Alle Welt kennt Raffaels Engelchen. Doch woher stammen die beiden eigentlich?
Sie zieren Tassen, Schirme, Postkarten oder Weihnachtskugeln. Raffael Santis Putti sind quasi die Posterboys der Renaissance. Und gerade jetzt im Advent wieder aktuell. Im Original hängen sie in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden. Jedoch muss man gut aufpassen, denn man übersieht sie schnell. Die meisten Leute gehen davon aus, dass die beiden ein eigenes Werk darstellen. Und werden dann davon überrascht, dass die Putti am Bildrand eines weit grösseren Werkes von Raffael, der «Sixtinischen Madonna», kleben.
Sie lümmeln da so rum, und irgendwie gucken sie gelangweilt drein. Vielleicht liegt das daran, dass sie nicht die Hauptpersonen des Bildes sind. Dabei schaut die heilige Barbara so nett zu ihnen herab, widmet ihren Blick diesen beiden Engeln mit ihrem Babyspeck und den fürs Fliegen viel zu klein geratenen Flügeln. Oder blickt sie doch einfach nur demütig zu Boden? Schliesslich steht vor ihr die Heilige Madonna mit dem Jesuskind.
Links der zentralen Figur dieser «Sacra Conversazione» (einer Unterhaltung zwischen Maria, Jesuskind, Heiligen und Stiftern) kniet ein Papst in andächtiger Pose. Julius II. ist es, der das Bild beim berühmten Renaissancemaler 1512 in Auftrag gegeben hatte. Er hat sich als Papst Sixtus II. darstellen lassen, dessen Reliquien wie jene der heiligen Barbara in der Klosterkirche San Sisto in Piacenza aufbewahrt wurden. Dort hing das Gemälde, bis es 1754 infolge Besitzerwechsel nach Dresden umzog.
Raffael hat sein Gemälde wie eine Bühne eingerichtet. Die zurückgezogenen Vorhänge umrahmen die Dreieckskomposition, der Hintergrund sieht auf den ersten Blick aus, als würde man in einen bewölkten Himmel schauen. Bei näherer Betrachtung sieht man jedoch die Engelsköpfe, aus denen die vermeintlichen Wolken bestehen. Diese Engelschar trägt Madonna und Kind. Nur unsere beiden unten am Bildrand stützen sich gelangweilt auf und zupfen an ihrer Lippe. Sie scheinen sich seit 500 Jahren zu fragen, was sie hier eigentlich sollen. Vielleicht sind sie ja gar nicht so unfroh, dass sie vom Kontext losgelöst diverse Utensilien zieren? Immerhin sind sie so ganz für sich berühmt geworden. So berühmt, dass die Gemäldegalerie dem Werk zu seinem 500. Geburtstag im kommenden Sommer eine ganze Ausstellung widmet.
In dieser Rubrik stellen wir jeweils ein Kultwerk vor, das in keiner Sammlung fehlen sollte. In diesem Fall müssen Sie aber auf eine Kopie ausweichen. Auf eine Tasse etwa. Auf Bettwäsche. Oder auf einen Bierdeckel.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02/12/11