Lichtspiele: Innenleben

Regisseur François Ozon führt in «Dans la maison» einen Lehrer an seine Grenzen.

Tiefe Einblicke: Der Schüler verguckt sich in die Mutti des Kollegen. (Bild: filmcoopi)

Regisseur François Ozon führt in «Dans la maison» einen Lehrer an seine Grenzen.

Die Jugend ist am Verblöden. Germain, der Lehrer der Literatur, hat das Recht, das so zu sehen. Seit Jahren unterrichtet er die Poetik und sitzt doch, wenn ein neues Schuljahr beginnt, nur allzu selten einem stinkbegabten Schüler gegenüber. Noch seltener konfrontiert er sich mit seinem einst selbst gehegten Wunsch, stink­begabt zu sein. Als Claude in ­seiner Klasse sitzt, muss Germain sich mit beidem auseinandersetzen.

Ausgerechnet jetzt, wo die Schulreform die Schuluniform wieder einführt, ragt Claude aus allen anderen heraus. Er beschreibt die Familie seines besten Freundes, als hätte er sie hautnah beobachtet. Germain widmet sich dem Talent, führt ihn in die Gesetze der Dramaturgie ein, stellt sich selber in den dramatischen Dienst des Stoffes, findet sich gar damit ab, zu einem Teil des Beschriebenen zu werden.

Im Spannungsfeld der Kreation

Dass er dabei nicht nur sich selber noch einmal erfindet, sondern auch Claude ermuntert, die beobachtete Familie weiter zu erdichten, führt zu einem spannenden Krimi, bis die Fiktion uns einholt: Als der befreundete Schüler sich im Dachzimmer erhängt, will Germain in die Wirklichkeit zurück – zu spät. Oder besser: Gerade früh genug, um noch einmal zurückzukehren an jenen Punkt, an dem er seine Wirklichkeit im Stich gelassen hat.

François Ozon hat im Theaterstück von Juan Mayorga eine Geschichte vorgefunden, die auch zwischen den Deckeln eines Groschenromans Platz fände. Aber Ozon ist eben ein Meister vieler Stile. So ganz nebenbei lässt er uns teilnehmen an der Erfindung seines Drehbuches, lässt seine Figuren sich einmischen, führt uns am Gängelband und wirft uns mit jeder Einstellung von Neuem in das Spannungsfeld filmischer Kreation.

Und ganz nebenbei führt er einen höchst vergnüglichen Diskurs über Kunst und Kommerz, über den Verlust der Repräsentanz von Kunst in der medialen Welt der intellektuellen Klasse, und er endet mit einem bösen Kommentar: Kunst, die sich nicht verkaufen will, kommt ganz einfach nicht mehr vor.

 

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.11.12

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