Mit der Ewigkeit ist das bei Joëlle Tuerlinckx so eine Sache

Im Kunstmuseum Gegenwart lässt die belgische Künstlerin Joëlle Tuerlinckx tief in ihr Innerstes blicken. Um etwas zu sehen, müssen wir das auch tun. «Nothing for Eternity» ist eine Reise, ein Suchspiel und eine Wunderkiste in einem.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Im Kunstmuseum Gegenwart lässt die belgische Künstlerin Joëlle Tuerlinckx tief in ihr Innerstes blicken. Um etwas zu sehen, müssen wir das auch tun. «Nothing for Eternity» ist eine Reise, ein Suchspiel und eine Wunderkiste in einem.

In drei Räumen im Erdgeschoss des Kunstmuseum Gegenwart (ehemals Museum für Gegenwartskunst), die jeweils verschieden und doch miteinander verbunden sind, legt Joëlle Tuerlinckx ihre Vergangenheit vor und mischt sie mit allem, was ihr stets waches Auge entdeckt. Bierdeckel, Notizzettel, gefundene Objekte, in Bücher gebundene Chroniken und spontane Installationen mit Klebeband formen sich zu einem Bildersturm, dass einem schwindlig werden kann.

Die angeblich scheue Künstlerin führt mich durch die Ausstellung, während sie noch voll im Aufbau ist, und erzählt mit unglaublichem Elan zu jedem noch so kleinen Bild eine persönliche Geschichte – zwei Stunden lang, all das Gesagte kann hier kaum adäquat wiedergegeben werden.

Tuerlinckx hat für «Nothing for Eternity» fast ihr gesamtes Studio anliefern lassen. Im Eingangsbereich stapeln sich noch die Kisten, aus denen sie gelegentlich Sachen hervorkramt, während ihre Mitarbeiter händeringend damit beschäftigt sind, nicht den Überblick zu verlieren. Es steht sinnbildlich für ihre künstlerische Mission.




Tuerlinckx‘ Studio in Einzelteilen, verpackt. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Ist sie Konzeptkünstlerin? Geht es um Aneignung? Handelt es sich etwa um eine klassische institutionelle Kritik? «Nein. Ja auch. Aber eigentlich nein, warum sollte man sich darauf festlegen? Diese Kategorien sind zu limitiert. Warum nicht vieles sein?»

«Je dis: Une fleur!»

Immer wieder zitiert Tuerlinckx den Dichter Stéphane Malarmé, kommt auf ihn zu sprechen. Wie er, dessen wohl berühmtester und abgedroschenster Aphorismus «Ein Dichter ist einer, der über alles erstaunt ist» lautete, sucht sie zwar das grosse Werk, die gesamte Welt der Facetten. Jedoch ohne all die Absolutismen und Idealvorstellungen des Literaten und Poeten, dass am Ende ein fertiges und eindeutiges Objekt entstehen soll.

Im ersten Raum liegen kreisförmige Objekte am Boden, aus der Wand ragt ein weiss angemalter Ast. Er stehe für ihre Mutter, die über den Raum wacht, sagt sie. Sie nennt den Raum «surrealistisch». Er soll in die Ausstellung einführen, zusammen mit den runden Folien, die das Wasser, das Eintauchen symbolisieren. Auch ein Stein aus dem Rhein liegt da noch.




Der Ast – die Mutter. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Eine Postkarte des Brüsseler Atomiums ist in einem spiegelnden Passepartout gerahmt, die runden Formen des Monuments mischen sich mit den gespiegelten Kreisen am Boden. Auf dem Boden ist ein Stück des Atomiums selbst an die Wand gelehnt. Es war ein Geschenk der Stadt Brüssel an eine Handvoll Künstler mit dem Ziel, dass diese damit etwas machen.

Nicht so Tuerlinckx. Sie lässt das Stück alleine stehen, denn nur schon die Tatsache, dass die Expo ’58, zu dessen Anlass das Atomium gebaut wurde, in ihrem Geburtsjahr stattfand, bildet für sie ein kleines Narrativ, welches sie nicht überdecken will.




Das Atomium, gerahmt. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Der letzte Raum ist mit einer silbernen Folie ausgekleidet. Spiegel faszinieren Tuerlinckx, sie kreieren automatische, sich ständig verändernde Kopien. An der Wand sind Zeichnungen und Drucke von Blumen angebracht. Fehlerhafte Fotokopien, misslungene Scans oder die Nachzeichnungen von den Scans erzeugen immer wieder neue Ansichten.

Da ist eine Blume, und hier ist dieselbe wieder. Dazwischen eine Zeichnung, die die Künstlerin im Alter von fünf Jahren gemacht hat.



Auch eine Kinderzeichnung der Künstlerin hat den Weg in die Ausstellung gefunden.

Schon als Kind zeichnete Tuerlinckx Blumen. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Der Raum wirkt durch die Wandverkleidung isoliert, wie ein Kühlschrank für Blumenpräparate. Ganz Tuerlinckx‘ Absicht: «Ja, es ist ein Kühlschrank. Der Ast, der von der Decke hängt, der sieht doch aus wie ein Stück Fleisch im Kühlhaus, nicht?»

Aber so einfach ist es nicht. Die Struktur der Silberverkleidung bildet gleichzeitig auch eine zufällige Hommage an Piet Mondrian und an Steingemäuer, erklärt sie. Das sei eine angedachte Verbindung zum historischen Umfeld, in welchem sich das Museum befindet, zur Mühle, zum Fluss. Knapp über dem Boden zieht sich deshalb eine Wasserlinie über die Silberfolie, als hätte der Raum einmal unter Wasser gestanden.



Hier ist sie, die Wasserlinie.

Hier ist sie, die Wasserlinie. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Vieles hier hat mit Basel zu tun, aber die Ausstellung ist nicht spezifisch wegen oder für Basel entstanden. Tuerlinckx macht das an jedem Ort, an welchem sie sich befindet, und nimmt die Fragmente dieser Orte dann an den nächsten mit. Ein Journalist habe sie mal gewarnt, erzählt sie, es werde völlig unmöglich sein, einmal eine Retrospektive ihres Werkes zu organisieren. Sie findet das nicht so schlimm.

Tuerlinckx’ Ausstellung ist eine Suche nach dem roten Faden, nach Hänsel und Gretels Brotkrumenspur. Alles ist doppelt und taucht mehrfach auf.  Als Original, als Kopie, als Kopie der Kopie. Für Tuerlinckx macht dies keinen Unterschied, ob etwas das Original ist oder ein Doppel, oder ein doppeltes Doppel der Kopie. «Aus der Kopie wird selbst ein Original. Nichts ist für die Ewigkeit, sondern es verändert sich ständig, neue Geschichten ergeben sich.»

«Nothing for Eternity» ist in sich dennoch abgeschlossen, als temporärer Ausschnitt. Die Sonne des ersten Raumes, als gelbe Markierung in einer Ecke, findet sich in Form einer Reflexion von Scheinwerferlicht auf der Spiegelfolie im letzten wieder und spendet so einen Anfang und ein Ende. Doch es bleibt ein Puzzle, das man nie lösen kann. Zum Glück, denn dann wäre alles vorbei.

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«Joëlle Tuerlinckx – Nothing for Eternity», Kunstmuseum Gegenwart, 15. Oktober 2016 bis 26. Februar 2017.

Der Titel «Nothing for Eternity» stammt von einem Sammler, der sich in Tuerlinckx’ Studio zu diesem Ausspruch hinreissen liess. Eigentlich erstaunlich, sammelt ein Sammler doch gerade mit dieser Hoffnung, die Bilder mögen ewig leben. Doch er hat recht, Tuerlinckx’ Schaffen zeichnet sich dadurch aus, dass eigentlich nie etwas fertig ist.

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