Kultwerk #18: The Cider House Rules

«Gottes Werk und Teufels Beitrag»: Der amerikanische Schriftsteller John Irving wird 70.

Der Film: Homer Wells (Toby Maguire) mit seiner grossen Liebe Candy Kendall (Charlize Theron) (Bild: Cinetext)

«Gottes Werk und Teufels Beitrag»: Der amerikanische Schriftsteller John Irving wird 70.

Nachdem ich John Irving kennengelernt hatte, war ich ihm verfallen. Mein erstes Buch von ihm war sein fünftes, «Hotel New Hampshire». Danach las ich ­alles, was er zuvor geschrieben hatte, und ­alles, was er danach schrieb. Der US-amerikanische Schriftsteller erzählt Geschichten, nichts mehr und nichts weniger als das. Umwerfende Geschichten, urkomisch und bodenlos traurig, schräg und doch normal.

In jedem seiner Romane geht es um Geburt, Liebe, Sex, Tod, Verlust – um das Leben. Aber keiner inszeniert Beginn und Ende ­eines solchen so fulminant wie Irving: «Garp» wird beispielsweise gezeugt, indem seine Mutter – eine Krankenschwester – die Erektion eines todkranken Patienten nutzt; in «Owen Meany» stirbt die Mutter von Owens bestem Freund, «die mit den schönsten Brüsten», durch einen Baseball, den Owen geschlagen hatte.

Oscar für bestes Drehbuch

Irvings Lebensgeschichten sind tabulos und moralisch zugleich. Und dabei sehr erfolgreich: Jeder seiner Romane landete auf den Bestsellerlisten, mehrere wurden verfilmt. So auch «The Cider House Rules», auf Deutsch «Gottes Werk und Teufels Beitrag», wofür Irving im Jahr 2000 einen Oscar für das beste adaptierte Drehbuch erhielt.

Die Geschichte spielt in den 1930er- bis 1950er- Jahren, als Abtreibungen in Hinterzimmern von Engelmacherinnen ausgeführt werden und für manche Frauen tödlich sind. Der äthersüchtige Arzt Wilbur Larch ist Leiter im Waisenhaus St. Clouds, das an ­einem abgelegenen Ort im Bundesstaat Maine liegt. Dort entbindet er ungewollt Schwangere und sorgt dann für deren im Waisenhaus zurückgelassene Kinder.

Grosses Politikum in den USA

Nach dem Tod einer Prostituierten und ihrer Tochter wegen einer pfuschigen Abtreibung entschliesst sich Larch, selbst Abtreibungen vorzunehmen. Als Geburtshelfer führt er also «Gottes Werk» aus, und als Abtreiber leistet er «Teufels Beitrag», so die moralisch gängige Unterscheidung seiner Arbeit. Larch selber vertritt allerdings die Meinung, dass beides Gottes Werk ist.

Eigentliche Hauptfigur des Romans ist jedoch Homer Wells, der im Waisenhaus zur Welt kommt und nach mehreren gescheiterten Adoptionsversuchen schliesslich dort hängen bleibt. Er führt Larchs Arbeit weiter, wenn auch «Teufels Beitrag» nur widerwillig. Das ändert sich erst Jahre später – als eine junge Frau aus seinem persönlichen Umfeld ungewollt schwanger wird.

Dieses Buch ist für mich Irvings politischstes und auch sein grossartigstes Werk. Vielleicht, weil es von einem Thema handelt, das Frauen besonders nahe geht. Ein Thema auch, das in den USA noch heute ein so gros­ses Politikum ist, dass es sogar eine Präsidentschaftswahl beeinflussen kann.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.02.12

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