Mit Adam Green auf dem Boden der tiefsten Grube der Welt

Bei einem Besuch in der Fondation Beyeler erklärte uns Adam Green, wie man einen Rothko betritt und was Max Ernsts Vogelmotiv mit Masturbation zu tun hat.

Adam Green schick in Trachtenbluse aus dem «Appenzeller Shop». (Bild: Basile Bornand)

Dieser Musiker kann weit mehr, als nur über Jessica Simpson trällern: Bei einem Besuch in der Fondation Beyeler erklärte uns Adam Green, wie man einen Rothko betritt und was Max Ernsts Vogelmotiv mit Masturbation zu tun hat.

Adam Green kennt man normalerweise von Bühnen in verrauchten Bars, kleinen Konzertsälen oder Openairs. Dieses Wochenende steht er für einmal für ein Museum auf der Bühne, am Sommerfest der Fondation Beyeler. Grund genug, mit dem Musiker die Ausstellung zu besuchen, um zu sehen, was er so alles über Kunst zu erzählen weiss. 

Eine ganze Menge, wie sich herausstellen wird.
 

(Bild: David Heald)

 
Foto: Peggy Guggenheim Collection 

Max Ernst: «Die Einkleidung der Braut» (1940)

«Ich mag den Stil von Max Ernst, er ist einer der abwechslungsreichsten Künstler der Welt. Ich finde, er ist der talentierteste Mann auf Erden, direkt nach Prince. Ein Mann endloser Landschaften. Schau dir das an, hier links im Bild, das ist nur eine der vielen Szenerien, die er in seine Bilder gebannt hat. Es erinnert mich an New Mexico, an die Landschaft von Road Runner und dem Koyoten.

Ich glaube, eine dieser Figuren hier ist Peggy Guggenheim, die er in eine groteske Tierform verwandelte. Wahrscheinlich ist es ein Abbild ihrer Ehe oder der Hochzeit. Vielleicht fand er ihre Ehe dysfunktional, wer weiss. Vielleicht ist es aber auch einfach seine Auffassung von Schönheit. Ich meine, schau dir an, wie er sich entschieden hat, Menschen darzustellen. Fast schon klassisch. Er wählte kein seltsames Surrealistenzeug, sondern plante das Bild durch. Und das mit der Technik eines alten Meisters. Fast wie ein Salvador Dali, der seine Bildwelten zusammenbaut. Aber zur selben Zeit überhaupt nicht wie Dali. Nur mit derselben Sorgfalt und Intensität.»

 
Bild: Basile Bornand ©ProLitteris 

Max Ernst: «Vögel (Vögel, Fisch-Schlange; Vogelschreck)» (um 1921)

«Max Ernst hatte einen Papagei, der genau in der Nacht starb, in der seine Schwester geboren wurde. Seit diesem Erlebnis hatte er ein verworrenes Verhältnis zu Realität und Traum und Tieren und Menschen und so weiter. Oder? Das kann ich nachvollziehen. Ich hatte auch einen Papagei als Haustier, als ich jünger war. Ich lernte, wie man masturbiert und dachte, ich sei der einzige, der das könne und fühlte mich unwohl und wusste nicht, ob es falsch war oder nicht; und jedenfalls habe ich mir damals eingeredet, dass wenn ich das Masturbieren nicht liesse, mein Papagei abkratzen würde.
Aber er starb nicht und ich masturbierte weiter.

Dieses Motiv des Vogels, das sich durch viele seiner Werke zieht, ist irgendwie so richtig unniedlich. Angsteinjagend. Er erinnert mich an einen Grizzlybär. Oder an die Kreaturen in Hieronymus Boschs «Garten der Lüste». Und irgendwie hat er was Unpersönliches, wie sagt man: Antropomorphisch? Siamesisch.» 

(Bild: Basile Bornand ©ProLitteris)


Bild: Basile Bornand ©ProLitteris

Max Ernst: «Ein Bienenschwarm in einem Justizpalast» (1960)

«Hier baut Ernst eine Landschaft aus Nervensträngen, das Bild ist wie ein farbiger H.R. Giger, einfach ohne den ganzen Schrecken.
In den Sechzigern haben massenhaft Künstler versucht, ihre Gefühle gegenüber der Zerstörung und dem Horror des Vietnamkrieges zu verbildlichen. Daraus resultierte eine Art explosive Zerlegung der Realität, wie bei Jackson Pollock. Ich glaube, Ernst macht hier dasselbe.»


Bild: Basile Bornand ©ProLitteris

Fünfmal Maurizio Cattelan: «Untitled» (2007)

«Diese Pferde sehe ich zum ersten Mal in meinem Leben. Ich mag Cattelan. Vieles an ihm ist unterhaltsam, wie dieser Papst, der vom Meteoriten erschlagen wird. Es hat etwas Episches, diese fünf monströsen Pferde anzuschauen, die einfach hier über meinem Kopf baumeln, als würden sie springen, oder als hätte man sie erhängt. Schon allein das schiere Ausmass dieser Arbeit ist überwältigend. Ich schaue diese enormen Tiere an und sie sind tot und haben gelebt und ich frage mich, wo die Köpfe sind. Und dann denke ich, die Köpfe sind wohl auf der anderen Seite der Wand – aber da werde ich nie hinkommen. Das heisst, was ich sehe, sind tatsächlich einfach fünf gigantische Hintern.»

Alexander Calder

«Ich weiss nicht, aber für mich sehen diese Dinger aus, als hätte sie meine Grossmutter gemacht.»


Bild: Basile Bornand ©ProLitteris

Willem de Kooning

«De Kooning bewegte sich anfänglich in Richtung eines ursprünglichen Expressionismus, man sieht das auch an seinen Frauen, die sehen aus wie «Les Demoiselles D’Avignon» auf Steroiden. Er ging durch diese Phasen von Ursprünglichkeit und kubistischer primitiver Kunst, wie die Skulpturen von Fruchtbarkeitsgöttinnen und so. Später wollte er weg vom Kubistischen und fing an, in Wellen zu malen. Er interessierte sich für den Effekt von Licht auf Wasser und stand in den Hamptons im Atlantik und starrte auf seine Füsse. Deshalb auch der Titel dieser Skulptur da: «Clam Digger». Ein Muschelsucher, das war er.» 


Bild: Basile Bornand ©ProLitteris

Claude Monet: «Der Seerosenweiher» (um 1917-1920)

«Dieser Teich ist ein Portal in eine klassische, friedliche Welt. Das Bild geht über das übliche «Teich-Sein» hinaus, es ist wie der Eingang zu einer Welt, wo Farbe eine Äusserung ist. Ich weiss nicht, macht das Sinn? Und irgendwie ist es auch ein Teich im buchstäblichen Sinne, der authentischste Teich der Welt, sozusagen. Es ist genau der Teich, den Monets Augen in einem bestimmten Augenblick genau so wahrnahmen.

Es ist seltsam, wenn ich an Musik denke, ist es so, dass ihre Verbildlichung im Zeichnen von Schallwellen geschieht. Und man sagt dann, schau, das hier hört ihr. Aber es ist nicht das, was wir hören. Was wir hören, sieht anders aus, es sieht aus wie das, wofür dieser Teich hier steht.»


Bild: Basile Bornand

Mark Rothko

«Ich glaube, bei einem Rothko passiert dasselbe wie bei den Seerosen. Er versucht, Gefühle durch Farbe auszudrücken. Rothko hat immer gesagt, er sei ein expressionistischer Maler, das heisst, was wir hier sehen, ist ein Portal zu einem Gefühl, eine Schnittstelle. Als Betrachter müssen wir sie nutzen, da, du musst ganz nah davor stehen, so dass die Ränder sich verflüchtigen. Und dann trittst du ein.

Im Grunde sah Rothko seine Malerei als eine Art Erweiterung der griechischen Tragödie. Ich weiss nicht, was für eine Tragödie das hier darstellen soll, vielleicht will er uns einfach zeigen, dass Farbe genug ist, um Gefühle auszudrücken. Du hast also diese ursprünglichen, uranfänglichen Gefühle in dir verborgen und das hier ist der Ort, wo sie an die Oberfläche treten, in ihrer reinsten Form.

Jedes Bild ist ein Tor zu einer anderen Dimension, vielleicht ist es ein Luftbild, vielleicht ein Humangenomprojekt. Ich weiss nicht, es könnte alles sein. Vielleicht starren wir einfach ins unterste Ende unserer Erde, du weisst schon, die tiefste Schicht des untersten Dings überhaupt. Auf den Boden der tiefsten Grube der Welt.» 

Adam Green ist ein Amerikanischer Sänger und Künstler, der vor ein paar Jahren mit seiner Anti-Folk-Gruppe «The Moldy Peaches» internationale Bekanntheit erlangte (wir erinnern uns an Ellen Pages und Michael Ceras Gitarrenduett in «Juno»). Vor Kurzem brachte er mit «Little Joy»-Sängerin Binki Shapiro eine CD heraus. 2010/2011 produzierte er ausserdem «The Wrong Ferrari», einen mit dem iPhone gedrehten Spielfilm über junge Menschen, die auf Ketamin über Sinn und Unsinn des Lebens grübeln. Green ist neben seiner Tätigkeit als Musiker und Regisseur auch in der bildenden Kunst tätig: Ab 21. August sind seine Werke in der Galerie Weiss in Zürich zu sehen.

Nächster Artikel