Lichtspiele: Postkartenidyll

Schauspielerin Martina Gedeck begibt sich für «Die Wand» in die Isolation der Bergwelt.

Schauspielerin Martina Gedeck begibt sich für «Die Wand» in die Isolation der Bergwelt.

Vor 50 Jahren lockte uns Marlen Haushofer mit dem Roman «Die Wand» in die Berge. Ihre Hauptfigur rennt – hinten im Tal – gegen eine unsichtbare Wand. Unter einem gläsernen Trichter gefangen, versucht sie zu überleben. Mit einem Hund, ­einer Katze und einer Kuh führt sie das ­Leben eines Robinson und beginnt, über ihr Innenleben zu schreiben. Alles wird zu ­Natur. Selbst der unbekannte Mann, der plötzlich aus dem Nebel auftaucht und ­ihren letzten Freund, den Hund, erschlägt, kommt wie ein Naturereignis: unerbittlich. Sie erschiesst ihn, den einzigen Menschen, der noch in ihrer Isolation vorkommt.

Wem soll nun eine Verfilmung des Tagebuches die Treue halten: Der Geschichte? Der Autorin? Der Erzählung oder der ­Erzählform? Im Buch gibt die Schreibende nur so viel von ihrem Innenleben preis, wie wir ihren Schilderungen der Natur ent­nehmen wollen. Gewiss könnte nun ein Film die junge Frau ihre Gefangenschaft filmisch dokumentieren lassen: mit dem Handy, mit einer Kamera etc.

Julian Pölsler verzichtet in seiner «Wand» auf krasse, narrative filmische Zugriffe. Stattdessen setzt er auf Martina Gedecks unaufgeregte Fähigkeit, Isolation zu erfahren.

Blättern durch ein Bilderbuch

Das Medium Film bleibt dabei nicht ganz auf der Strecke: Wenn etwa die Fensterwand das grellschöne Aussen von dem ­Hütteninnern abtrennt. Oder sich eine ­Nebel- vor die Bergwand stellt. Wenn die Kamera auf einer Rückwärtsfahrt vom Wandteppich mit dem Hirsch durch das Eisblumen-Fenster hinaus in die kalte ­Natur fährt und drinnen wie draussen ­Natur herrscht.

Trotzdem: Wir blättern langsam durch ein Bilderbuch – auf Distanz. Nur im ­bittersten Moment ihrer Gefangenschaft, dem Tod ihrer Tiere, dürfen wir in Zeitlupe fast in das Erleben der isolierten Frau ­hineinkriechen. Obwohl der Film, mehr noch als das Buch, mit Weglassung arbeitet, kann die «Wand» als Film höchstens in imponierenden Postkartenschilderungen mithalten.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04.01.13

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