Maryam Jafri untersucht unser Verlangen nach Konsum

Die Künstlerin Maryam Jafri beschäftigt sich in der Kunsthalle Basel mit dem menschlichen Verlangen – allerdings auf sehr abstrakte Weise: Sie untersucht in ihrem Werk, wie globale Firmen es zu wecken versuchen. Und wie wir mit deren Manipulation umgehen.

Fakten zum Anfang.

(Bild: Philipp Hänger)

Die Künstlerin Maryam Jafri beschäftigt sich in der Kunsthalle Basel mit dem menschlichen Verlangen – allerdings auf sehr abstrakte Weise: Sie untersucht in ihrem Werk, wie globale Firmen es zu wecken versuchen. Und wie wir mit deren Manipulation umgehen.

Fakten stehen am Anfang von Maryam Jafris Arbeit. Und Fakten stehen am Anfang und am Ende ihrer Ausstellung in der Kunsthalle Basel. Denn «Facts» liest man, ganz konkret, kaum ist man durch die Tür ins Innere gehuscht. Das Wort steht als Titel auf einem Magazin, das hinter Glas auf einem Sockel steht. Auf einem zweiten Sockel gleich daneben dasselbe Wort, diesmal auf einer Packung Zigaretten.

Auf den ersten Blick scheinen Magazin und Zigaretten zusammen zu gehören – denn der Schriftzug ist fast identisch. Eine Schrifttafel an der Wand aber klärt uns auf: Das Magazin stammt aus den 1960er-Jahren, die Zigaretten hingegen sind rund zehn Jahre jünger.

Das US-Magazin «Facts» hatte sich zum Ziel gesetzt, die Öffentlichkeit über Umstände aufzuklären, die von den Medien sonst verschwiegen werden. Zu diesen Umständen gehörte, dass Rauchen Krebs verursachen kann. Wie kommt nun eine Zigarettenfirma dazu, ein paar Jahre später den Schriftzug der mittlerweile eingegangenen Zeitung fast eins zu eins zu kopieren?

Ganz einfach (und frech): Die Packung soll laut Hersteller ebenfalls der Aufklärung dienen. Darüber nämlich, dass man mit diesen Zigaretten ein «gesünderes» Produkt mit weniger Schadstoffen gekauft habe. Den Marktdurchbruch brachte diese Idee allerdings nicht.

Maryam Jafri liebt solche Geschichten. Eine ganze Werkserie hat sie Produkten gewidmet, die vom Markt zurückgerufen wurden oder die schlicht keiner kaufen wollte. Was sie im Original nicht mehr erhalten konnte, zeigt ein Foto. Ein gerahmter Text erzählt die Geschichte dazu.




Babyfood in Gläsern kennen wir – erwachsene Singles jedoch wollen etwas anderes. (Bild: Karen N. Gerig)

«Product Recall: Index of Innovation» versammelt teils Unglaubliches. Da findet sich beispielsweise ein Fleischersatz, der aus dem ersten genmanipulierten Sojaprotein hergestellt wurde und – bevor er vom Markt flog, weil der Verzehr bei manchen Konsumenten Kopfschmerzen hervorrief – noch an Schulen, Altersheime und Gefängnisse geliefert wurde. An Institutionen also, in denen nicht gewählt werden kann, was auf den Teller kommt.

Andere Produkte hatten vor allem Pech. Ein Konfekt, das den Frauen in den Fünfzigern und Sechzigern versprach, beim Naschen dünn zu werden, war ein Verkaufsschlager. Tatsächlich waren die kleinen Schokoquader allerdings vollgepumpt mit Amphetaminen. Was keiner wusste, weshalb auch Kinder die Dinger liebten. Vom Markt genommen wurde das Produkt jedoch nicht wegen der gesundheitsschädlichen Wirkung, sondern wegen seines unglücklich gewählten Namens: «Ayds» hiess es – und als Ende der 1970er-Jahre die Aids-Epidemie um sich zu greifen begann, war der Werbespruch «Ayds hilft ihnen dabei, dünn zu werden» nur noch fehl am Platz.

Profunde Recherche

Die Werkserie zeigt, worin die grösste Leidenschaft der Künstlerin, die in Pakistan geboren wurde und heute in New York lebt, besteht: In der profunden Recherche und in der Akquisition von dokumentarischem Material. Beides bedeutet gleichzeitig die grösste Herausforderung. Denn Produkte aufzutreiben, die vor Jahrzehnten vom Markt genommen wurden, ist nicht nur im Falle von Lebensmitteln keine einfache Sache.

Deshalb, sagt Jafri, seien das, was man in der Ausstellung sehen könne, die erfolgreichen Versuche. Wie viele gescheiterte dahinter versteckt sind, kann man nur vermuten.

Ein Projekt, das fast nicht zustande kam, ist die Videoarbeit «Avalon». Sie ist einer Fabrik in «einem asiatischen Land» gewidmet, das die Künstlerin nicht verraten will. Dort wird Fetischbekleidung für den Export in den Westen hergestellt – Zwangsjacken oder Ledermasken, die später in S/M-Räumen zum Rollenspiel verwendet werden. Die Arbeit dieses Unternehmens ist derart geheim, dass nicht einmal die Angestellten wissen, was sie herstellen. Sie glauben, Leichensäcke für die US-Armee zu fertigen, Requisiten für Zirkustiere oder Zwangsjacken für psychiatrische Einrichtungen.




Einrichtungen für S/M-Spiele: Nur Details verraten sie. (Bild: Philipp Hänger )

Der rote Faden, der sich durch Jafris Werk zieht, liegt im Verlangen begründet, das zusammen mit der Kommerzialisierung unseren Alltag ausmacht. Mit welchen Strategien weckt der Markt dieses Verlangen? Wie wirken sich umgekehrt unsere Wünsche auf den Markt aus? Und was macht dieser dann wieder damit?

Die S/M-Kultur zeigt natürlich ein Extrem davon. Das andere Extrem zeigt Jafris Werkserie «Generic Corner», die den Abschluss der Ausstellung markiert (die anderen eingangs erwähnten «Fakten»). Es sind wiederum Objekte, die Jafri hier präsentiert. Lebensmittelverpackungen, um genau zu sein.

Reduce to the max

Mit dem heutigen Auge betrachtet sehen sie aus wie hippe Designprodukte: Weisse Verpackungen mit einem schwarzen Schriftzug, der nichts anderes tut als beschreiben, was in der Packung ist: Bier, Cornflakes, Backpulver. Die Produkte sind allerdings nicht neu, sondern kamen Ende der 70er-Jahre in den USA auf den Markt. Es waren die ersten «Generic Foods» – billige Kopien von Markenprodukten.

In den Supermärkten gab es damals ganze «Generic Corners» (so auch der Titel dieser Ausstellung). Es war eine stigmatisierte Ecke, freiwillig ging dort keiner hin, nur diejenigen, die sich die regulären Produkte tatsächlich nicht leisten konnten.




Cornflakes und sonst nichts. (Bild: Karen N. Gerig)

Suchen wir in diesen Produkten das Verlangen, das sich wie ein roter Faden durch Jafris Werk zieht, so finden wir es nicht. Zumindest ist es aufs Äusserste reduziert und bezieht sich höchstens noch auf den Inhalt der Packung. Auf alles, was das Marketing jedoch mit uns macht, wird hier verzichtet.

Wie diese Produkte wirken Jafris Arbeiten sehr schlicht und reduziert. Das gezeigte Produkt, sagt sie, sei auch nicht die Kunst. Dies sei keine Form der Appropriation – jener Kunstrichtung, die sich mit vorgefundenem ästhetischen Material beschäftigt. Es ist die Arbeit, die dahinter steckt, und es ist der dazugestellte Text, der den Produkten ihre künstlerische Bedeutung verleiht. Darum ist es auch der Text, der einen Rahmen erhält.

Wer will, kann in Jafris Arbeit Bezüge zu Kunstepochen wie der Pop Art suchen, die sich ebenfalls den Konsumgütern näherte – wenn auch auf andere Weise. Die Künstlerin weckt aber vor allem den kulturanthropolgischen Trieb in uns. Sie schärft unseren Blick auf das Alltägliche. Spätestens beim nächsten Griff zu einem M-Budget-Produkt oder zur Cola-Flasche werden wir an sie denken.

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«Maryam Jafri: Generic Corner», Kunsthalle Basel, bis 1. November 2015.

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