Kultwerk #22: Fiberglass Chair

Selbst anerkannte Designbanausen den «Fiberglass Chair». Ein Kultwerk zum Platz nehmen.

Die perfekte Passform für jeden Po: Der «Fiberglass Chair» von Charles und Ray Eames. (Bild: ddp images)

Den Stuhl mit der Schale als Sitzfläche kennen alle. Selbst anerkannte Designbanausen.

Am prägnantesten ist er in Orange. In jenem Farbton, den wir spontan mit den Siebzigerjahren verbinden. Doch der erste «Fiberglass Chair» des Designerduos Charles und Ray Eames entstand bereits 1950 – in der Variante des «Armchairs» mit Armlehnen, und dem Stil der Fünfziger entsprechend war er damals eher in gedeckten Pastellfarben erhältlich.

Er war der erste industriell gefertigte Stuhl aus Kunststoff. Die Schalen aus glasfaserverstärktem Polyester, das bis dahin nur für Radarschirme verwendet worden war, waren zwar hart, aber die Pobacken schmiegten sich bequem in die vorgeformte Mulde. Der Stuhl stand auf vier Füsschen, die Beine aus dünnem Metall waren stabil miteinander verstrebt.

Dem Ehepaar Eames war es immer ein Anliegen, den menschlichen Körper in ihren Möbeln bequem ruhen zu lassen. Organische Formen wie jene des «Fiberglass Armchair» schienen da besonders geeignet, und der Erfolg gab ihnen recht. Bald folgte der «Fiberglass Chair», das Modell ohne Armlehnen. 1955 schliesslich wurde dessen Schalenform mit Beinen versehen, die sich problemlos stapeln und aneinanderreihen liessen. Der «Fiberglass Stacking Chair» war geboren und damit die ideale Ausrüstung für Tausende Cafés, Schulen, Vortragssäle und andere öffentliche Räume. Auch in der Mensa der Uni Basel sitzen die Studierenden seit Jahrzehnten darauf – oftmals ohne zu wissen, dass sie ihren Hintern auf einem Designklassiker parkiert haben.

1993 wurde die Produktion der Glasfaser-Stühle eingestellt – aus ökologischen Gründen, weil sich das Material nicht recyclen lässt. Bei den Stühlen, die seither im Handel angeboten werden, wird Polypropylen verwendet. Nach dem Materialwechsel war nichts mehr, wie es vorher war. Der «Fiberglass Chair» wurde in «Plastic Chair» umbenannt, und der Charme der alten Oberfläche ging verloren.

Die Preise für originale Glasfaserstühle gingen daraufhin schlagartig in die Höhe, und so kostet ein alter Stuhl heute mindestens doppelt so viel wie ein neuer aus Plastik. Wirklich Glück allerdings hat ein Käufer, wenn es ihm gelingt, einen bis ins Detail originalen Stuhl zu ergattern – denn viele wurden in den Jahrzehnten seit der Herstellung umgebaut, Einzelteile ausgewechselt.
Bereits aber werden unter den Hipstern Stimmen laut, die meinen, der «Fiberglass Chair» habe seine Coolness schon wieder verloren. Schliesslich hat inzwischen fast jeder einen in seinem Wohnzimmer oder in der Küche stehen. Aber was soll man von einem Massenprodukt anderes erwarten?

  • Der amerikanische Designer und Architekt Charles Eames (1907–1978) heiratete die Künstlerin Ray Kaiser (1912–1988) im Jahr 1941. Aus der Zusammenarbeit des Ehepaares gingen gleich mehrere Designklassiker hervor, darunter der «Lounge Chair», die Garderobe «Hang-it-all» oder die Flughafen­bestuhlung ­«Tandem Seating». ­Bequemlichkeit und Funktionalität ­standen immer im Vordergrund ihres Schaffens.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 23.03.12

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