An Silvester zu Hause? Da gibt es für viele seit Jahren nur eines: Ab vor den Fernseher!
Viele giessen Blei, noch mehr trinken Champagner, die meisten verteilen Küsse oder schreiben SMS. An Silvester gibt es unzählige Traditionen. Eine davon ist es, sich vor den Fernseher zu setzen und Butler James und Miss Sophie beim Geburtstagfeiern zuzugucken: «Dinner for One» ist der TV-Klassiker schlechthin.
Seit bald 40 Jahren stolpert Butler James jeden 31. Dezember über das Tigerfell. Er serviert seiner Hausdame immer wieder dieselbe Suppe, denselben Fisch, dasselbe Hühnchen und dasselbe Obst. Zu jedem Gang gehört ein Getränk, das die alte Dame auswählt. Und weil die Gäste, die sie traditionell zum Geburtstag einlud, alle bereits verstorben sind, muss Butler James jeweils ein Gläschen pro Gast und Gang mittrinken: eines für Sir Toby, eines für Admiral von Schneider, eines für Mr. Pommeroy und eines für Mr. Winterbottom. Macht vier Gläser Sherry plus vier Gläser Weisswein plus vier Gläser Champagner plus vier Gläser und einen grossen Schluck aus der Flasche vom Portwein. Es erstaunt nicht, dass die würdevolle Haltung des Butlers mit der Zeit verloren geht.
Vertriebsrechte in der Schweiz
Dass die Begeisterung des TV-Publikums über diesen Sketch auch durch die schwarzweisse Patina des Films nicht getrübt wird, kann hingegen kaum dem übermässigen Alkoholkonsum zugeschrieben werden – schliesslich liegen die Sendetermine meist im Vorabendprogramm, wie auch dieses Jahr: SF1 zeigt den Sketch um 19.05 Uhr, diverse deutsche Sender ziehen nach.
Witzigerweise geniesst «Dinner for One» nur im deutschsprachigen und skandinavischen Raum Kultstatus. In England kennt den Sketch des britischen Komikerduos Freddie Frinton und May Warden kaum jemand. Der Grund dafür: Beim Film handelt es sich um eine Produktion des Schweizer Fernsehens, und bei diesem liegen auch heute noch alle Vertriebsrechte.
Frinton und Warden führten den Sketch des britischen Autors Lauri Wylie 1945 erstmals auf einer Bühne auf. 1963 wurden sie damit im deutschen Fernsehen gezeigt, wo sie der damalige Leiter Unterhaltung des Schweizer Fernsehens entdeckte. Er lud sie in die Schweiz ein, und im Studio Bellerive in Zürich entstand so die Aufnahme, die wir uns alljährlich im TV angucken. Auch der Norddeutsche Rundfunk (NDR) zeichnete den Sketch dort mit auf. Deshalb existieren zwei Filmversionen, die sich hauptsächlich in Details unterscheiden. Trotzdem ist jene des NDR einige Minuten länger als jene des SF. Das liegt einerseits am knapperen Schnitt der Schweizer Version, andererseits daran, dass für den NDR der Schauspieler Heinz Piper eine längere Einführungsrede hält. Doch braucht diese heutzutage noch jemand? Schliesslich wissen wir es doch längst: The same procedure as every year, James.
Freddie Frintons bürgerlicher Name war Frederic Bittener Coo (1909–1968). Der englische Komiker spielte vor allem kleinere Rollen in Filmen, bis er Ende der 50er-Jahre von der BBC entdeckt wurde und mit deren Comedy-Serie «Meet the Wife» zum Serienstar avancierte. Seine Bühnenpartnerin May Warden (1891–1978) wurde erst im Alter von 71 Jahren entdeckt – mit «Dinner for One». Danach spielte sie in einigen Filmen mit.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30/12/11