Lichtspiele: Dictator. Great. The.

Bringen Sie Ihren demokratischen Verstand in Sicherheit. Dieser Film will Sie um denselben bringen.

Welcome to New York City, Mister Dictator! (Bild: ©Paramount Pictures)

Bringen Sie Ihren demokratischen Verstand in Sicherheit. Dieser Film will Sie um denselben bringen.

Satire kann lebensgefährlich sein: Hätte Tucholsky sich nicht selber umgebracht, wer weiss, ob die Nationalsozialisten das nicht gerne für ihn erledigt hätten. Verspricht uns Sasha Baron Cohens «Dictator» also einen lebensgefährlichen Abend? Der Rapper Shahin Najafi ist auf der Flucht vor iranischen Todesdrohungen, der Komiker Zarganar landete vor zwei Jahren im burmesischen Gefängnis, der dänische Karikaturist Westergaard lebt nur noch mit Bodyguards. Cohen lebt noch. Zumindest sein Double.

Gaddhafi bescherte jahrelang den TV-Unternehmern hinreissendes Entertainment, den demokratischen Waffenindustrien und Banken Milliardengewinne. Wie ist der Regenschirm-TV-Auftritt von Gaddhafi durch Satire noch zu übertreffen? Cohen reitet auf einem Kamel im Big Apple ein – das wäre noch nahe an der Wirklichkeit –, allerdings gefolgt von 60 hellblauen Lamborghinis für die Familie. Wo früher politische Satire noch an den Verstand appellieren durfte, macht Cohen uns klar, wie wir uns von den Mächtigen und Prächtigen der Welt um denselben haben bringen lassen. Chaplin kämpfte mit seinem «Diktator» noch gegen den erklärten Feind. Cohen kämpft gegen jede Form von Feinden – und ist doch selber nur ein kleiner Räuber: des Verstandes.

Seit auch demokratische Machthaber am Businessmodell «Ohne Völker wäre Regieren viel einfacher» Interesse zeigen, gibt es in den Demokratien mehr unzufriedene Völker als in den Diktaturen unzufriedene Diktatoren. Aber wer rettet jetzt all die demokratischen Machthaber? Cohen kennt das Rezept. Sein «Dictator» ist nicht «Great» wie jener Chaplins. Aber, wenn Aladeen, nachdem er sein Praktikum im Bioladen in NY hinter sich und sein Double umgebracht hat, vor der UNO eine Lobrede auf die Diktatur hält, darf man ruhig auch mal kurz an Chaplin denken. Während das Genie von damals pathetisch an die Menschlichkeit appellierte, lobt der «Dictator» von Cohen ebenso leidenschaftlich die Vorteile der Diktatur – indem er die krassen Ungerechtigkeiten der Demokratien aufzählt. Bei Cohen kriegen alle ihr Fett weg – selbst fette Kinder.

Wenn Sie also Ihren Verstand in «Dictator» riskieren wollen: Seien Sie darauf gefasst, dass Sie sehr oft weit unter Ihrem Niveau lachen werden. Immerhin laufen Sie keine Gefahr, hierbei gefasst zu werden.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.05.12

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