Kunst ist keine Seelenschau

Simon Krebs’ liebster Mitarbeiter ist der Zufall. Selbstverwirklichung ist nicht sein Thema. Seine Kunst entsteht aus dem Unvorhersehbaren. Während der «Regionale» ist seine Arbeit gleich an drei Orten zu sehen.

Simon Krebs in seinem Atelier. Links von ihm hängt der blaue Berlusconi, der sich ergab, weil er einen Stempel in Brillenform ausprobieren wollte. (Bild: Nils Fisch)

Simon Krebs’ liebster Mitarbeiter ist der Zufall. Selbstverwirklichung ist nicht sein Thema. Seine Kunst entsteht aus dem Unvorhersehbaren. Während der «Regionale» ist seine Arbeit gleich an drei Orten zu sehen.

Simon Krebs arbeitet in einem Gemeinschaftsatelier in der Flatterschaft. Viel Licht und die Gleisansagen des benachbarten Hauptbahnhofs dringen in den grossen Raum, der im obersten Stockwerk des Gebäudes liegt. Wir beginnen den Morgen langsam. Im Atelier steht eine goldfarbene Espressomaschine, Lavazza oder etwas ähnliches, «gabs für 100 Franken auf Ebay». Bis der Kaffee auf dem Tisch steht, vergeht eine Weile. Die Milch schäumt Krebs mit Wasserdampf, man merkt den Handwerker. Zum Kaffee raucht der 29-Jährige eine Selbstgedrehte und ascht in einen Aschenbecher aus blauem Kristall.

Worüber wollten wir noch gleich reden? Es ist so gemütlich. Wir schauen uns um. An einer Wand hängen Drucke, schön anzuschauen mit ihren aufgeräumten Mustern. Daneben hängt ein monochrom gedruckter Berlusconi, der zunächst nicht als solcher zu erkennen ist. Auf seine Augen hat Krebs zwei grosse schwarze Kreise gestempelt, sodass eine Sonnenbrille entsteht. Politisch gemeint? «Hinter dem Bild steckt keine Bedeutung, sondern eine Geschichte», sagt Krebs. Er wollte gerade die Idee mit den Stempeln ausprobieren, als ihm das Bild von Berlusconi in die Hände fiel, das er seit einiger Zeit im Atelier liegen hatte. Er hat das Bild nicht gesucht, aber auch nicht wieder weggelegt. Entscheidung für den Zufall könnte man die Technik nennen.

Die Willkür aus der Arbeit nehmen

Denn zuviel Ich in seiner Arbeit, das will Simon Krebs nicht. Er ist nicht Künstler geworden, um sein Seelenleben abzubilden. Ein zurückhaltender Typ ist er sowieso; seine Website und sein Facebookauftritt verwischen seine Person, statt sie darzustellen. Aber vor allem interessiert ihn, die Willkür aus seiner Arbeit zu nehmen, Entscheidungen und Verläufe an andere Instanzen abzugeben.

Zum Beispiel an das Medium. Krebs’ Lieblingsinstrument ist zur Zeit ein Drucker, der echte Tinte statt Toner verwendet. Bei der Arbeit mit dem Gerät passieren Dinge, die nicht geplant sind. «Das Medium schafft Distanz zu meiner Vorstellung, wie die Arbeit aussehen soll», sagt Krebs. Ein Ausschnitt verrutscht, oder die Spur eines früheren Drucks ist noch zu sehen. Krebs nimmt die Fehler auf, wiederholt sie, forciert sie. Er macht daraus Regeln, die eine Arbeit durchziehen und bestimmen. Denn Regeln sind befreiend. Sie bewahren vor dem weissen Blatt und umgehen die Enge der Willkür, mit der man den ersten Strich macht.

«At The Copyshop» heisst so eine Arbeit. Krebs liess den Kopierer laufen, ohne eine Seite auf den Scanner zu legen. Ein schwarzes Blatt kam heraus. Dies legte er erneut auf den Scanner, aber leicht versetzt. Dann zoomte er in die Linien hinein, die sich dabei ergaben, kopierte erneut, zoomte wieder, bis sich die Linien auflösten und wie eine Mondlandschaft aussahen. Mit dieser Art von Gestaltung kann Krebs leben.

Was tun?

Darüber reden, wie Kunst entsteht, ist immer abstrakt. Doch in einigen Arbeiten tut es Simon Krebs selbst. Ein Band mit comicartig angeordneten Texten und Zeichnungen heisst «Was Tun». Ist der Titel eine Frage und das Heft eine Antwort? Beim Blättern stösst man auf eine Bildserie, in der eine Figur am Herd steht und Kaffee kocht. Bild für Bild. Irgendwann ist der Kaffee fertig und die Bildserie auch. Es geht nicht darum, was man tut, sondern dass man etwas tut. Der Titel ist nicht nur Frage sondern auch die Antwort darauf. Was tun? Was tun. Dabei ergeben sich die Dinge, die sich gestalten lassen. Zum Beispiel beim Kaffeekochen. Oder beim Kopieren.

Oder auf dem Klo. An der HGK Basel, wo Krebs 2012 den Master abschloss, stand einmal eine Präsentation an. Am Tag davor hatte er auf dem Klo dann doch noch eine Idee, was er vorzeigen könnte. Kurzerhand malte er die Sprüche ab, die an den Klowänden gekrakelt standen, und kopierte sie alle zusammen in ein Heft. Sonst nichts.

Die Arbeit von Simon Krebs ist vielfältig. An drei verschiedenen Orten stellt er im Rahmen der «Regionale 14» Drucke aus, Collagen, einen Tisch des Büros für Problem, in dem seine Bücher erscheinen, sowie eine Reihe wüster Filmstills über das pixlige Fernsehen im Internet.

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Regionale 14, bis 5. Januar 2014. Diverse Orte, Detailinfos unter www.regionale.org. Simon Krebs stellt im Kunsthaus L6, im T66 Kulturwerk (beide in Freiburg) und im Kunst Raum Riehen aus.

Die TagesWoche porträtiert während der Ausstellungsdauer der Regionale 14 mehrere junge Künstler und Künstlerinnen. Bereits erschienen: Raphael Stucky, Florine Leoni, Clare Kenny.

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