Vor 25 Jahren gelang Jim Jarmusch mit dieser unvergesslichen Tragikomödie der grosse Durchbruch.
Bis zur Premiere von «Down by Law» im Herbst 1986 galt der damals 33-jährige Jim Jarmusch als talentierter, aber sperriger Undergroundfilmer. Nach dem Überraschungserfolg seines Drittlings, der sogar in Cannes zu sehen war, stieg der US-Amerikaner in die erste Garde der Independent-Regisseure auf, wo er bis heute – ein Vierteljahrhundert später – regelmässig mit Meisterwerken wie «Broken Flowers» (2005) glänzt.
Damals, an jenem Videoabend Anfang der 90er war ich, geschätzte neun Jahre jung, überhaupt nicht begeistert, als meine Eltern mit «Down by Law» aufkreuzten. Keine Comicfiguren? Keine Explosionen? Und, ja, noch viel schlimmer: Keine Farbe?!
Womit wir bei der Gretchenfrage wären: Was braucht ein guter Film? Ein packendes Drehbuch? Überzeugende Schauspieler, unvergessliche Szenen und eine gute Portion Situationskomik? Jim Jarmuschs «Down by Law» hat all dies – und noch viel mehr.
Alleine die Eröffnungssequenz: als die Kamera nach einer endlosen Fahrt durch New Orleans bei Zack und Laurette haltmacht, beim letzten grossen Streit der zerbröselnden Beziehung. Und wir Zeuge werden, wie die wunderbare Ellen Barkin, in Negligé und wirrer, weissblonder Haarspray-Mähne weinend die ganze Plattensammlung, Lebenswerk des arbeitslosen Radio-Discjockeys, aus dem Fenster schmeisst. Zack (Tom Waits) lässt es geschehen, sitzt tatenlos auf dem Bett, bis Laurette seine Lieblingslederstiefel packt – da, wir ahnen es, ist die Liebe vorbei.
Damit aber fängt der Film erst richtig an: Gemeinsam mit dem übercoolen Zuhälter Jack (John Lurie) und dem italienischen Lebenskünstler Roberto (ein junger Roberto Benigni in seiner ersten internationalen Rolle) landet Zack in einer Gefängniszelle. Zuerst gehen die drei ungleichen Ganoven einander gehörig auf den Keks. Bis zu dem Zeitpunkt, als Roberto, der sich zwar anglophil «Bob» nennt, aber kaum ein Wort Englisch spricht, die Lethargie seiner Genossen mit einem alten Schlager durchbricht.
«I scream, you scream, we all scream for ice cream», einer nach dem anderen stimmt mit ein, bis die drei in einer Art durchgeknalltem Indianertanz ihre Zelle auf den Kopf stellen. Wir sind überzeugt: der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Bald darauf brechen die drei Lieblingsfeinde auf Benignis Geheiss aus dem Gefängnis aus, brechen auf, in eine ungewisse Zukunft – frei nach dem Vorbild der Hollywoodfilme, die Roberto gesehen hat, getrieben von der einzig übrig gebliebenen Gewissheit: Es kann nur besser werden. Verfolgt von Gendarmen und Gesetz schlagen sie sich durchs Sumpfland und finden in der Einöde unverhofft das Glück, in Form einer rüstig-rustikalen Wirtin (Nicoletta Braschi).
Als Glücksfall entpuppte sich dieser Schwarzweiss-Streifen, diese Gangsterballade, dieser postmoderne Film Noir auch für mich: Unverhofft entdeckte ich so bereits im ersten Lebensjahrzehnt meinen Lieblingsregisseur. Aber auch für die Crew selbst, deren Mitglieder mittlerweile, ein Vierteljahrhundert nach der Premiere, alle zu Recht Kultstatus geniessen.
Übrig bleibt von dieser ewigen Filmperle, die man sich immer wieder ansehen kann, nicht nur die Einsicht, was ein guter Film nicht braucht (Comicfiguren, Explosionen, Farbe), sondern auch der unsterbliche Satz von Roberto Benigni, Quintessenz aller Tragikomödien, der damals genauso zutraf wie heute: «It is a sad and beautiful world.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11/11/11