Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch macht mit ihrem jährlichen Filmfestival erstmals in Basel halt. An zwei Tagen zeigt das Kino Atelier die Filme «Camp 14» und «Before Snowfall».
Aus Menschenrechtssicht entpuppte sich das letzte Jahr als eine Ernüchterung. Human Rights Watch, eine der führenden nichtstaatlichen Menschenrechtsorganisationen der Welt, sah sich in ihrem aktuellen Jahresbericht zur Wiederholung gezwungen: Wie im Vorjahr verzeichneten die Mitarbeiter der NGO im syrischen Bürgerkrieg die meisten Opfer von gravierenden Menschenrechtsverletzungen, und erneut kommt die Organisation zum Schluss: Die internationale Gemeinschaft hat zu wenig unternommen, um Menschenrechte zu schützen.
Die zusätzlich entflammten Konflikte in Irak, in der Ostukraine oder im Südsudan werden fürs kommende Jahr die Aussicht noch weiter trüben. Die Achtung vor Menschenrechten erodiert – nicht nur in Kriegsregionen, sondern partiell auch im Westen, wo unter dem Eindruck kollabierender Staaten sich die Haltung Bahn verschafft, die «harte Hand» eines diktatorischen Regimes sei nicht Ursache, sondern notwendiges Mittel gegen Bürgerkriege.
Kommt hinzu, dass auch der Westen die Menschenrechte intern längst nicht konsequent verteidigt: in einem weiteren Schwerpunkt kritisiert der Bericht von Human Rights Watch, dass die infolge des NSA-Skandals angekündigte Reform der US-Geheimdienste keinen Nutzen zeige. Die bisherige Abhörpraxis habe sich nicht geändert, das Recht auf Privatsphäre werde weiterhin verletzt, zudem befürchtet die NGO, dass andere Länder die Abhörpraxis der USA übernehmen und ein national umschlossenes Internet entwickeln könnten, um die Nutzerdaten in den Landesgrenzen zu halten und zu zensieren.
Menschenrechtsverletzungen, so die Botschaft des Berichts, bleiben traurige globale Realität – und eine, deren Vermittlung verschiedenste Formen braucht, um in der Öffentlichkeit auf Resonanz zu stossen. Eine davon ist der Film.
Von Nairobi bis Basel
Vor 18 Jahren hat die NGO zu diesem Zweck das Human Rights Watch Film Festival ins Leben gerufen, das genau diesem Zweck dienen soll: Filme zeigen, die nicht die Augen verschliessen vor Gräueln wie Folter, Unterdrückung, Exekutionen. Die weder zugunsten eines Zeitgeists, einer guten Story oder der politischen Opportunität darauf verzichten, genau hinzuschauen. Und die auch denjenigen Stimme und Bild geben, die abseits der grossen, geostrategisch bedeutsamen und medial aufbereiteten Konflikte ihr Schicksal tragen müssen. Dabei setzt die Festivalleitung nicht alleine auf die Inhaltsschärfe des anwaltschaftlichen Film, der ausschliesslich einem politischen Ziel geschuldet ist, sondern berücksichtigt ebenso die filmische Qualität.
Die Auswahl aus rund 500 gesichteten, stets aktuellen Filmen soll nicht nur einen relativ umfassenden Blick auf Zustände in den verschiedenen Blicken der Welt richten und – dafür sorgt ein Beraterteam der Organisation – die jeweils dokumentierten Zustände akkurat wiedergeben, sondern ebenso filmisch überzeugen. Und das im Kino, nicht nur im Seminarraum. Der Blick auf Beiträge der letzten Jahre zeigt, dass dieser Anspruch augenscheinlich eingelöst wird: darunter finden sich jeweils neu abgedrehte Werke von bekannten Regisseuren wie Werner Herzog, Constantin Costa-Gavras oder Hany Abu-Assad.
Dieses Jahr trägt das Festival seine Filme in 23 Städte, mehrheitlich in den USA, dazu kommen London, Amsterdam und die kenianische Hauptstadt Nairobi – sowie Basel und Zürich. Das Basler kult.kino Atelier ist damit erstmals als beteiligter Austragungsort des Festivals an Bord und zeigt am Dienstag und Mittwoch zwei Filme aus dem Gesamtprogramm: «Before Snowfall», eine deutsch-norwegische Koproduktion, beleuchtet das komplexe Phänomen der Familienehre und handelt von Siyar, einem Teenager aus einem Dorf im irakischen Kurdistan, dessen Schwester vor ihrer eigenen Hochzeit nach Westen geflüchtet ist und der ihr nun nachreisen und sie suchen muss, um die Familienehre wieder herzustellen.
Regisseur Hisham Zaman, der als Jugendlicher selbst aus dem Irak geflohen ist und in Norwegen Film studiert hat, legt mit seinem Regiedebüt ein aufwühlendes Drama um einen 16-Jährigen vor, der vorzeitig gezwungen wird, in seiner Familie die Vaterrolle zu übernehmen und frauenfeindlichen Traditionen wie Ehrenmord nachzuleben, deren Sinn er jedoch durch die Konfrontation mit einem Mädchen und mit anderen Kulturen auf seiner Reise durch Europa zu hinterfragen lernt. Der Film wurde unter anderem an den Filmfestivals von Göteborg und Abu Dhabi ausgezeichnet.
Noch desillusionierter präsentiert sich der zweite Beitrag des Festivalstops in Basel: «Camp 14» ist ein Animationsfilm – und zwar aus dem simplen Grund, weil aus dem Ort, von dem der Film handelt, kaum Filmbilder existieren. «Camp 14» erzählt die wahre Geschichte von Shin Dong-hyuk, der im nordkoreanischen Straflager gleichen Namens geboren ist und ein von Geburt an ein entmenschlichtes Leben, umgeben von Erniedrigung, Folter und Tod, führen musste, bis ihm als jungem Mann die Flucht gelang. Der Filmemacher Marc Wiese hat Shin Dong-hyuk in langen Gesprächen interviewt und dessen grauenvolle Kindheitsbiografie filmisch umgesetzt.
Eine besonders bedrückende Tiefe erhält «Camp 14» ausserdem durch ein beigestelltes Gespräch mit einem ehemaligen Wächter des Lagers, der kaum Reue für sein Handeln zeigt, sowie durch Shins aktuelle Lebensumstände: angekommen in der freien Welt, findet er sich in ihr nicht zurecht und sehnt sich in seinen einsamsten Stunden zurück in seine Kindheit – ins Lager, wo er sich aufgrund der totalen Kontrolle von Geburt an eine Sorglosigkeit bewahrt hatte. Ein beklemmender Film über einen Menschen, der erst als junger Mann Menschenwürde erfuhr.
_
«Camp 14 – Total Control Zone»: Dienstag, 21. Oktober, 18 Uhr, Kino Atelier Basel.
Anschliessende Diskussion mit Wolfgang Büttner (Human Rights Watch Associate Advocate/Press Officer, Deutschland)
«Before Snowfall»: Mittwoch, 22. Oktober, 18 Uhr, Kino Atelier Basel.
Anschliessende Diskussion mit Emma Sinclair-Webb (Türkei-Expertin, Human Rights Watch)