Kultwerk #52: Never Mind The Bollocks

«Never Mind The Bollocks – Here’s The Sex Pistols»: Ein musikalischer Mittelfinger, ein medialer Marketingcoup anno 1977.

Das Collagen-Cover des einzigen Studioalbums der Sex Pistols wurde ebenso oft zitiert wie ihre Musik.

«Never Mind The Bollocks – Here’s The Sex Pistols»: Ein musikalischer Mittelfinger, ein medialer Marketingcoup anno 1977.

Sie waren zwar nicht die ersten Punks – musikalisch spurten Gruppen aus dem amerikanischen Detroit (MC5, Iggy Pop & The Stooges) in den 1960ern vor. Aber die Sex Pistols waren die erste Band, mit der die «No Future!»-Haltung so richtig in Mode kam. Kein Wunder: Ihr Manager Malcolm Mc­Laren betrieb mit Partnerin Vivienne Westwood eine Boutique in London. Pla­kativer Name: «Sex». Auf der Suche nach einem Knaller fand McLaren vier Protégés, verpasste ihnen den Namen Sex Pistols, klei­dete sie ein und schickte sie auf die Bühne.

Die Zeit war reif für Rotz ’n’ Roll, für kurze Haare, Sicherheitsnadeln, Leder­jacken, für musikalischen Minimalismus und schnoddrige Texte. So sorgten die Sex Pistols schon vor der Veröffentlichung ihres ersten und einzigen Studioalbums für Wirbel. Im November 1976 riefen sie ­«Anarchy In The UK» aus. Kaum war diese eruptive Single erschienen, löste EMI den Plattenvertrag auf: Das vulgäre Verhalten war der Firma zu viel, sie bangte um ihren Ruf.

Manager McLaren war das nur recht, er füllte die eigene Tasche (50 000 Pfund Abfindung) und auch die Spal­ten der britischen Presse. Zu provokativ und vulgär für diese Welt, solche Schlag­zeilen schlugen ein wie eine Bombe.

Der nächste Skandal liess nicht auf sich warten: «God Save The Queen» hiess die nächste Single. Sänger Johnny Rotten bezeichnete darin das britische Königshaus als «fascist regime». Die Plattenfirma A&M weigerte sich 1977, die Single zu veröffentlichen. Abfindung diesmal: 75 000 Pfund. Schliesslich waren es Virgin Records, die den Song, gefolgt von einem Album, veröffentlichten und damit den Grölrefrain und die Punk-Haltung «No Future» in die Welt hinausschickten. Das Establishment verfiel in Schockstarre, die Jugend in Begeisterung. Der treibende Lärm, dieser musikalische Mittelfinger, der Aufruf zum Ungehorsam: unerhört.

Wie sich das angefühlt haben muss, wie Hype und Hysterie diese explosive Band ­berühmt machten – all das kann man jetzt dank einer Sammlerbox nachfühlen: Zeitungsausschnitte, Zitate, Songs und Konzertaufnahmen bilden ein prächtiges Paket rund um das einzige Studioalbum der Sex Pistols, das 1977 erschienen ist. Keine Frage: Wer sich dieses Kultwerk heute anschafft, hält die Kronjuwelen der Punks in seinen Händen.

 

Sid Vicious

Sid Vicious, der Bassist der Sex Pistols, mit seiner Freundin Nancy Spungen, aufgenommen am 8. Februar 1978. Beide starben später an Überdosen.

Sid Vicious, der Bassist der Sex Pistols, mit seiner Freundin Nancy Spungen, aufgenommen am 8. Februar 1978. Beide starben später an Überdosen. (Bild: Keystone)

John Simon Ritchie tauchte 1976 in die Londoner Punkszene ein, spielte kurz Schlagzeug bei Siouxsie and the Banshees, ehe er unter dem Pseudonym Sid Vicious 1977 den Sex Pistols beitrat. Er ersetzte Glen Matlock am Bass, konnte das Instrument aber nicht wirklich spielen, weshalb sein Bass an Konzerten oft in den Hintergrund gemischt wurde. Vicious wurde wegen seines punkigen Looks und provokativen Lebensstils in die Band geholt. 1978 lösten sich die Sex Pistols bereits auf, 1979 starb Vicious (21) an ­einer Überdosis.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.11.12

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