Spaghetti-Western ist eine viel zu abschätzige Bezeichnung für diesen grossartigen Film von Sergio Leone.
Ein kleiner Bahnhof in der Wüste. Draussen brennt die Sonne, drinnen zittert der Stationsvorstand. Drei schweigsame Cowboys mit Revolvern okkupieren das lottrige Gebäude. Geduldig warten sie – und wir mit ihnen. Minutenlang.
Ab und zu wird die Stille durch quälende Geräusche unterbrochen; hier ein Wassertropfen, dort eine Fliege. Schweissperlen rinnen im Close-up über die Stirn. Die Spannung ist kaum auszuhalten. Unheil kündigt sich an, lange vor der Dampflokomotive. Als sie wieder davonrattert, setzt eine Melodie ein, die heute fast berühmter ist als der Film selbst. Der Mundharmonikaspieler fragt nach einem Frank. «Er hatte keine Zeit», sagt ein Ganove. Auf einen lakonischen Wortwechsel folgt ein schneller Schusswechsel. Der Mann mit der Mundharmonika (Charles Bronson) hat seinen Rachefeldzug begonnen. Sein Ziel: Frank (Henry Fonda), ein sadistischer Kerl, der seinen Bruder auf dem Gewissen hat.
Angeblich hat das amerikanische Publikum 1968 bei der Premiere dieses Films gekreischt, als es Henry Fonda als skrupellosen Killer Frank erkannte. Bis dahin hatte dieser stets den Freund in der Not, den aufrechten Kämpfer für Freiheit und gegen Unterdrückung gespielt.
Ihn für die Rolle des kaltblütigen Mörders zu verpflichten, war nicht der einzige brillante Schachzug des italienischen Filmemachers Sergio Leone. Mit Charles Bronson als namenlosen Rächer und Claudia Cardinale als Edelhure besetzte er alle Hauptrollen erstklassig. Schon mit seiner vorangegangenen Trilogie «Für eine Handvoll Dollar» (mit der Clint Eastwood international bekannt wurde) hatte Leone Hollywood vorgeführt, dass die Zeiten der strahlenden Westernhelden vorbei waren.
Mit «Spiel mir das Lied vom Tod» perfektionierte der Italiener sein Handwerk und präsentierte ein Meisterwerk, ja, ein Kunstwerk: Grosse Zooms und spannungsgeladene Zeitlupen reicherte er inhaltlich mit sozialkritischen Seitenhieben an, räumte mit dem Mythos der ehrbaren Besiedelung des Wilden Westens auf. So löscht Frank eine ganze Familie aus, weil auf ihrem Grundstück ein Brunnen steht. Rohstoff, Profitgier und Gewalt – ein Kreislauf, der bis heute seine Gültigkeit hat.
In atemberaubenden zweieinhalb Stunden erzählt Leone eine Geschichte, die den Wilden Westen weitaus weniger ruhmreich darstellt, als es Hollywood damals lieb war. Ennio Morricone hat den Film kongenial vertont, vergleichbar mit einer Oper für jede Figur ein eigenes Thema geschaffen und dabei Melodien komponiert, die fast noch bekannter wurden als der Film selbst.
Henry Fonda: 1905 im US-Bundesstaat Nebraska geboren, arbeitete sich Henry Fonda als Charakterdarsteller in Hollywood ganz nach oben. Vor 30 Jahren, am 12. August 1982, starb der Oscar-Preisträger. Seine Nachkommen, die Kinder Jane und Peter sowie Enkelin Bridget Fonda, haben es als Schauspieler ebenfalls zu Ruhm gebracht.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 10.08.12