Ad Petersen hat als Kurator in Amsterdam in den Sechziger und Siebziger Jahren viele Künstler ausgestellt. Immer dabei: Seine Kleinbildkamera. Das Museum Tinguely zeigt nun die Fotos, die damit entstanden sind.
Ein unglaubliches Chaos habe geherrscht im Atelier von Jean Tinguely, erzählt Ad Petersen. Das Foto, vor dem er gerade steht, beweist die Wahrheit des Gesagten. Es zeigt Tinguelys Atelier in Soisy-sur-Ecole im Jahr 1967, auf dem Boden liegen die unterschiedlichsten Metallteile in allen Grössen verteilt, halbfertige Skulpturen stehen herum, Leitern und Werkzeuge. Kaum einen Schritt könnte man hier machen, ohne über etwas drüber steigen zu müssen oder aus Unachtsamkeit zu stolpern.
Ad Petersen besuchte Tinguelys Atelier mehrmals – meist, weil der Konservator des Stedelijk Museum in Amsterdam Ausstellungen mit Werken des Schweizer Künstlers in Arbeit hatte, zum Beispiel die legendäre Gruppenschau «Dylaby». Petersen dokumentierte damals alles mit seiner Kamera: Ateliersituationen, Ausstellungsaufbau, Performances. Nicht nur jene von Jean Tinguely, sondern von zahlreichen Künstlern aus derselben Epoche, vor allem der Nouveaux Realistes oder Fluxus-Künstler, von Daniel Spoerri über Joseph Beuys, Lucio Fontana, Niki de Saint Phalle bis zu Ben Vautier. Über die Jahre kam so eine ansehnliche Sammlung an teils ungewöhnlichen Fotografien zusammen.
In diesem Fundus haben die Kuratoren Annja Müller-Alsbach und Roland Wetzel für eine kleine, aber feine Ausstellung im Museum Tinguely gewühlt. «Les mille lieux de l’art» nennt sich diese – ein Wortspiel, so passend zu jener Epoche der Kunst, die Sprache gerne als Arbeitsmittel sah. Denn liest man die Zeile laut, so heisst es auch «Les milieux de l’art», was wiederum perfekt zu diesen Einblicken passt, die Petersens Fotografien bieten.
Entspannt und versunken
Zu vielen der von ihm porträtierten Künstler und Künstlerinnen entspann sich eine teils lebenslange Freundschaft. Zum Berner Markus Raetz etwa, mit dem der 82-jährige Petersen heute noch regen Kontakt pflegt. Diese freundschaftlichen Bande sieht man den Fotos an: Sie dokumentieren nicht nur sec Kunstereignisse wie Tinguelys Zerstörungsaktion «La Vittoria» vor dem Mailänder Dom im Jahr 1970, wo der Schweizer einen sechs Meter hohen Penis in Flammen aufgehen liess, sondern sie schaffen es, eine weit intimere Atmosphäre wiederzugeben.
So sieht man beispielsweise Niki de Saint Phalle im Garten ihres Ateliers, versunken in ihre Arbeit, als wäre der Fotograf gar nicht anwesend. Roland Tapor, fast schon als professioneller Grimassenschneider bekannt, wirkt auf Petersens Bilder sehr entspannt. Und an Abendessen, an denen gleich mehrere Kunstschaffende teilnahmen, war der Fotograf ganz offensichtlich Teil der Festrunde, und kein Eindringling. Man vertraute ihm.
Für das Museum Tinguely, das in seinen Ausstellungen ja immer die Verbindung zum Hauskünstler sucht, ist diese Fotosammlung ein Glücksfall. Nicht nur, weil sich damit temporär zwei Räume bestücken lassen, sondern auch, weil ein Teil des Petersen-Archivs in die Sammlung übergehen wird. Die Museumsverantwortlichen freuen sich zwar vor allem über den dokumentarischen Charakter der Fotos, sehen jedoch auch, dass vor allem die ungezwungene Atmosphäre der Bilder ihre Einzigartigkeit ausmacht.
- Museum Tinguely, Basel, bis 26. Mai 2013.