Melancholie, in Messing gemeisselt

Der Trompeter Erik Truffaz bot mit seinem Quartett einen funkig-kontemplativen Jazz der stilistischen Zwischenräume, und holte die Lokalmatadorin Anna Aaron viel zu spät auf die Bühne.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Der Trompeter Erik Truffaz bot mit seinem Quartett einen funkig-kontemplativen Jazz der stilistischen Zwischenräume, und holte die Lokalmatadorin Anna Aaron viel zu spät auf die Bühne.

Hat dieser Mann jemals jung ausgesehen? Man kennt Erik Truffaz eigentlich nur so: als hageren und etwas vergeistigt scheinenden Strubbelkopf. Doch man täusche sich nicht: Der bedeutendste Trompeter der Schweiz pflegt seit zehn Alben eine frische, zeitlose Klangsprache, die sich von Nebendisziplinen aus dem Jazz befruchten lässt. Truffaz, als Ausgangsbasis meist sein Quartett nutzend, kann mit Beatboxern und Drum’n’Bass-Protagonisten interagieren, holt sich indische Klassiker genau wie mexikanische Electronicameister ins Boot. Und er lässt sich von jungen weiblichen Stimmen aus der Heimat bereichern, zunächst von Sophie Hunger und nun von Anna Aaron. Dabei gelingt dem 53-Jährigen stets eine souveräne Gleichzeitigkeit von ruhigen, imaginativen Bildern und knackig-funkiger Verortung, wie sich auch bei seinem Auftritt in der Kaserne zeigte.

Getragen-hymnische Liegetöne

Die Trompete dringt zunächst nur schwerlich durch die meditativen Klangflächen aus den Keyboards und die zupackend tribalen Drums. Doch schon in diesen Eingangstakten wird deutlich, von welcher Konstellation das Spiel der vier Musiker lebt: Wenn Truffaz seine getragen-hymnischen von langen Liegetönen geprägten, melancholischen Melodielinien in Messing meißelt, köchelt um ihn herum stets irgendwo ein Unruheherd. Dem Keyboarder Benoît Corboz kommt hier eine tragene Rolle zu: Neben leuchtenden Fender Rhodes-Linien und funkiger Schweineorgel übernimmt er auch gleich die Funktion der E-Gitarre mit verzerrt schnarrenden Sounds, spielt sich damit immer wieder kraftvoll in den Vordergrund, manchmal fast etwas zu dominant.  

Vielgestalt sind die Bezugspunkte, auch geographisch, die sich das Quartett mit seinen heretogenen Tugenden schafft:  Im «Istanbul Tango» fantasiert Bassmann Marcello Giuliani in sehr freier Zackigkeit über den Tangorhythmus, während die Hammond wie eine Unterwasserorgel blubbert. Eine Widmung an Japan gestalten sie in einem zeitlupigen, erdschweren Dreiertakt. Und plötzlich baut sich aus einem Dialog zwischen Trompete und Drummer Marc Erbetta, der sich nun auch vokal betätigt, eine kontemplative Schichtung auf, die an den Klang der kaukasischen Schalmei Duduk erinnert. Doch bevor sich das Geschehen auch nur ansatzweise ins Ätherische verlieren kann, wieder ein Unterbruch: Fast discoartig poltert ein Bassriff dazwischen, funkig-sprühend türmt sich die Orgel auf, dann gibt Giuliani den Staffelstab an Erbetta weiter, der sich zu clownesken Einlagen mit gespielter Beschwerde an den Soundmann versteigt. 

Chromatische Hetzjagden, elefantöse Flatterzungen

Ganz wie bei Miles Davis, mit dessen «Bitches Brew»-Philosophie Truffaz des öfteren verglichen wird, schafft es der Leader, sich nie übermäßig in den Vordergrund zu spielen und doch höchst präsent zu bleiben. Wenn er sich aus seinen ruhigen Themen löst, zeigt sich Truffaz‘ virtuose Qualität: Er entwickelt sich überschlagende Linien, chromatische Hetzjagden, elefantöse Flatterzungen, ohne sich in einen posierenden Rausch zu spielen. Diese Trompete bleibt auch im Überschwang der Inspiration immer versonnen, so scheint es.  

Das Konzept trägt für 75 Minuten. Doch dann kommen unüberhörbare «Anna»-Rufe aus dem schon etwas gelichteten Auditorium. Es war dramaturgisch auch denkbar ungeschickt, die Lokalmatadorin erst jetzt auf die Bühne zu bitten, ganz anders als auf Truffaz‘ aktueller Platte «El Tiempo de la Revolución», wo sie alternierend mit den Instrumentalstücken wirkt. Denn die junge Singer/Songwriterin lockert den Männerzirkel wohltuend auf, wie sich an den letzten Titeln des Abends zeigt. Mit ihrer auffälligen Stimme, die wie dunkler, schwerer Brandy ins Ohr rinnt, fügen sich Jazzquartett und junge Weiblichkeit wunderbar zusammen, sei es in Aarons eigenem «The Drainout» oder im zurückgelehnten «A Better Heart». Am spannendsten jedoch in Bonny Prince Billies «Careless Love» – diese Adaption gerät zu einer fulminanten folkigen Nocturne, feenhaft und archaisch.

 

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