Kultwerk #24: Doktor Schiwago

Omar Sharif wird am 10. April 80 Jahre alt. Als russischer Arzt und Poet verzauberte er Millionen. 

Selbst Eiskristalle bringt er zum Schmelzen: Omar Sharif als Doktor Schiwago. (Bild: Cinetext Bildarchiv)

Omar Sharif wird am 10. April 80 Jahre alt. Als russischer Arzt und Poet verzauberte er Millionen. 

Jurij Schiwago sei der perfekteste Mensch, den er je gespielt habe, schwärmte Omar Sharif 1965 von seinem Filmcharakter. Gerne wäre der Schauspieler dem naiven Träumer ähnlich gewesen. Sein Filmcharakter soll – zumindest für kurze Zeit – auf sein reales Leben abgefärbt haben: Zu seiner Sekretärin sei Sharif während der Dreharbeiten um einiges netter gewesen als sonst.

Beliebt und bewundert

Mit der Rolle des hilfsbereiten Arztes und unheroischen Poeten in «Doktor Schiwago», der leidenschaftlich liebt und beinahe in den russischen Revolutionswirren untergeht, wurde Omar Sharif zum ultimativen Frauenschwarm der 60er-Jahre. Dies, nachdem er schon mit seiner Hauptrolle im Kassenschlager «Lawrence von Arabien», ebenfalls inszeniert vom amerikanischen Regisseur David Lean, international auf sich aufmerksam gemacht hatte.

Die tragische Liebesgeschichte von Schiwago und der jungen Studentin und Lebenskünstlerin Lara (Julie Christie) vermag heute noch zu tragen. Aber auch auf bildlicher Ebene fesselt «Doktor Schiwago»: Der harte russische Winter, der die grossen Zeitsprünge der Story saisonal verknüpft, lässt einen wohlig frösteln, ebenso eindringlich ist die Titelmelodie, die Maurice Jarre komponiert hatte: «Lara’s Theme»: Darin setzt die Balalaika immer dann Akzente, wenn Doktor Schiwago von romantischen Gefühlen übermannt wird. Einmal gehört, bringt man diese Melodie nicht mehr aus dem Kopf.

Die Mischung war bestechend, das dreistündige Filmepos wurde ein Welterfolg – ausser dort, wo die Handlung spielte: in der Sowjetunion. Weil es aus politischen Gründen nicht möglich war, an den Originalschauplätzen zu drehen, bauten rund 800 Arbeiter in Spanien die eindrücklichen Moskauer Strassen mitsamt funktionierender Strassenbahn nach, die Winterszenen wiederum wurden in Ostfinnland gedreht.

Verboten und verdrängt

Das trieb die Produktionskosten in die Höhe, «Doktor Schiwago» war mit elf Millionen Dollar der damals teuerste Film. Die Investition zahlte sich aus: Millionen Kinobesucher waren begeistert, darunter auch viele Academy-Mitglieder (fünf Oscars!).

Roman, den der russische Autor Boris Pasternak zur Zeit der Revolution geschrieben hatte, und Film blieben noch bis zum Ende der kommunistischen Ära verboten: Zu individuell benimmt sich der Buch- und Filmheld Schiwago für das gleichgeschaltete Gesellschaftsdenken. Oder wie es der fanatische bolschewistische Genosse Strelnikow im Film sagt: «Das persönliche Leben in Russland ist tot. Die Geschichte hat es ausgemerzt» – wäre da nicht Doktor Schiwago, der einfühlsame Freund und Helfer.

 

Omar Sharif

Omar Sharif.

Omar Sharif. (Bild: Cinetext Bildarchiv)

1932 wurde Omar Sharif in Alexandria, Ägypten, geboren. Nach einer überaus erfolgreichen Hollywood-Karriere machte er als professioneller Bridge-Spieler Schlag­zeilen und nahm an Team-Olympiaden teil. Ein Comeback als Schauspieler gelang ihm 2003 mit «Monsieur Ibrahim und die Blumen des ­Koran». Als «Doktor Schiwago» ist er am 5.4. um 23.15 Uhr im Hessischen Rundfunk zu sehen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 06.04.12

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