Liliane Amuat spielt im Ensemble des Wiener Burgtheaters und wurde nun von Andreas Beck nach Basel geholt. Ein Treffen kurz vor einem ungewöhnlichen Karriereschritt.
In Wien wohnt Liliane Amuat im Augenblick noch mit vier Leuten auf 180 Quadratmetern, für kaum Miete und mit gefühlt fünf Meter hohen Räumen. Und von der Stadt, die sie nun verlässt, spricht sie wie von einer Liebe. Denn Wien ist eine Theaterstadt wie kaum eine andere. Jede Vorstellung ist ausverkauft, einen Stehplatz bekommt man für 1 Euro 50. Und als sie eines Abends mit dem Taxi zu einem Auftritt ans Burgtheater fuhr, wo sie seit drei Jahren Teil des Ensembles ist, fragte der Fahrer: «Ich habe Sie doch neulich in den ‹Gespenstern› gesehen.» Der Taxifahrer. Das passiert in Basel vielleicht einem FCB-Spieler, aber der fährt selber Auto.
Da bringt man zum Treffen mit Liliane Amuat logischerweise die Frage mit: Warum nur von der Donau an den Rhein? Und wie sie darauf antwortet, da ist sie ein wenig eine Romantikerin, das sagt sie selber. Aber schön ist das, sehr ansteckend. Sie erzählt: Als Andreas Beck ihr vor einem guten Jahr sagte, er gehe nach Basel und seine Türen stünden ihr offen, da fuhr sie her und schaute sich um.
Ein Boot hielt vor ihren Füssen: «Steig ein.»
Sie ging am Rhein entlang, und da sei doch, «beim Wagendorf», ein Silo und daneben eine Lagerhalle. Da ist sie reingegangen, als ihr ein Kasten von einem Mann entgegenkam, so kastig und eben in dieser Halle, dass sie Angst bekam. Der Kasten sagte, «was machst du hier», und sie dachte, das kommt nicht gut. Der Kasten war aber Betreiber eines Boxclubs, und er führte sie herum und zeigte ihr alles.
Danach ging sie weiter in den «Rostigen Anker». Auch da lauter gute Begegnungen, sagt sie, und als sie heimwollte, wusste sie nicht wohin. Orientierung ist nicht so ihrs. Aber da hielt ein Boot vor ihren Füssen und der Schiffer sagte: «Steig ein.» So war das, «wie verzaubert», sagt sie. Man denkt sich: Ich muss mal wieder durch Basel laufen, als würde ich schauen, ob ich hier hinziehen will.
Die Dinosaurier an der Burg
Und das Burgtheater, das sie verlässt? Es ist ein Riesenhaus, das Ensemble zählt 80 Leute (Basel: 26). Mit dabei sind einige «Dinosaurier» der Theaterszene, wie Liliane Amuat sie nennt. Man könne viel lernen, von diesen Dinosauriern. Von Kirsten Dene spricht sie viel, einer 72-jährigen Schauspielerin, für die Thomas Bernhard mal ein Stück geschrieben hat. Nach all den Jahren sei sie vor der Leseprobe aufgeregter als Liliane Amuat vor einer Premiere. Dene sei immer aufgeregt. Aber wenn sie auf die Bühne tritt, komme sie ganz runter. «Jeder Satz ist pur», sagt Liliane Amuat, «sie lebt auf der Bühne.»
Das ist ein Gemeinplatz, aber wenn man es erlebt, ist es stark. Wahrscheinlich erst recht, wenn man wie Liliane Amuat als 18-Jährige nach Wien kommt, gerade mal ein Praktikum am Schauspielhaus Zürich in der Tasche, und schon im dritten Jahr am Max Reinhardt Seminar ein festes Engagement an der Burg bekommt.
Was Liliane Amuat von der Dene erzählt, klingt ähnlich wie das, was Simon Rattle über das Dirigieren sagt: vor dem Konzert so viel wie möglich arbeiten und im Konzert so wenig wie möglich. Ob es in Basel Leute gibt, die das in dieser Form verinnerlicht haben?
Auf jeden Fall gibt es hier etwas Anderes, und man muss es so erzählen: Als wir uns am vergangenen Freitagabend in einer Bar in Basel treffen, ist Liliane Amuat gerade fertig ausgenüchtert. Am selben Mittag hat sich das neue Ensemble des Theater Basel zusammen mit dem Intendanten und den vier Hausregisseuren zum ersten Mal auf einen Umtrunk getroffen.
«Kunst entsteht aus dem Gefühl von Freiheit», sagt Amuat, «nicht aus Druck.»
Nicht, dass es exzessiv geworden wäre, aber sehr familiär. «Es war eine Stimmung, in der man Ja zueinander sagt», sagt Amuat. Es sei Lust da, etwas zusammen zu machen. Und deswegen glaubt sie, dass die Probenarbeit in Basel auf Vertrauen aufbauen wird. Und das sei wichtig, weil man sich dann alles sagen kann. «Kunst entsteht aus dem Gefühl von Freiheit», sagt sie, «nicht aus Druck.»
Und das habe der Beck bereits im Schauspielhaus in Wien hergestellt, wo er soeben herkommt. Unter seiner Intendanz hat das Haus, obwohl mit kleinen Mitteln, eine grosse Ausstrahlung entfaltet. Nun bringt er von dort fast das ganze Ensemble und mit ihm offensichtlich eine gewisse Stimmung mit nach Basel.
Schon in Wien sei sie sehr gern bei Becks Truppe am Schauspielhaus gewesen, sagt Liliane Amuat, denn an der Burg wehe schon ein anderer Wind. In der ersten Zeit habe sie unter grossem Druck gestanden, zu zeigen, dass sie etwas kann. Nicht ganz unverständlich, aber trotzdem.
Basel wird frisch
Dass Basel etwas Familiäres hat, heisst nicht, dass die Arbeit gemütlich wird. Im Gegenteil war es an der Burg auf eine Weise gemütlich geworden. Seit der grossen Finanzaffäre im Frühjahr letzten Jahres, bei der die Veruntreuung grosser Summen bekannt wurde, hat sich das Haus um gediegene Arbeit bemüht, um das Vertrauen der Leute zurückzugewinnen.
Teilweise auch altbacken und langweilig, wie Liliane Amuat findet. «Wie oft war ich im Theater und habe mich gefragt, was das mit mir zu tun hat», sagt sie. Kommt dazu, dass im dortigen Ensemble lange nur drei Schauspieler unter 30 waren und das Publikum entsprechend im Schnitt 70.
Basel wird frisch, glaubt sie. Die vier Hausregisseure sind unter 40 und die Inszenierungen, soweit sie sieht, radikal in der Anverwandlung von älteren Stoffen an die heutige Zeit. Wenn nicht sowieso Aktuelles gespielt wird, wie etwa die Bühnenadaption von Dorothee Elmigers Roman «Schlafgänger», der übrigens in Basel spielt und bei der Liliane Amuat die Hauptrolle übernimmt.
Wie diese Adaption möglich sein soll, kann sie sich allerdings noch kaum vorstellen. Das Buch, das letztes Jahr beinahe den Schweizer Buchpreis bekommen hat, ist nämlich genauso intelligent wie sperrig.
Sie selbst hat ungefähr zehn Anläufe gebraucht, um es durchzulesen – «ehrlich gesagt», räumt sie ein, bevor wir darüber sprechen, welche Bücher man in Wahrheit so auf dem Nachttisch liegen hat und von denen man zum Teil lieber nicht will, dass der Besuch sie sieht. Denn Liliane Amuat ist ja, wie gesagt, eine Romantikerin, und wenn es darum geht, warum sie eigentlich ins Theater geht, dann ist die Antwort klar: weil sie berührt werden will.