Kultwerk #12: Fisch, unfrisch

Mit einem eingelegten Haifisch wurde der Brite Damien Hirst vor 20 Jahren weltberühmt.

Konservierte Aggressivität: Damien Hirsts Tigerhai in Formaldehyd. (Bild: Robert Caplin/Redux/laif)

Mit einem eingelegten Haifisch wurde der Brite Damien Hirst vor 20 Jahren weltberühmt.

Wenn es gilt, für die Neunziger-Jahre des 20. Jahrhunderts ein ikonisches Kunstwerk zu finden, so landet man schnell bei diesem in Formaldehyd eingelegten Tigerhai von Damien Hirst. 213,4 Zentimeter hoch und breit und 640,1 Zentimeter lang und damit unübersehbar ist die von einem weissen Stahlrahmen gefasste Vitrine, in welcher ein echter Hai schwimmt, als wäre er eben dem Ozean entflohen und zum Biss bereit. Mit dieser Arbeit schuf der britische Künstler eines der eindrücklichsten Sinnbilder der Vergänglichkeit überhaupt. «The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living» lautet der ebenfalls eindrückliche, wenn auch nicht einprägsame Titel. Übersetzt heisst dies: «Die physische Unmöglichkeit des Todes in der Vorstellung eines Lebenden».

Als vergänglich erwies sich auch das Werk an sich: 2006 musste der vier Meter lange Tigerhai durch einen Haifisch ersetzt werden, der rund 30 Zentimeter kürzer war – das Original hatte damit begonnen, sich aufzulösen. Die Flüssigkeit wurde langsam trüb, und bald hätte man das Tier in der Brühe nicht mehr gesehen. Aus dem Vanitassinnbild, dem Symbol für Vergänglichkeit, war plötzlich eine endgültigere Version desselben, ein Memento mori, geworden: Erinnere Dich an den Tod!

Erinnern könnte man sich auch daran, dass weder der erste noch der zweite Haifisch ihr Leben freiwillig liessen: Hirst liess beide Tiere eigens für das Werk vor der australischen Küste fangen, töten und nach England verfrachten. 6000 Dollar bezahlte er einem Fischer für den ersten Hai im Jahr 1991. 50’000 Pfund hatte der Künstler vom britischen Kunstsammler und Auftraggeber Charles Saatchi kassiert. Dieser wiederum verwandelte das Werk im Jahr 2004 zu Gold, als er es dem Hedge-Fonds-Manager Steven A. Cohen verkaufte –zu einer Summe, die im Bereich von 6,5 Millionen britischen Pfund gelegen haben soll.

Einmal musste Besitzer Cohen den Haifisch bereits austauschen lassen. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Ein teurer Spass, über dessen Sinn vor sechs Jahren eine heftige Diskussion entbrannte. Viele sahen es als ungeheuerliche Provokation an, dass die höchstbezahlte zeitgenössische Kunst in ihrer Substanz nicht für die Nachwelt beschaffen sein sollte. Doch liegt gerade hierin die – zugegebenermassen zynische – Pointe: Ein Werk, das die Vergänglichkeit behandelt, setzt sich selbst derselben aus. Treffender ist das Thema kaum umzusetzen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13/01/12

Nächster Artikel