Traumhafte Bilder vom Morgestraich: Ohne Blitzlicht wären sie noch viel authentischer. Und keiner fühlte sich gestört.
Schlag vier Uhr erlöschen die Lichter. Nur noch die kunstvollen Laternen der Cliquen und unzählige kleine Ladärnli auf den Köpfen der Fasnachts-Aktiven leuchten in tiefschwarzer Nacht. Gespenstisch, fast schon furchterregend für die einen. Heimelig und seltsam rührend für viele andere. Absolut einmalig und grandios für alle, die bei jeder Witterung dem grossen Moment entgegengefiebert und dafür auf ihren Schlaf verzichtet haben. Morgestraich, vorwärts marsch!
«Dunkelheit ist erstes Gebot am Morgestraich. Man öffnet keine Vorhänge und entzündet kein Feuerwerk. Fotografieren Sie ohne Blitzlicht; so irritieren Sie die Maskierten nicht, und die Bilder werden stimmungsvoller.» So steht es Jahr für Jahr im «Rädäbäng», dem offiziellen Fasnachtsführer, herausgegeben vom Comité. Zumindest in der Innerstadt fast überall erhältlich.
Was im knapp gehaltenen Comité-Knigge absolut plausibel und für jedermann problemlos nachvollziehbar ist, erweist sich nach wie vor und leider mehr und mehr als fromme Theorie. Zwar wird die Strassenbeleuchtung mit einer für Basel geradezu ungewöhnlichen Gründlichkeit sekundengenau vom Netz genommen, doch das genügt noch längst nicht. Fasnächtliche Finsternis bedeutet auch packpapierliche oder schwarzvorhängliche Abdeckung sämtlicher Fenster, hinter denen Basels Beizer wild entschlossen sind, den vorjährlichen Reibach zu übertreffen. Was ebenfalls erfreulich gut klappt, ist – von ganz wenigen unrühmlichen Ausnahmen abgesehen – das rechtzeitige Abschalten der privat gesteuerten Leuchtreklamen und Schaufensterbeleuchtungen.
Magisches Dunkel also allüberall? Weit gefehlt. Denn wer die dunkelsten Stunden seiner Stadt als massentouristisches Highlight anpreist, darf sich nicht wundern, wenn alljährlich unzählige Adabeis aus allen Erdteilen etwas Licht in das obskure Brauchtum bringen wollen. Licht in Form entsetzlicher Gewitter, deren Blitze das nächtliche Dunkel schmerzhaft durchdringen. Licht auf Schritt und Tritt. Blitze aus kürzester Distanz direkt in die hinter der Larve extrem empfindlichen Augen der Fasnächtler. Nur wer das am eigenen Leib erfahren hat, weiss, wie das weh tut, wenn man x-fach frontal geblitzt und damit x-fach minutenlang geblendet wird. Würde dieser Unsinn wissentlich um dessen Auswirkungen vorsätzlich praktiziert, so könnte man das durchaus und ohne zu übertreiben auch als Folter bezeichnen. Was haben wir aus den alljährlichen Aufrufen gelernt? Offensichtlich gar nichts. Selbst die Aussicht auf zunehmende Einsicht ist gering. Blitzgescheit ist das wohl nicht.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.02.12