Kunst ohne Schmus

Der Künstlerin Lena Maria Thüring begegnet man in diesem Herbst in mehreren Ausstellungen. Heute Abend ist die Vernissage zu ihrer Einzelausstellung im Museum für Gegenwartskunst. Anlass für ein Porträt.

«So einfach ist es nicht»: Lena Maria Thüring, Künstlerin ohne Brimborium. (Bild: Nils Fisch)

Dem Namen Lena Maria Thüring begegnet man in diesem Herbst immer wieder: Die Basler Künstlerin ist aktuell im Kunsthaus Baselland mit einem Werk vertreten, und Ende September wird im Museum für Gegenwartskunst eine Einzelausstellung eröffnet. Anlass für ein Porträt.

Ich finde diese Frage zu allgemein, um sie so zu beantworten.» Die grünen Augen blitzen, und es wird klar: Lena Maria Thüring wird nicht die üblichen Plattitüden runterbeten bei der Frage, was das Ziel ihrer Kunst sei. Die Baslerin ist 32 Jahre alt und eine der vielversprechendsten Künstlerinnen der Schweiz. Sie lächelt und winkt ab. Das wird ein Gespräch, keine Selbstvermarktung. «Ich mache, was mich interessiert. Es war überhaupt nicht immer klar, dass ich Künstlerin werden würde. Es kam Schritt für Schritt.»

Vernissage und Ausstellung: Die Einzelausstellung im Museum für Gegenwartskunst von Lena Maria Thüring startet am Freitagabend, 27. September 2013, mit der Vernissage (Beginn: 18.30 Uhr). Die Ausstellung ist anschliessend, bis am 5. Januar 2014 zu sehen.

Die Schritte, das waren der gestalterische Vorkurs in Zürich und das anschliessende Studium der Fotografie und bildenden Kunst an der Zürcher Hochschule der Künste. Stationen, die eine nach der anderen von Thüring angegangen wurden. Bis 2008. Da flatterte der Bescheid der Jury des Swiss Art Award in den Briefkasten: Sie hatte gewonnen. Der erste grosse Erfolg, ein Zeichen, dass sie auf dem richtigen Weg war. Heute, fünf Jahre später, hat Thüring auch noch den Manor-Kunstpreis gewonnen, ist im Kunsthaus Baselland zu sehen und wird Ende September im Basler Museum für Gegenwartskunst eine Einzelausstellung bestreiten.

In einem dunklen Raum unter der Treppe des Kunsthauses Baselland versteckt befindet sich Thürings ­Videoarbeit «Im Garten». Die Kamera zeigt eine Gartenlandschaft, ihre ­Bewegungen sind fliessend, so als würde man selber durch den Garten ­flanieren. Das Video hat Thüring mit persönlichen Geschichten untermalt: In kurzen Abständen erzählen unterschiedliche Stimmen von Konflikten unter Nachbarn. Was genau von wem in welchem Zusammenhang erzählt wird, erschliesst sich jedoch nicht. Man verliert sich in den Erzählungen, hängt Aussagen wie «Leider Gottes habe ich den Erzengel Gabriel zertreten» nach und wünscht sich in der ganzen Versunkenheit eine Übersicht herbei.

Fragen anstatt Antworten

Entlastung gibt es keine: Thüring überlässt dem Betrachter das Erstellen der Zusammenhänge. «In meiner Arbeit wird der Betrachter mit Fragen konfrontiert, nicht mit Antworten.»

Fragen, das kann Lena Maria Thüring gut. Die Einzelschicksale, die den Stoff ihrer Arbeiten ausmachen, sind ihr persönlich erzählt worden. «Ich bin ein Mensch, der gerne zuhört, das war ich schon immer. Und dann erzählen mir die Menschen auch gerne ihre Geschichten», sagt sie und hält inne. Eine weitere Qualität der jungen Künstlerin: Sie kann warten. Auf ­Fragen folgt jeweils eine Pause, nicht etwa, weil sie sich eine Antwort ausdenkt, sondern weil sie eine Erklärung abzuwarten scheint. Man hat im Gespräch mit ihr das Gefühl, mit jeder Frage ein kleines Stück seiner Selbst preiszugeben. Und findet das nicht einmal befremdlich.

Wessen Leben wird erzählt?

«Lag sie (meine Mutter) am Boden, war ich nicht stark genug, sie aufzuheben.» Die Stimme des Mannes zittert leicht. Sie erzählt vom Kindsein in ­einer dysfunktionalen Familie, über Alkoholprobleme und Gewalt. Thürings «Der grosse Bruder, der Bruder, die Schwester, die kleine Schwester» ist wieder ein Einblick in verschiedene Gefühlswelten. Dieses Mal dient aber nicht ein Garten als Bildebene, sondern das Sprechen selbst: Vier Personen sind abwechselnd zu sehen, sie lesen von einem Blatt Papier ab und reden in ein Mikrofon. Somit fallen die vielen Fragen, die im Garten gestellt werden mussten, auf den ersten Blick weg: Der Betrachter sieht genau, wessen Leben hier erzählt wird. Aber der Eindruck täuscht: Die Sprecher sind Schauspieler und nicht die vier Geschwister, von denen die Geschichte handelt. Thüring hat beiden Parteien eine Distanz auferlegt, die letztlich umso näher geht: Die Geschichte der Geschwister wird zur Geschichte des Schauspielers und auch zu der des Betrachters.

Die Themen in Thürings Arbeiten gehören zum Grundgerüst des Menschseins: Identität, Erinnerung, Bewusstsein, Familie. Sie erzählt von den ­Fragen. Wie kann man sich an etwas erinnern, an das man sich eigentlich nicht erinnert? Was sind die Strukturen innerhalb von Familien? Wie wird Identität geschaffen? Fragen, die die Menschheit seit Jahrhunderten beschäftigen.

Wieder eine Pause. Thüring weiss um den Wert von Worten. Ihre Sätze sind mit Bedacht gewählt, manchmal beendet sie eine Aussage mit einem «So». Als hätte sie sich vergewissern müssen, den Satz richtig formuliert zu haben, bevor sie beschliesst, ihn freizugeben.

Kunst abseits vom Trend

Thüring bewegt sich abseits vom Trend. Man sucht vergeblich nach Aufschrei, Meinung, Politur. Es ist Kunst, die nicht durch ihre Oberfläche besticht, sondern durch den Unterton. Die Kamera, die Schauspieler, die Stimmen und die grünen Landschaften: Alles wird Teil des Menschseins, gliedert sich in Gesellschaftsstrukturen und schleicht sich in die eigene Geschichte. Thüring trifft den Nerv der Zeit, indem sie das Zeitlose aufgreift.

Die Sorgfalt und die Tiefe ihrer ­Arbeiten spiegeln sich auch in der Ausdrucksweise der Künstlerin wider: Ihre Aussagen sind überlegt, sie gibt sich nicht mit Halbgarem zufrieden. «Oftmals kommen Schreibende mit einer fixen Vorstellung zu mir und erwarten knackige Aussagen. Die merken dann aber ziemlich schnell, dass sie bei mir damit nicht weit kommen.» Lena Maria Thüring lacht. Wer sich mit ihr auseinandersetzt, findet die Antworten im Gespräch. Das gilt letztlich auch für die ursprüngliche Frage: «Meine Arbeit funktioniert nicht mit einem Ziel.» Sie stelle die Fragen, erwarte aber keine Thesen­bestätigung. Es gehe um eine Auseinandersetzung, nicht um etwas, das einfach abgeschlossen werden kann. «Mich interessiert es, über generelle Probleme anhand persönlicher Geschichten nachzudenken. So.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 06.09.13

Nächster Artikel