Das Werk «Madonna» ist eine der Ikonen aus dem Schaffen von Edvard Munch (1863-1944). Es gibt mindestens vier Gemälde mit der ungewöhnlichen Madonna, die sich nackt und lasziv in Pose wirft. Dazu kommen etliche Lithographien, die Munch handkoloriert hat, und die deshalb an Auktionen für horrende Preise gehandelt werden.
Eine dieser Lithographien befindet sich in der Sammlung des Basler Kupferstichkabinetts. Um diese (und um 119 weitere Papierarbeiten) geht es in dieser komplizierten Geschichte. Die «Basler Zeitung» hat diese Werke nun zu «Leichen im Keller des Kunstmuseums» erklärt. Warum dies?
Alarmblinker «Raubkunst»
Die Geschichte beginnt 1933. Damals kaufte der Direktor des Kunstmuseums Basel an einer Auktion in Berlin 120 Zeichnungen und druckgrafische Werke aus der Sammlung des jüdischen Kunsthistorikers Curt Glaser. Darunter die zwei Munch-Lithographien «Selbstbildnis» und «Madonna».
Bei der Kombination der Jahreszahl 1933, dem Ort Berlin, und der Person eines jüdischen Kunsthistorikers blinkt natürlich sofort das Feld «Raubkunst» auf dem Alarmdisplay auf. Aber um Raubkunst handelt es sich in diesem Fall nicht. Oder zumindest nicht direkt, was den besagten Fall eben so kompliziert werden lässt.
2004, also 70 Jahre nach dem Kauf, meldete sich eine New Yorker Anwaltskanzlei in Basel und verlangte im Namen entfernter Verwandter von Curt Glaser zuerst Auskunft über die beiden Munch-Litographien – und dann um deren Rückgabe. Später, als das Kunstmuseum über den gesamten Umfang des Auktionszuschlags von 1933 informiert hatte, wurde die Rückgabeforderung auf alle 120 Werke ausgedehnt.
Das Kunstmuseum und die Regierung wiesen die Forderung «nach umfassenden und sorgfältigen Abklärungen» zurück, wie die Basler Regierung 2008 in einer Medienmitteilung bekanntgab. Das Kunstmuseum habe die Werke damals «gutgläubig» erworben, und die Preise seien «zeittypisch bzw. marktkonform» gewesen. Zudem habe es sich nicht um eine Auktion mit geraubtem Besitz jüdischer Sammler gehandelt.
Curt Glaser war zwar eines der Opfer der Säuberungswelle der Nazis, er verlor seinen Job als Direktor der Kunstbibliothek in Berlin. Er habe aber den Auktionserlös erhalten, der ihm schliesslich die Ausreise aus Deutschland erlaubt habe – unter anderem mit weiteren Werken im Gepäck, die er im Zürcher Kunsthaus deponiert habe, so die Regierung.
Die Erben verzichteten auf einen Gerichtsstreit, die Angelegenheit kam zur Ruhe.
Neu hochgekocht
Bis der Fall Gurlitt die Sache wieder hochkochen liess. Im Sommer 2015 hatte die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» über den Fall Glaser berichtet. Es folgte am 1. November die Sendung «Rundschau» von SRF mit einem Bericht über die abgelehnte Rückgabe der Basler Werke an Glasers Erben. Der Sender warf der Basler Regierung vor, die «Fakten strapaziert» zu haben.
Von «marktkonformen» Preisen könne nicht die Rede sein, selbst die Basler Kunstkommission habe 1933 in einem Protokoll die Worte «günstig» und «billig» benutzt. Ausserdem stimme die Aussage der Regierung nicht, dass der Käufer 1933 nicht gewusst habe, dass sie aus der Sammlung von Curt Glaser stammten. Tatsächlich ist im Protokoll von 1933 von der «Auktion Glaser» die Rede.
Was Gurlitt mit der Sache zu tun hat? Die «Rundschau» liess als einen der Kronzeugen für das als unrühmlich dargestellte Verhalten der Basler den Vizepräsidenten der Trägerstiftung des Kunstmuseums Bern, Marcel Brülhart, auftreten. Mit der Übernahme der Sammlung Gurlitt hatte sich das Berner Museum verpflichtet, die deutschen Grundsätze zur Rückgabe von Raubkunst anzuwenden.
Die deutschen Grundsätze gehen über diejenigen des Schweizer Rechts und auch des Washingtoner Abkommens über die Restitution von Raubkunst hinaus. Das hat insbesondere Auswirkungen, wenn es darum geht, sogenanntes Fluchtgut von Raubkunst abzugrenzen. Raubkunst sind von den Nazis enteignete Kunstwerke. Als Fluchtgut bezeichnet man Besitztümer, die Juden unter dem Druck der Nazis veräussern mussten.
Seither kreuzen die Befürworter der schärferen deutschen Bestimmungen und die Freunde des Schweizer Rechts die Klingen. Die einen appellieren an die historische Verantwortung und an die Sorgfaltspflicht, die anderen warnen vor folgenschweren Präzedenzfällen.
Auch Kunsthaus Zürich unter Rechtfertigungsdruck
Nicht nur das Kunstmuseum Basel muss sich übrigens Vorwürfe anhören, die Notlage Glasers ausgenützt zu haben. Auch das Kunsthaus Zürich wird damit konfrontiert. Glaser hatte die Werke, die er von Deutschland in die Schweiz ausgeführt hatte, im Zürcher Kunsthaus deponiert. Als er 1941 in die USA weiterreisen wollte, machte das Museum ein Kaufangebot für das Munch-Gemälde «Musik auf der Karl Johan Strasse».
Glaser habe sich bereit gezeigt, das Werk weit unter dem Marktpreis, nämlich für 15’000 Franken, zu verkaufen. Das Kunsthaus handelte den Preis schliesslich auf 12’000 Franken runter. Das Kunsthaus rechtfertigt sich ebenfalls damit, dass dieser Preis damals marktkonform gewesen sei. Glaser selber, der kinderlos blieb, muss keinen allzu grossen Groll gegen das Zürcher Haus gehegt haben. Er verkaufte dem Kunsthaus zwei Jahre später ein weiteres Munch-Werk.