Der neue Film von Aki Kaurismäki handelt von einer Ankunft, vor allem aber nimmt er Abschied. Für den minimalistischen Regisseur hat «The Other Side of Hope» mit 95 Minuten fast schon Überlänge, aber immerhin: Es ist Kaurismäkis eigener Abschied.
Ein polnischer Kohlefrachter läuft in Helsinki ein, die Nacht senkt sich auf die verlassene Hafenanlage – und ein Mann gräbt sich aus einem staubigen Kohlehaufen. Schwärzer als der Syrer Khaled (Sherwan Haji) war noch kein Schwarzfahrer.
Zur gleichen Zeit streift Waldemar (Sakari Kuosmanen) seinen Ehering vom Finger und legt ihn auf den Küchentisch, an dem seine Frau neben einem grotesk grossen Kaktus sitzt. Er fährt mit dem Auto los – ein altertümlich wuchtiges Modell, wie es auch der Regisseur selbst fährt –, bis das Scheinwerferlicht Khaleds dünne Gestalt erfasst.
«Dreh die Gaslampe auf, Mutter, ich sterbe», klagt ein finnischer Schlager, während der Filmtitel eingeblendet wird. Und weil das ein Film von Aki Kaurismäki ist, kommt das Lied nicht aus dem Off, sondern von einem Strassenmusiker: So viel Realismus muss beim Illusionisten Kaurismäki schon sein.
Zu zynisch für die Filmschule
60 Jahre alt wird der finnische Regisseur diesen April, seit 35 Jahren dreht er Filme. Alles, was sein Schaffen ausmacht, steckt auch in den ersten fünf Minuten von «The Other Side of Hope»: die frostige Farbpalette, der spröde Humanismus, die Nostalgie nach dem alten Hollywood, der stachlige Humor und die Reduktion aufs Wesentliche – kein einziges Wort fällt.
Dafür war Aki Kaurismäki anlässlich der Berlinale umso redseliger und verkündete, dass dies sein letzter Film sei: Er habe unlängst an sein Idol, den japanischen Filmemacher Yasujirō Ozu gedacht, der mit 60 starb (und dem das Stadtkino im April eine grosse Retrospektive widmet). «Ich liebe das Kino, aber ich werde nicht für das Kino sterben», erklärte Kaurismäki.
Geschont hat er sich wahrlich nicht, der Finne, der schon mittags zu trinken beginnt und bis zu zwölf Schachteln Zigaretten pro Tag geraucht haben will. Grösseres Suchtpotenzial bietet da nur das Kino.
Während er in jungen Jahren Literaturwissenschaften studiert, gibt Kaurismäki ein Filmmagazin heraus, an der Filmschule fällt er dennoch durch. Man hält ihn für zu zynisch. Die kleinbürgerlichen Verhältnisse, von denen seine Filme erzählen, kennt Kaurismäki aus eigener Erfahrung. Der Sohn einer Kosmetikerin und eines Handelsreisenden wurstelt sich mit Aushilfsjobs durch, für den zwei Jahre älteren Bruder Mika schreibt er Drehbücher.
«Wenn schon auf die Nase fallen, dann richtig.»
1983 folgt sein Filmdebüt, eine Adaption von Dostojewskis «Schuld und Sühne». Hitchcock hielt das Buch für unverfilmbar, Kaurismäki versucht es gerade deswegen. «Wenn schon auf die Nase fallen, dann richtig. Das hat mehr Stil.»
In den Folgejahren dreht der Regisseur karge, mit existenziellen und existenzialistischen Nöten gefüllte Milieustudien über gesellschaftliche Aussenseiter, die von der Wirtschaftskrise gebeutelt nach Fluchtmöglichkeiten suchen. In Kaurismäkis internationalem Durchbruch «Ariel» (1988) gelingt das sogar, wenn die Flucht mit der Fähre auch nur bis ins Baltikum führt.
Kaurismäki schart einen festen Stamm von Schauspielern um sich, denen er das Schauspielern vor der Kamera abgewöhnt. Mit den Laiendarstellern einer finnischen Punkrockband dreht er «Leningrad Cowboys Go America» und lässt darin Jim Jarmusch auftreten – seinen überseeischen Bruder im Geiste. Für den Grosserfolg seines Roadmovies hat Kaurismäki eine einfache Erklärung: «Andere Filme sind noch schlechter als meiner.»
Defätismus gehört bei Kaurismäki fest dazu, er ist Teil seiner Selbstinszenierung, Brandmauer gegen die Überhitzung eines Personenkultes. Bei aller Tiefstapelei lässt der Regisseur allerdings auch selten eine Gelegenheit aus, seinen Ruf als Exzentriker zu verteidigen, etwa mit einem beschwipsten Tänzchen auf dem roten Teppich von Cannes.
Gute Menschen
Und Kaurismäki hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg: «The Man Without a Past» dreht er, um die Arbeitslosigkeit in seinem Land zu thematisieren – «ich hätte sonst nicht mehr in den Spiegel blicken können.» 2006 nimmt der Regisseur seinen Neo-Noir-Film «Lights in the Dusk» aus dem Rennen um den fremdsprachigen Oscar – aus Protest gegen den Irakkrieg.
Auch bei Kaurismäkis vorletztem Film, «Le Havre» (2011), steht das schlechte Gewissen Pate. Das Schicksal der Flüchtlinge, die in Europa als «lebende Tote» stranden, beelendet den Regisseur, deshalb lässt er einen afrikanischen Jungen von einem französischen Schuhputzer retten.
Für einen Film des sonst eher schwerblütigen Finnen hält die märchenhafte Tragikomödie eine Sensation bereit, ein doppeltes Happy End. Das hat weniger mit Altersmilde als vielmehr mit Kaurismäkis grimmiger Weltsicht zu tun: Wo es keine Hoffnung mehr gibt, ist auch Pessimismus fehl am Platz.
Er habe «Le Havre» in Frankreich gedreht, weil nur wenige Flüchtlinge nach Finnland gelangten, erklärte der Regisseur damals. Das hat sich geändert, Kaurismäki kehrt für «The Other Side of Hope» jetzt nach Helsinki zurück. Wie Khaled es überhaupt bis dorthin geschafft hat, lässt er den Syrer im – authentischen – Verhör durch die Fremdenpolizei selbst erzählen: «Gute Menschen» haben ihm geholfen.
So ein «guter Mensch» ist auch Waldemar, obwohl er es selbst wohl bestreiten würde. Er verhilft Khaled zu einem Schlafplatz, nachdem dieser aus dem Aufnahmelager geflohen ist, und stellt den Syrer als Putzkraft in seinem Restaurant ein.
Es ist eine utopische Schicksalsgemeinschaft in einer durch und durch verrohten Welt, und ihr unsentimentaler Ausgang lässt das Publikum mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück.
Bäume statt Filme schneiden
Weinend auch deshalb, weil der Regisseur eben nicht mehr mag: «Ich habe alles gesagt, was ich zu sagen hatte.» Die Hafen-Trilogie, die Kaurismäki mit «Le Havre» und «The Other Side of Hope» begonnen hat, soll unvollständig bleiben. Was hat der Finne, der seit Jahrzehnten in Portugal überwintert, nun vor?
«Ich schneide statt Filmen eben Bäume in meinem Garten. Die Blumen überlasse ich meiner Frau.» Sollte er überhaupt je wieder einen Film drehen, dann käme dafür nur ein Titel infrage: «Adios».
Adios Aki, also: Der Ruhestand sei dem finnischen Filmemacher von ganzem Herzen gegönnt. Auch wenn die Hoffnung auf eine Rückkehr bekanntlich zuletzt stirbt.