Kultwerk #36: OK Computer

Ihr Schweizer Konzert im Steinbruch von St. Triphon wurde auf den 20. September 2012 verschoben: Wir schüren die Vorfreude mit dem Albumklassiker von Radiohead.

Aufwühlende Stimme, eindringliche Botschaften: Thom Yorke. (Bild: Keystone)

Ihr Schweizer Konzert im Steinbruch von St. Triphon wurde auf den 20. September 2012 verschoben: Wir schüren die Vorfreude mit dem Albumklassiker von Radiohead.

Es gibt sie, die Platten, die die Musikwelt verändern: Weil sie einfach zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Songs auf­warten. Und weil ihre Qualität ausreicht, um jenseits des Zeitgeists zu bestehen.«OK Computer», das vor genau 15 Jahren erschien, ist so ein Album. Es markierte ­Radioheads Abkehr vom «Mainstream der Minderheit» und damit den Aufbruch zu neuen Ufern: Fortan gehörte das zu Kar­rierebeginn sträflich unterschätzte Quintett aus dem britischen Oxford zu den einflussreichsten Bands des Musikbusiness.

Die musikalische Ungewissheit in Songs verpackt

Doch mit «OK Computer» gelang Thom Yorkes Truppe noch mehr, nämlich: die ­musikalische Ungewissheit einer Zeit zwischen der Leck-mich-Attitüde der Genera­tion Grunge, der in cineastische Epik gebannten Schwermut des Trip-Hops und des am Horizont auftauchenden elektronischen Paradigmas in Songs zu pressen.
Songs, die sich retrospektiv als fast beunruhigend treffend erwiesen: «Fitter Happier», ein ätzender Widerhall des postmodernen Selbstbilds, die nahtlos-neoliberale Fortsetzung des Trainspotting-Mottos «Choose life». «Karma Police», die Kampfansage gegen die Überwachung, die heuer im CCTV-Staat England relevanter scheint denn je. Dann «Paranoid Android»: eine ironische Hommage an den ausserirdischen Depro-Haufen aus Douglas Adams’ Kultwerk «Per Anhalter durch die Galaxis», aber auch ebenbürtige Huldigung von Klassikern wie «Happiness is a Warm Gun» (Beatles) und «Bohemian Rhapsody» (Queen).

Trotzdem bleibt sie eine Band der Nineties

Kein Wunder also, dass das «Rolling Stone»-Magazin «OK Computer» zum zweitbesten Album des Jahrzehnts (nach Nirvanas «Nevermind») kürte. Aber nicht einfach irgendeines Jahrzehnts: Denn auch wenn Radiohead bis heute Alben auf hohem Niveau veröffentlichen, auch wenn ihre viralen Marketingstrategien während der Nullerjahre die Vertriebskanäle revolutionierten, irgendwie bleiben sie trotzdem eine Band der Nineties – oder besser: die Band aller späten Nineties-Kids, eine Band, deren mittlerweile kultische Verehrung die nachfolgenden Generationen nicht mehr gleichermassen nachvollziehen können.

Kunststück: Schliesslich waren sie nicht dabei, damals, im Juni 1997, als «OK Computer» erschien und all das sprengte, was man unter Indie, Alternative Rock oder Brit Pop verstand. In diesem Moment, als das Internet am Horizont stand und den Beginn einer neuen Ära markierte – und wir einfach mal ins Blaue «OK Computer» sagten, während das Album in Endlosschlaufe rotierte und den Aufbruch mit seinem bittersüssen Endzeitblues kontrastierte.

Thom Yorke

Gefeiertes Musikgenie, einflussreicher Intellektueller, unermüdlicher Aktivist: Mit 43 Jahren hat sich Thom Yorke eine beeindruckende Position innerhalb der Popkultur erarbeitet – ohne einem Backlash ausgesetzt zu sein wie seine Kollegen Bono (U2) oder Chris Martin (Coldplay). Was macht das Multitalent anders, besser als die Konkurrenz? Es muss die Authentizität sein, der Aussenseiterstatus, den der selbsternannte «Creep» aufrechterhält und so den Eindruck erweckt, trotz Erfolg niemals Teil des Establishments geworden zu sein.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 29.06.12

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