Mit 3,5 Tonnen Gepäck nach England

Das Sinfonieorchester Basel ist auf Konzerttournee in England. Unsere Mitarbeiterin Jenny Berg gehört zum 100-köpfigen Tross, der gestern in London landete. In den nächsten zehn Tagen wird sie vom Touralltag berichten. Hier ist der Auftakt.

(Bild: Jean-François Taillard)

Das Sinfonieorchester Basel ist auf Konzerttournee in England. Unsere Mitarbeiterin Jenny Berg gehört zum 100-köpfigen Tross. In den nächsten zehn Tagen wird sie vom Touralltag berichten. Wie es klingt wenn das Sinfonieorchester in England ankommt, ist heute Abend auf BBC 3 zu hören.

Basel, Euroairport, am Dienstagmorgen. Eine gut gelaunte Gruppe mit allerlei seltsam geformten Koffern trifft sich zum Abflug nach London. Es sind Mitglieder des Sinfonieorchesters Basel; manche werden von ihren Familien bis zum Sicherheitscheck begleitet.

Tourneen gehören nicht zum Kerngeschäft des Sinfonieorchesters Basel; doch seit Dennis Russell Davies 2009 die Leitung des Klangkörpers übernommen hat, nimmt die Zahl der auswärtigen Gastspiele kontinuierlich zu.

Vorfreude macht sich breit. «So eine Tournee ist gut für die Stimmung im Orchester», sagt Bratschistin Ria Wolff-Schabenberger. Sie denkt zwar auch an ihre drei Kinder, die zu Hause bleiben, aber für ihre Arbeit ist die Reise von Vorteil: «Hier muss ich mich nur auf eine Sache konzentrieren», sagt sie. Fagottistin Magdalena Erb-Welten, Mutter von vier Kindern, stimmt ihr zu: «Für mich ist es eine immense Entlastung, dass ich mich nicht auch noch um die Familie kümmern muss – aufräumen und putzen werden wir im Hotel ja nicht müssen», sagt sie lachend und blättert im Londonreiseführer, um sich ein Programm für den freien Tag auszuwählen.

100 Leute und 3,5 Tonnen Gepäck

Exakt 100 Leute reisen nach London. Ein Lastwagen mit dreieinhalb Tonnen Gepäck – Kontrabässe, Schlagzeug, Tuba, Posaunen, Noten, die Konzertfräcke der Herren – ist bereits letzte Woche vorausgefahren. Die zweite Hälfte des Orchesters fliegt später am Abend. Nicht etwa, weil man so verhindern wolle, bei einem Flugzeugabsturz gleich ein ganzes Orchester zu verlieren, sagt Tourbegleiterin Frieda Müller. Sondern schlicht, weil sich die Flugbuchung mit British Airways nur so realisieren liess.

Die Option, einen Charterflug für das ganze Orchester zu buchen, kam nach dem Desaster bei der letzten Tournee nach St. Petersburg und Moskau nicht mehr in Frage. Damals ging die Fluggesellschaft «Hello» wenige Tage vor Abflug pleite; beinahe wäre der prestigeträchtige Austausch im Rahmen des «Culturescapes»-Festivals» ins Wasser gefallen. In allerletzter Minute sponserte der Kanton den sechsstelligen Betrag für einen neuen Charterflug.

Die Violoncelli bekommen einen Fensterplatz

Doch selbst diesmal gibt es bei Start und Landung Überraschungen: In Basel sind plötzlich Violoncelli von der Teilnehmerliste verschwunden (aufgrund ihrer Grösse benötigen sie einen eigenen Sitzplatz im Flieger; sie tragen jeweils den Vornamen «Cello» und den Nachnamen des zugehörigen Musikers; und um einen etwaigen Fluchtweg nicht zu versperren, dürfen die Instrumente dann am Fenster Platz nehmen); in London bleiben Orchestermitglieder aus Taiwan, Australien, den USA während einer Stunde in den Sicherheitschecks vom Flughafen London Heathrow stecken – wodurch auch der Rest des Orchesters mitwarten muss.

Bügeleisen im Zimmer – für die knitterfreie Garderobe

Doch all das ist vergessen, als wir endlich im Hotel ankommen. Besonders musikerfreundlich soll es sein; das heisst: Die Zimmer sind gross genug zum Üben und standardmässig mit Bügeleisen und Bügelbrett ausgestattet – für eine knitterfreie Konzertgarderobe.

«Erst essen, dann üben?», fragt eine Geigerin in die Runde. Solotrompeter Immanuel Richter hat sich bereits entschieden: «Erst Üben!» Auch die anderen Orchestermitglieder wählen fast ausschliesslich zwischen diesen beiden Optionen. Einen Abendausflug nach London City wagen nur eine Hand voll Musiker; schliesslich dauert die Fahrt von Watford nach London etwa 45 Minuten. Es ist kein Urlaub hier. Sondern ein Arbeitsaufenthalt, «bei dem jeder selbst dafür verantwortlich ist, wie viel er sich zumuten kann, wie er sich die Kraft einteilt», sagt Fagottistin Magdalena Erb-Welten.

Es ist kein Urlaub hier – sondern ein Arbeitsaufenthalt.

Auch am Mittwochmorgen hört man Tonleitern und Dreiklänge von verschiedensten Instrumenten in den Hotelgängen. Die meisten haben spezielle Dämpfer dabei, mit denen selbst Instrumente wie die durchdringende Posaune auf Zimmerlautstärke gedimmt werden können. Was nicht unbedingt den Spass am Musizieren fördert – schliesslich geht so die vibrierende Kraft des Klangs, die selbst das monotone Einspielen zur täglichen meditativen Übung werden lässt, verloren.

Doch manch einer braucht den Hoteldämpfer auch als Rückzugsmöglichkeit: «Mir ist es unangenehm, wenn mich die Kollegen beim Üben hören», sagt Annemarie Kappus. «Das ist wie mit dem Make up – ich möchte ja auch nicht, dass mich jemand beim Schminken beobachtet», sagt sie.

Die BBC überträgt das erste Konzert live

Diesmal hat die Geigerin ihren Hoteldämpfer vergessen, «leider!», ruft sie aus. Auch die Konzertschuhe fehlen. «Irgendwas vergisst man immer!» Die Aussicht auf eine Shoppingtour für ein neues Paar Schuhe scheint sie nicht abzuschrecken. Auch das ist eine Möglichkeit, die Umgebung zu erkunden.

Viel Zeit bleibt aber nicht, denn die Konzertorte liegen in ganz Südengland und sind mit Busfahrten mit bis zu drei Stunden für einen Weg verbunden. Heute geht es nach Coventry, ins Warwick Arts Centre. Es wird das erste Konzert auf britischem Boden sein – und das einzige, das auch die Daheimgebliebenen miterleben können: live, auf Radio BBC 3, heute um 20:30 Uhr Basler Zeit.

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