (Vincent Leittersdorf) ist ein hinreissend-komisches Kabinettstück. Aber wenn er ganz zum Schluss in der stillen Euphorie wegen der scheinbar gelungenen Wettschüsse die Hand seiner vermeintlich gewonnenen, aber zugleich tödlich getroffene Braut mehrmals wegschiebt, sorgt er für wiederum einen ausgesprochen ergreifenden Moment.

Skurrile Entourage

Corinna von Rad bettet diese Hauptfiguren in eine überaus skurrile Entourage ein. Mit einer Gruppe von machohaften mit einander ringenden Jägergesellen (Thomas Douglas als Nebenbuhler Robert sowie Jean Chaize, Jeroen Engelmenn und Philippe Graff), einer Schar bärtiger Brautjungfern (Statisterie), dämonischen Waldgeistern (Guggemuusig Gülle-Schlüch»), einem auf einem Karussellpferd herunterschwebenden und süsslich singenden Rokoko-Altengel (Karl-Heinz Brandt), der Brautmutter Anne (Chantal Le Moign) sowie dem Onkel (Rainer Süssmilch) und dem auf die Bühne versetzten Autoren Burroughs (Jörg Schröder). Ihre Auftritte runden den bombastischen Bilderbogen ab.

Leider schafft es der Abend nicht, die Spannung über die gesamten zwei Stunden gänzlich aufrecht zu erhalten. Nach einem packenden Beginn flacht das Geschehen gegen die Mitte zusehend ab, bevor es gegen Schluss aber wieder merklich aufwärts geht. Alles in allem beweist die Stückvorlage und die Inszenierung von «The Black Rider – The casting of the magic bullets», dass ein Musical –  eigentlich ist es eher eine Revue nach Brechtschem Vorbild – einiges mehr sein kann als anbiedernd-seichte Unterhaltung.

«The Black Rider – The casting of the magic bullets» Von Robert Wilson, Tom Waits und William S. Burroughs Regie: Corinna von Rad, Bühne: Ralf Käselau, Musikalische Leitung: Rainer Süssmilch, Arrangements: Dr. Nic and the Green Bullets, Kostüme: Sabine Blickenstorfer, Choreographie: Thomas Stache Mit: Max Hopp, Jelena Kuljic, Michael von der Heide, Jörg Schröder, Thomas Douglas, Vincent Leittersdorf, Chantal Le Moign, Rainer Süssmilch, Philippe Graff, Jean Chaize, Jeroen Engelsman, Karl-Heinz Brandt, Camilla Gomes dos Santos, Michael Haves, Rainer Süssmilch, Karsten Süssmilch, Benjamin Weidekamp, Guggemuusig Gülle-Schlüch Theater Basel, Grosse Bühne (Weitere Vorstellungen)

 

 

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