Plötzlich geht das Licht aus im Büro, und Marc Lettau, Redaktor beim «Bund», wedelt im Dunkeln ungläubig mit der Hand. Doch nicht jetzt! Doch nicht in dieser Szene, in der er just vom Lichterlöschen berichtet! Vom Schmerz, ein Archiv zu vernichten, das die Verleger alten Plunder nennen.
Der automatische Bewegungsmelder reagiert rasch auf Lettaus Gewedel, das Licht geht an. Aber Lettau sagt erst mal nichts mehr.
Es ist dem Regisseur Dieter Fahrer hoch anzurechnen, dass er solche anrührenden Szenen sparsam dosiert. Sein Dokumentarfilm «Die Vierte Gewalt» beleuchtet die sich wandelnde Medienwelt und erzählt, was sich dort hinter den Kulissen tut. Dabei verzichtet er darauf, den Journalismus zur melodramatischen Heldenerzählung zu verklären, was angesichts der jüngsten Entwicklung in der Branche ein Leichtes wäre. Ein leiser Abgesang ist der Film trotzdem geworden.
Fahrer zeigt Journalistinnen und Journalisten bei der Arbeit. Sie schreiben für den «Bund» und filmen für «Watson», sprechen Beiträge für das «Echo der Zeit» oder verkaufen «Hektoliter Hoffnung» bei der «Republik». So formulierte es Journalist und «Republik»-Mitbegründer Constantin Seibt im Jahr 2016, als die letzten Sequenzen des Films gedreht wurden und sein neues Online-Medienprojekt wenig mehr war als ein Gerücht.
Warum die Wahl ausgerechnet auf diese vier Redaktionen fiel, bleibt unkommentiert, ist aber wohl dem Anspruch geschuldet, einen Querschnitt durch die Schweizer Medienszene zu zeichnen. Nur der «Bund» erhält eine Sonderstellung, er begleitet die Familie Fahrer seit jeher und ist mehr als nur gebündelte News zum Morgenkaffee.
In der Not helfen Klickschleudern, Themen mit emotionaler Angriffsfläche.
Der «Bund» ist den Fahrers ein Stück Gewohnheit, das man sich noch in die Ferien nachschicken liess. Die Tageszeitung war Taktgeber des Alltags. Fahrers Eltern lesen den «Bund» im Altersheim noch immer, während sie drüben auf der Redaktion in Bern versuchen, sich mit dem Internet zu arrangieren.
Keine Mühe damit haben die Digital Natives bei «Watson», die ihre Redaktionskonferenzen bevorzugt im Stehen bestreiten, gerne oft und laut das Wort pushen sagen und überhaupt quasi im Internet geboren wurden. Dass sie durchaus auch ernsthafte Geschichten machen, wird am Beispiel der Reporterin Rafaela Roth illustriert, die mittlerweile für den «Tages-Anzeiger» arbeitet.
«Heute kommen meine Flüchtlinge an», sagt Roth und freut sich über die bevorstehende Zusammenführung einer syrischen Familie am Bahnhof in München, die sie im Verlauf einer früheren Recherche bereits kennengelernt hat. Im Titel ihres Artikels steht später etwas mit «… und was ‹Watson› damit zu tun hat». Die Marke pushen, um jeden Preis. Auch das gehört zum Einmaleins einer möglichst erfolgreichen Digitalstrategie.
Wobei die Relativität des Erfolgs besonders dort zutage tritt, wo der Redaktionsbetrieb mit Native Advertising, schrumpfenden Büroflächen, gestrafftem Personalbestand und Katzenvideos verteidigt werden muss. In der Not helfen sogenannte Klickschleudern, Themen mit emotionaler Angriffsfläche.
Selbst das «Echo der Zeit», das Flaggschiff der SRF-Informationssendungen, segelt nur dann wirklich hart am Wind, wenn im Nationalrat beim Thema «Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative» die Fetzen fliegen.
News-Flut und Dreck-Filter
Mit Trump kam die Erkenntnis, dass in Zeiten der Krise auch vergiftete Winde dankbar empfangen werden, um die schlaffen Segel der Branche zu blähen. Das zeigt Fahrer am Beispiel einer zwischenzeitlich eingeführten Regel im Hause Tamedia: Mitarbeiter erhielten dort testweise einen klickabhängigen Bonus nach dem Motto, wer Traffic generiert, kassiert. «Hurti chli Trump, u när ab id Ferie», kommentiert Fahrer diese selbstverordnete Boulevardisierung lakonisch.
Unentwegt stehen die Fragen im Raum, die Journalisten wie Leserinnen umtreiben: Wie sich der endlosen Flut an Nachrichten entziehen? Wie das Relevante vom Irrelevanten unterscheiden? Der Film liefert hier keine Antworten, sondern Denkanstösse.
Die Krise der Medien ist längst auch zur Krise der Medienkonsumenten geworden.
Ereignisse sind die Rohstoffe der Medienwelt, sinniert «Republik»-Mitinitiant Christoph Moser gegen Ende des Films, und wie die meisten Rohstoffe seien sie erst mal nur «Dreck». Erst durch das Verknüpfen und Anreichern mit Hintergrundinformationen in der medialen Raffinerie entstünden Nachrichten mit Mehrwert.
Ironischerweise suggeriert der Film «Die Vierte Gewalt» zwischen den Szenen aus den Redaktionen eine andere Sicht der Dinge. Immer wieder werden Live-Aufnahmen scheinbar willkürlich ausgewählter Webcams zwischengeschaltet, sie zeigen den nackten, unkommentierten, banalen Alltag am Ende der Welt und «informieren» damit seltsam kontemplativ. Diese Bilder streut Fahrer wie stoische Antagonismen zum medialen Sperrfeuer in seinen Film.
«Ich gebe zu, ich bin ein Voyeur», sagt der Regisseur dazu aus dem Off und lenkt damit den Blick weg von den dauerwurstelnden Medienmachern zu sich als Betrachter und mithin zum Publikum.
Die Krise der Medien, das zeigt «Die Vierte Gewalt», ist nicht der Branche vorbehalten. Die Krise der Medien ist längst auch zur Krise der Medienkonsumenten geworden. Das offenbart sich aktuell am drohenden Rückbau der SDA-Redaktionen, der Leerstellen und damit Informationslücken hinterlässt. Das zeigt sich auch an den Diskussionen rund um die «No-Billag»-Initiative.
Dieter Fahrers Film ist kein Hoffnungsträger. «Die Vierte Gewalt» ist trotzdem der Film der Stunde.
«Die Vierte Gewalt» läuft am 11. Februar, 11.00 Uhr, im Kultkino Atelier (anschliessend Gespräch mit Regisseur Dieter Fahrer) sowie in ausgewählten Kinos.