Medea, die Rächerin, wird ihrer Kraft beraubt

Warum «Medea»? Die Basler Performerin Beatrice Fleischlin und der albanische Choreograf Gjergj Prevazi bleiben in «Thinking about Medea» im Rossstall der Kaserne Basel die Antwort auf die Frage schuldig.

Jason und Medea in der Paartherapie (Beatrice Fleischlin und Labinot Rexhepi)

(Bild: Tristan Sherif )

Warum «Medea»? Die Basler Performerin Beatrice Fleischlin und der albanische Choreograf Gjergj Prevazi bleiben in «Thinking about Medea» im Rossstall der Kaserne Basel die Antwort auf die Frage schuldig.

Umwölkt von einem dieser lustigen, aufblasbaren Fatsuits, die man in Karnevalshops im Internet bestellen kann, trippelt Medea an die Bühnenrampe und schaut mit stumpfem Blick in Richtung Publikum. Das ist nicht die Medea, die wir kennen und erwarten. Nicht die gedemütigte Gattin Jasons, die als schrecklichster aller denkbaren Racheakte ihre eigenen Kinder ermordet.

Nun gut, es ist nicht Euripides‘ Tragödie oder eine der vielen Nachdichtungen des Medea-Stoffes, die die Basler Performerin Beatrice Fleischlin und der albanische Choreograf Gjergj Prevazi auf die Rossstall-Bühne der Kaserne Basel bringen. Es ist ein Nachdenken über Medea. «Thinking about Medea», lautet denn auch der Titel der Produktion.

Im Antikenmuseum

Die Bühne präsentiert sich als properes Antikenmuseum: Weisse Wände und Vorhänge säumen den Raum – die Hinterwand dient zudem als Projektionsfläche für die Übersetzung der teilweise albanisch gesprochenen Texte. Im Raum verteilt stehen glaslose Ausstellungsvitrinen mit Rüstungselementen aus der griechischen Antike und ein weisses Sofa.

In diesem Museum spielt eine Zweimann-Band mit Stefan Haas und Jesco Tscholitsch eingängigen Folk-Pop. Medea (Beatrice Fleischlin) singt mit, während Jason (Labinot Rexhepi) auf dem Sofa sitzt und in sich verharrt.

Der Kraft beraubt

Später werden sich Medea und Jason zum Pas de deux furieux vereinen beziehungsweise entzweien. Das sind Ansätze, die stimmig wirken und neugierig machen, worauf dieses Nachdenken über Medea hinauswollen könnte. Zur modernen Rachetragödie? Zum Flüchtlingsdrama? Medea und Jason sind im klassischen Original tatsächlich Flüchtlinge.

Doch just in dem Moment, der zum Kern der Tragödie führt, eben zur schrecklichen Tat des Kindesmords, bricht der Abend mit dem Medea-Stoff. Kindesmord darf nicht sein in der heutigen Zeit, scheint die Devise zu lauten. In Albanien nicht und erst recht nicht in der Schweiz. Also schlüpft Medea nicht in die Rolle der erbarmungslosen Rächerin, sondern eben in den aufblasbaren Fatsuit.

Das wirkt für einen kurzen Moment komisch. Doch die Komik ist von kurzer Dauer und kippt schnell ins Alberne. Warum nur wählten Fleischlin und Prevazi den Medea-Stoff, diese wunderbare und grausam-schreckliche Tragödie, wenn sie ihm alles Blut abzapfen?

Und am Schluss kommt der Putzdienst

«And what’s about the children?», fragt Jason. «You have to kill them, so it’s written!» Genau das denkt sich auch der Zuschauer. Die Frage nach dem Schicksal der Kinder wird nicht beantwortet. Gezeigt wird eine Medea, die ihrer ganzen Kraft beraubt ist. Da vollzieht sich eine Paartherapie anstelle der literarisch-ikonografischen Tat, die der Chor bei Euripides mit den Worten beweint:

«O hartherzges Weib, bist du von Stein und Erz,
Dass du die Kindersaat deines Bluts,
Du, ihre Mutter, kannst morden mit eigner Hand?»

Warum überhaupt Medea? Am Schluss wird der Putzdienst aufgeboten. Drei Frauen von «Adler Reinigungen» wischen. Aber eben nicht das Blut weg, das nicht fliesst, sondern den Staub. Aber auch der ist eigentlich gar nicht wirklich vorhanden im proper herausgeputzten Bühnenmuseum.

Und die Moral von der Geschichte…

Ach ja. Ganz am Schluss wird auch noch so etwas wie eine Moral verkündet. «Im Theater ist alles möglich», rechtfertigt Fleischlin ihre Weigerung, Medea zur Erfüllung ihrer Tat schreiten zu lassen. Inzwischen hat die weisse Rückwand einer Karte des neuen Osteuropas Platz gemacht. «Warum aber in der Realität nicht?»

Das ist etwa so, wie wenn ein Kind «Weltfrieden» ins Weihnachts-Wunschbuch schreibt. Lieb und naiv. Für das aber muss man nicht ins Theater gehen.
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«Thinking about Medea» von Beatrice Fleischlin und Gjergj Prevazi. Rossstall Kaserne Basel. Weitere Vorstellungen am 15. bis 17. Januar.

 

 

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