Baselland schlittert planlos in die Zukunft. Ausser die Steuern zu senken und möglichst tief zu halten, fällt der bürgerlichen Regierung nicht viel ein. Dynamik und Wachstum werden im Baselbiet schmerzlich vermisst. Dafür zeigen andere Kantone, wie man Probleme meistert.
Unerschütterlich, staatsmännisch und mit feinem Humor: So präsentierte Adrian Ballmer (FDP) früher die Baselbieter Rechnung. Es waren häufig gute Zahlen, die er vorlegte, und das rechnete man dem Finanzdirektor hoch an. Ballmer, der Unerschütterliche, schien alles richtig zu machen. Diesem Mann hätte man ohne Weiteres auch sein eigenes Bankbüechli anvertraut.
Heute würde man sich das wahrscheinlich zweimal überlegen. Ballmer gibt sich zwar noch immer unerschütterlich und auch seinen Humor lässt er immer wieder durchschimmern. Inzwischen wirkt sein Auftreten aber mehr und mehr entrückt, spöttisch, zynisch schon fast. Denn Ballmer kann in letzter Zeit nur noch schlechte Zahlen präsentieren. Zahlen, die wehtun, wie diese Woche, als er ankündigte, dass die Baselbieter Regierung auf dem Sparpaket beharren werde. Das heisst, dass rund 100 Staatsangestellte ihre Stelle verlieren. Die Lehrer müssen mehr arbeiten, die Schüler unter Umständen längere Schulwege in Kauf nehmen und die ÖV-Benutzer mehr zahlen – für ein schlechteres Angebot. Insgesamt 180 Millionen Franken sollen auf diese Weise eingespart werden.
Natürlich wehren sich nun die Betroffenen, mit Protestschreiben, Unterschriftensammlungen, Initiativen. Das Problem ist, dass der Handlungsspielraum der Politik nur begrenzt ist. Selbst wenn im Landrat und bei Volksabstimmungen sämtliche Sparvorschläge durchkommen, wäre der Staatshaushalt noch immer nicht im Lot. Um die grossen Probleme wie etwa die Finanzierung der Pensionskasse zu lösen, fehlt es an Einnahmen. Einzelne Politiker wie SVP-Vordenker Karl Willimann sprechen darum bereits von weiteren Sparpaketen. Es sind düstere Aussichten, für die vor allem die Regierung verantwortlich ist. Ihre Strategie beschränkte sich in der Vergangenheit darauf, die Steuern zu senken und sie danach so tief wie möglich zu halten.
Bis vor Kurzem gab es in diesem Kanton nicht einmal eine detaillierte Investitionsplanung. Gebaut wurde, was gerade nötig schien. Oder was besonders laut gefordert wurde, wie die H2 von der Wirtschaftskammer. 540 Millionen Franken wird die Umfahrung von Liestal und Pratteln nun kosten – fast doppelt so viel wie ursprünglich angekündigt. Und heute schon wirkt die halbfertige Strasse mindestens eine Nummer zu gross für diesen Kanton. Dafür verschiebt die Regierung nun eine ganze Reihe anderer Projekte, wie sie vor wenigen Tagen zusätzlich zum Sparpaket ankündigen musste. So kann es gehen, wenn man keinen Plan hat.
Es fehlt ein Konzept
Diese Konzeptlosigkeit zieht sich durch die gesamte Baselbieter Wirtschaftspolitik. Um das zu erkennen, muss man sich nur ein wenig Zeit nehmen, um zuerst mit dem Baselbieter Wirtschaftsförderer Simon Schmid einen Kaffee zu trinken – und danach der Konkurrenz einen Besuch abstatten. Annelise Alig vom Standortmarketing «Aargau Services» zum Beispiel.
Die Bündnerin preist den Aargau wie ein stimmiges Gesamtkunstwerk. Tiefe Steuern, starke Gemeinden, gute Ausbildung, enge Zusammenarbeit zwischen Fachhochschule und Industrie, umfangreiche Investitionen. Alig spricht gerne über die grossen Linien, da kann sie aus dem Vollen schöpfen, dank der umfangreichen Wachstumsinitiative, die der Aargauer Regierungsrat 2005 erarbeitet hat und der Hightech-Strategie, die er nun nachlegen wird. Alig glaubt an ihren Kanton und ans Wachstum, auch in Zeiten der Krise. Alig ist in der Offensive.
Der Baselbieter Wirtschaftsförderer Simon Schmid hingegen argumentiert aus der Defensive. Selbstverständlich sagt auch er, dass sein Kanton ein grosses Potenzial habe, dafür wird er ja bezahlt. Immer wieder kommt er aber auch auf Schwierigkeiten zu sprechen. Auf die starke Konkurrenz, das sogkräftige Basel und den günstigen Aargau, auf die entlegeneren Täler im eigenen Kanton, die für die grossen Betriebe weniger interessant seien.
Während Alig auf fast jede Frage eine Antwort parat hat, äussert sich Schmid zu heiklen Themen am liebsten gar nicht. Das gilt für das Hin und Her mit den Beiträgen an die Fachhochschule Nordwestschweiz oder die Probleme mit den brachliegenden Freiflächen. Das sei Sache der zuständigen Amtsstellen, sagt Schmid dann jeweils. Eine Gesamtschau, eine Strategie für den ganzen Kanton, das gibt es im Baselbiet nicht.
Die Schwäche des Zentralismus
Das hat Folgen. In der Standortbewertung der Credit Suisse hat der Kanton Rang um Rang verloren – ganz im Gegenteil zum lange belächelten Aargau, dem neuen Star unter den Schweizer Kantonen. Beim Finanzausgleich ist das Baselbiet vor diesem Jahr sogar zu den ressourceschwachen abgerutscht. Nun gehört es zwar bald wieder zu den Geberkantonen, der Anteil der Unternehmenssteuern an den Staatseinnahmen ist aber weiterhin tief – knapp über 10 Prozent. Zum Vergleich: Der Aargau bringt es auf 25 Prozent, Basel auf 30 Prozent.
Es ist frustrierend, wenn in einer solchen Situation auch noch Traditionshäuser abwandern – so wie die Prattler Holzbaufirma Häring, die vor Kurzem angekündigt hat, ihre Ausbaupläne im Fricktal zu verwirklichen. Angeblich war im Baselbiet kein passendes Stück Land zu finden. Nun kann man dem Verwaltungsratspräsidenten Christoph Häring einen Strick daraus drehen, dass er für einen SVP-Politiker erstaunlich wenig Heimatliebe zeigt und ihn einen «Steuerflüchtling» schimpfen, wie das in Pratteln offenbar gemacht wird.
Man könnte sich aber ebenso gut fragen, ob nicht vielleicht auch der Kanton Fehler gemacht hat. Irgendwann müsste man sich dann auch mit der Gemeindepolitik auseindersetzen. So zentralistisch wie das Baselbiet sind nur noch die Stadtkantone Basel-Stadt und Genf sowie die beiden kleinen Kantone Uri und Appenzell Ausserrhoden. Doch trotz offensichtlicher Überforderung lassen die Behörden in Liestal die Gemeinden lieber verkümmern, statt ihnen mehr Aufgaben zu übertragen.
Einer der pointiertesten Kritiker dieses Missverhältnisses ist der Arboldswiler Gemeindepräsident Rolf Neukom. «Die vielen Baselbieter Klein- und Kleinstgemeinden sind zwar stolz auf ihre formelle Unabhängigkeit, wirklich etwas zu sagen haben sie aber nicht», sagt er. Die Dorfvertreter könnten nur umsetzen, was die «Besserwisser» in Liestal anordnen oder irgendwelche Zweckverbände beschliessen. «Das ist undemokratisch und unsinnig», sagt er. Denn in den Gemeinden wüsste man eigentlich am besten, wie die Steuergelder investiert werden müssten. Und wo sinnvoll gespart werden könnte.
Mit einer neuen Aufgabenverteilung würde plötzlich wieder sehr vieles möglich in diesem Kanton, ist Neukom überzeugt. Darum hat er seine Visionen noch nicht ganz aufgegeben, auch nach zwölf Jahren in der Gemeindepolitik. Neukom möchte die Frenkentäler weiterentwickeln, den Tourismus fördern, neue Betriebe anlocken und – ja – warum nicht auch noch ein Hochschulinstitut in die Gegend holen? Ein schöneres und anregenderes Umfeld könne er sich für einen Studenten jedenfalls kaum vorstellen, sagt Neukom.
Es braucht Anreize für Fusionen
Mit ein paar Feierabendpolitikern lassen sich solche Visionen aber kaum ernsthaft prüfen und schon gar nicht umsetzen. Neukom: «Die Gemeinden hätten professionelle Strukturen nötig, sie sind zu klein, um sich noch weiterentwickeln zu können, sie sind am Limit. Darum bräuchte es dringend Fusionen – und zwar im grossen Stil.» Acht, neun Baselbieter Gemeinden wären genug.
In vielen anderen Kantonen wurden solche Fusionen mit finanziellen Anreizen gefördert. Zu ihnen gehört auch der Aargau, weil die Regierung starke Gemeinden will. Gemeinden, die sich selbstständig weiterentwickeln wie Lenzburg oder Windisch, die grosse Bauprojekte durchziehen. Das ist gut für die jeweiligen Regionen – und gut für die Aargauer Wirtschaft. Die Baselbieter Regierung denkt dagegen nicht daran, dieses Potenzial zu nutzen; sie nimmt nicht einmal die Probleme wahr. «Unsere Gemeinden sind gesund», liess die zuständige Finanzdirektion in der Vergangenheit immer wieder verlauten. Finanzielle Anreize für Fusionen seien keine nötig.
Lieber rettet man das angeblich gesunde System mit dem Finanzausgleich so lange wie irgendwie möglich vor dem Kollaps. Jahr für Jahr müssen die grösseren und wohlhabenderen Unterbaselbieter Gemeinden viele Millionen ins Oberbaselbiet pumpen. «Solange diese Gelder fliessen, ändert sich rein gar nichts», sagt Neukom, «das muss aufhören.» Eine bemerkenswerte Aussage für einen Gemeindepräsidenten, der vor einem Jahr 400 000 Franken Finanzausgleich entgegennehmen durfte. Eine Aussage auch, die zeigt, wie gross die Unzufriedenheit über das verkrustete System ist.
Das Frustgefühl kennt auch Philipp Schoch, Präsident der Baselbieter Grünen. «In unserem Kanton ist von Dynamik nichts mehr zu spüren, es herrscht eine Totengräberstimmung», sagt er. «Dabei wäre es höchste Zeit für einen Aufbruch, sonst wird ein Sparprogramm dem anderen folgen, bis gar nichts mehr übrig ist.»
Schochs Gegenvorschlag: ein Investitionsprogramm. Mehrere hundert Millionen Franken, mit denen die brachliegenden Industriegebiete zügig erschlossen werden könnten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln vor allem und – wenn nötig – auch mit Strassen. «Das Potenzial ist gross», sagt er. Salina Raurica, Aesch Nord, der Dreispitz, das BBC-Areal bei Arlesheim und Münchenstein. «Nur tut sich in diesen möglichen Wachstumsgebieten wenig bis gar nichts», sagt er: «Damit entgehen der Staatskasse sehr viele Einnahmen, die dringend nötig wären.»
Tatsächlich tut sich der Kanton selbst mit seinem Vorzeigeprojekt Salina Raurica schwer. Schon über zehn Jahre ist es her, seit die damalige Baudirektorin Elsbeth Schneider (CVP) einen «raumplanerischen Befreiungsschlag» ankündigte. Ein neues Wohn- und Wirtschaftszentrum für Tausende von Menschen mit grosszügigem Park an bester Lage am Rhein sollte entstehen. Doch seither ist das gross angekündigte Projekt immer mehr zusammengeschrumpft. Und es wird im gleichen Stil weitergehen: Derzeit beschäftigen sich nach allen kantonalen Instanzen auch noch die Gemeinden Augst und Pratteln mit der Planung. Nicht die besten Voraussetzungen für die Verhandlungen mit einem Grossinvestor, der Interesse an dem Standort angemeldet haben soll. Er wäre nicht der Erste, der sich schliesslich doch noch für ein anderes Areal in einem anderen Kanton entscheidet.
Von Basel-Stadt überholt
Die Regierung scheint sich mit solchen Problemen abgefunden zu haben. Zusätzliche Investitionen kommen nicht infrage, das Triple-A-Rating soll keinesfalls gefährdet werden, viel mehr ist aus den besseren Zeiten ja auch nicht übrig geblieben. Andere Kantone haben mehr Schulden und ein schlechteres Rating, verfügen dafür aber über sehr viel mehr Dynamik und mehr Einnahmen. Wie der Kanton Basel-Stadt, der in den vergangenen Jahren mehrfach die Steuern senken konnte. Nun steht die einstige «Steuerhölle» fast so gut da wie das Land.
Vielleicht macht das rot-grüne Basel eben doch nicht alles ganz falsch, wie das die Berufsbaselbieter seit Jahren behaupten. Solche Sticheleien wären fast noch amüsant, wenn es diese Ablehnung, dieses Überlegenheitsgefühl nicht bis hinauf zu den Entscheidungsträgern in der Regierung gäbe. Dieses typisch baselbieterische Befinden schimmert immer wieder in einzelnen Äusserungen durch und manchmal zeigt es sich sogar drastisch wie etwa beim berühmten Streitgespräch der «Basler Zeitung» im Jahr 2004 mit dem Baselbieter Finanzdirektor Adrian Ballmer und seiner damals noch neuen Basler Amtskollegin Eva Herzog. Ballmer griff Herzog wiederholt mit barschen Worten an, sie reagierte hörbar genervt. Es kam beinahe zum Eklat.
Das Überlegenheitsgefühl der Baselbieter ist seither in sich zusammengesackt, die Ablehnung schwelt aber weiter. Wie sonst ist zu erklären, dass die Baselbieter Regierung auch bei den gemeinsamen Institutionen Abstriche plant, ohne die Basler Kollegen frühzeitig zu informieren? Oder dass der Baselbieter Gesundheitsdirektor Peter Zwick (CVP) weiterhin stur auf das Projekt eines neuen Spitals und eines Geriatriezentrums auf dem Bruderholz beharrt? Obwohl niemand weiss, wie das inzwischen auf 911 Millionen Franken veranschlagte Vorhaben finanziert werden soll. Und obwohl die Basler Regierung offen wäre, mit einer gemeinsamen Spitalplanung eine sehr viel günstigere Lösung zu finden.
Wer will dieses Baselbiet noch?
Lange wird es mit diesem Hinausschieben, dieser Realtitätsverweigerung und diesem Eigensinn ohnehin nicht mehr gut gehen. Nur schon wegen der Vereinbarung, welche die beiden Basel 2006 eingegangen sind. Darin haben sich die Baselbieter verpflichtet, sich angemessen an den Zentrumslasten zu beteiligen. Das führte dazu, dass sich das Land an wichtigen Institutionen wie der Universität oder der Fachhochschule beteiligt. Weitere Beiträge werden vom Land auch an milliardenteure Projekte wie die Verlängerung der S-Bahn-Linien durch die Stadt erwartet.
Zahlen kann das Baselbiet das alles aber unmöglich, falls es nicht doch noch gelingt, die Einnahmen zu steigern und unnötige Ausgaben zu verhindern. Andernfalls bleiben eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten: die Zusammenarbeit mit Basel aufzukünden oder eine Fusion der beiden Kantone, so wie sie die Grünen mit einer Initiative erreichen wollen.
Fragt sich nur noch, ob die Basler das noch immer wollen, nachdem sie so lange erfolglos ums Baselbiet gebuhlt haben. Und der Partnerkanton dabei immer mehr an Attraktivität verloren hat.
Quellen
Das Sparpaket der Baselbieter Regierung.
Die Stellungnahme der Baselbieter Grünen.
Die Hightech-Strategie der Aargauer Regierung.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11/11/11