Der Basler Grafiker und Illustrator Mattia Serena war sechs Monate lang auf Reisen. Seine Eindrücke hat er in Tinten- und Tuschezeichnungen festgehalten. Entstanden ist ein persönlicher, stimmungsvoller Reisebericht in Buchform. Und eine Ausstellung der Originalzeichnungen in der Flatterschaft.
Der Zeichner himself: Mattia Serena.
(Bild: Nils Fisch)L’école: Schüler der École d’Avenir Amitié Schöllkrippen in Avéta beim Abschreiben von der Wandtafel.
(Bild: Mattia Serena)Die Weberin: Eine Woche lang webte diese Frau für uns am «pagne», einem typisch togolesischen Tuch.
(Bild: Mattia Serena)Kolonialherren: Togo war bis zum ersten Weltkrieg eine deutsche Kolonie. Nur wenige Häuser, wie diese in Atakpamé, zeugen noch von jener Zeit.
(Bild: Mattia Serena)La Bonga: Riesige Bäume waren stete Begleiter auf unserer Reise und eine zeichnerische Herausforderung. Dieser hier auf der Isla Fierte, Kolumbien, ist über 500 Jahre alt.
(Bild: Mattia Serena)Le champ: Sinnbildlich für Togo: Der Schuppen verfallen, das Feld mit Unkraut übersät und dennoch beackert die alte Frau ihre Erde stetig und mit viel Geduld. Die kleinen Maisstauden lassen hoffen.
(Bild: Mattia Serena)Le chef: Dieser alte Mann bestand darauf, sein Festgewand anzuziehen, bevor ich ihn zeichnen durfte. Ich ahnte nicht, dass es sich um den chef du quartier handelte, der mich zum Schnaps eingeladen hatte.
(Bild: Mattia Serena)Warten: Zeitrechnung auf kolumbianisch. Was als 15-minütige Wartezeit angekündigt, endet als 3-stündige Geduldsprobe. Zeit genug, unseren Kapitän auf Papier zu bannen, bevor wir in einer Nussschale übers Meer fahren.
(Bild: Mattia Serena)Kapuzineräffchen, die sich von Palme zu Palme schwingen. Endlose Sandstrände mit Blick auf die Wogen des türkisblauen Meeres. Marktfrauen, die in farbenfrohen Gewändern frische Bananen, Mangos und Wassermelonen anpreisen.
Wenn bei solchen Anblicken der begeisterte Tourist sofort zur Kamera greift, zückt ein anderer Stift und Papier: Auf einer sechsmonatigen Reise durch Togo und Kolumbien hat Mattia Serena seine prägendsten Eindrücke und Erlebnisse nicht fotografisch, sondern in Form von Tinten- und Tuschezeichnungen festgehalten.
Just vor einem Jahr, im Oktober 2014, machte sich der studierte und praktizierende Grafiker und Illustrator gemeinsam mit seiner Freundin auf nach Togo, um nahe der Hauptstadt Lomé an einer Primarschule Zeichenunterricht zu geben. «Daneben habe ich die Zeit genutzt, um meine Beobachtungen und Begegnungen im togolesischen Alltagsleben ins Skizzenbuch zu kritzeln», erzählt der 30-jährige Basler mit Wurzeln im Bergell.
Mit viel Liebe fürs Detail
«Es machte unglaublich viel Spass, einfach mal drauflos zu zeichnen, ganz spontan und ohne Vorgaben eines Auftraggebers. Solch freies Zeichnen bleibt bei der Arbeit in Basel meist auf der Strecke.» Dabei galt es, den Blick für die kleinen, unscheinbaren Dinge des Alltags zu schärfen: Serena skizzierte exotische Pflanzen und Bäume, Gebäude, Strassen, Stadtbilder. Gesichter. Kleider. Und immer wieder Menschen bei der Arbeit: Am Webstuhl, im Klassenzimmer oder auf dem Feld.
Die ausschliesslich in schwarz-weiss gehaltenen Zeichnungen zeigen dabei viel Liebe fürs Detail und werfen den Blick immer wieder auf scheinbar Unscheinbares am Wegrand. Gerade aufgrund ihrer Reduktion auf das kontraststarke Schwarz und Weiss bestechen die Bilder durch eine ausdrucksstarke Wiedergabe von Stimmungen und Mienenspielen.
Von Togo nach Medellín
Nach drei Monaten in Togo zogen Mattia Serena und seine Freundin weiter nach Kolumbien, in die Millionenmetropole Medellín. Einquartiert im Zimmer eines befreundeten Illustrators, wandte er sich zunächst einem Arbeitsauftrag für die Basler Fasnacht zu: Es galt, erste Zeichnungen für die Helgen der Schnitzelbänkler zu entwerfen.
Medellín: Die Stadt galt einst als Hochburg der Drogenkartelle Kolumbiens und als eine der gefährlichsten Städte der Welt. Heute ist Medellín relativ sicher – unter anderem dank einer weitsichtigen Stadtplanung. (Bild: Mattia Serena)
Einen Monat später machten sich die Beiden auf zu einer Reise quer durchs Land: Das bunte Treiben in der Hauptstadt Bogotá im Landesinnern, das Strandleben an der karibischen Küste im Norden, die üppige Vegetation im Kaffeeanbaugebiet im Westen – für Mattia Serena Inspiration genug, um seinen Zeichnungsschatz stetig zu erweitern. «Tatsächlich entwickelte ich beim Zeichnen einen richtigen Drive: Je mehr ich zeichnete, desto einfacher ging mir die Feder von der Hand.»
Zeichnen vor Publikum
Wenn sich hierzulande der inspirierte Künstler gerne mal in sein Atelier zurückzieht, um seine Ideen ungestört aufs Papier zu bringen, wurde Mattia Serena in Togo und Kolumbien oft von schaulustigen Passanten umzingelt, die ihm beim Zeichnen fasziniert über die Schulter blickten. «Das war zwar gewöhnungsbedürftig, hatte aber auch seinen Reiz. Wenn du vor Publikum zeichnest, beeinflusst das den Charakter deiner Zeichnung.»
Bald schon machte sich bei Mattia Serena die Idee breit, seine vielen Zeichnungen in einen Reisebericht zu packen. Und vielleicht auch eine Ausstellung zu konzipieren, im kleinen Kreis. «Zurück in der Schweiz begann ich, die Zeichnungen einzuscannen, zu bearbeiten und zu verfeinern. Die Leute in meinem Umfeld spornten mich an, die Zeichnungen unbedingt zu veröffentlichen.»
Reisetagebuch und Kunstausstellung
So entschloss er sich, ein Buch herauszugeben, mit ausgewählten Zeichnungen, untermalt von kurzen, tagebuchähnlichen Texten. Entstanden ist ein 170 Seiten dickes und über 100 Zeichnungen umfassendes Reisetagebuch im Eigenverlag. «Das Buch ist dabei weniger als politisches Statement oder als Reiseführer zu begreifen. Vielmehr bietet es einen persönlichen Einblick in meine Reiseerlebnisse.»
Ergänzend zum Buch hat Mattia Serena eine zehntägige Ausstellung in der Flatterschaft in Basel auf die Beine gestellt. Dort präsentiert er eine Auswahl seiner Originalzeichnungen, die er auch zum Verkauf anbietet.
Togo und Kolumbien liegen zwar nicht auf demselben Kontinent, zumindest aber auf demselben Breitengrad. «6° Nord. Un voyage. Un viaje» lautet denn auch der Titel von Mattia Serenas zeichnerischem Reiseprojekt, bestehend aus Buch und Ausstellung. Finanziert hat er das Projekt grösstenteils mit Gönnerbeiträgen, um die er auf der Crowdfunding-Plattform wemakeit geworben hat.
Als Auftragszeichner wieder ins Ausland?
«In Togo und Kolumbien konnte ich meine zwei grossen Leidenschaften, das Reisen und das Zeichnen, miteinander verbinden. Umso schöner, dass die Reise im Buch und in der Ausstellung nun ihre Fortsetzung findet», freut sich Mattia Serena. Er kann sich gut vorstellen, dereinst als Auftragszeichner erneut in fremde Welten einzutauchen, um vor Ort Zeichnungen anzufertigen. «Ein solcher Auftrag, bei dem die Finanzierung von vornherein sichergestellt ist: Das wäre der absolute Traum.»
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Vernissage zur Ausstellung «6° Nord. Un voyage. Un viaje» ist am 8. Oktober 2015 in der Flatterschaft an der Solothurnerstrasse. Die Ausstellung dauert bis am 18. Oktober und ist montags bis freitags jeweils von 12 bis 19 Uhr, samstags und sonntags von 12 bis 16 Uhr geöffnet.
Das Buch zum Projekt kann direkt bei Mattia Serena per Mail bestellt werden: atelier@mattia-serena.ch.