Kultwerk #28: Ultra

Zum 50. Geburtstag von Dave Gahan erinnern wir an eine grosse Krise von Depeche Mode. Und an ein grosses Album, das daraus hervorging.

«Ultra»: Das starke Kultwerk von Depeche Mode aus dem Jahr 1997.

Vor 15 Jahren steckten Depeche Mode in einer grossen Krise. Und schufen daraufhin grossartige Musik.

Im Unterschied zu den meisten Bands aus den 80er-Jahren, die den Synthiepop massentauglich gemacht hatten, hatten Depeche Mode den Übergang in ihr zweites Jahrzehnt mit Bravour gemeistert. Dies gelang ihnen nicht zuletzt, weil sie ihr Klangbild erweiterten und ihr Markenzeichen, das Spiel mit Synthesizern und Samples, um akustische Instrumente ergänzt hatten.

Doch obschon ihnen die Alben «Violator» (1990) und «Songs Of Faith And Devotion» (1993) kommerzielle Höhenflüge bescherten, landeten die Briten in einem abgründigen Tief. Nachdem er 15 Jahre lang hinter den Kulissen das Programming der Band geprägt hatte, warf Alan Wilder das Handtuch und stieg aus. Es fehlte ihm an bandinterner Wertschätzung. Und Sänger Dave Gahan verlor sich in einer Parallelwelt, in der nicht die Musik, sondern die Flucht in die Sucht den Takt angab. 1995 ging die dramatische Nachricht eines Suizidversuchs um die Welt, 1996 war er nach einer Überdosis Heroin und Kokain kurze Zeit klinisch tot. Danach rechnete niemand mehr ernsthaft mit Depeche Mode.
Sogar Keyboarder Andrew Fletcher gab damals in einem Gespräch, das ich für den «Tages-Anzeiger» führen konnte, unumwunden zu, dass es selbst für ihn so aussah, «als seien wir am Ende. Daves Drogenproblem betraf uns alle. Doch der Bandgeist blieb bestehen, wir hielten zusammen, und das hat uns schliesslich durchgebracht.»

Die zum Trio geschrumpfte Band arbeitete ein Jahr lang an neuen Songs, musste aber aufgrund Gahans gesundheitlicher Probleme immer wieder Pausen einlegen. «Nach all dem, was passiert war, waren wir glücklich, dass wir das Album überhaupt fertigstellen konnten», erklärte Fletcher und fügte hinzu: «Die unglücklichen Umstände halfen uns, andere Wege einzuschlagen: ‹Ultra› steht für eine Art Neubeginn.»

Tatsächlich gelang es Depeche Mode, aus dieser Krise gestärkt hervorzugehen: Dunkle, hypnotische Grooves und elektronische Experimente unterfüttern melancholische Melodien. Beklemmende Gefühlszustände kombinierten Depeche Mode mit aufwühlender Psychedelik und sanften Hoffnungsschimmern, besonders herausragend umgesetzt in Liedern wie «It’s No Good», «Barrel Of A Gun» oder «Home». Packend, wie hier existenzielle Themen (Vorbestimmung, Entfremdung, Erlösung) musikalisch verdichtet wurden, wie die Band die Gefangenschaft in einem Käfig schildert und den Ausbruchsversuch wagt, um in innerer Ruhe wieder ein Zuhause zu finden.

15 Jahre später gibt es Depeche Mode noch immer – und wir wissen, dass Krisen ebenso zu ihnen gehören wie Synthesizer und Moll-Akkorde.

Dave Gahan: Der Mann mit dem warmen Bariton hat dem Synthiepop-Genre die tiefste Stimme verliehen: Dave Gahan. Der Brite hatte sich in 20 Jobs versucht, ehe er mit 18 Jahren in die junge Band Depeche Mode einstieg und zum Weltstar wurde. Am 9. Mai kann er seinen 50. Geburtstag feiern.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04.05.12

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