Autokinos als Filmszenen, das kennt man. Ist man mal selber drin, weiss man bald nicht mehr, wo die Leinwand anfängt und das echte Leben aufhört.
Wer nicht von dort ist, den zieht es in der Regel nach Pratteln, wenn er günstige Möbel braucht oder noch billigere Hotdogs verdrücken will. In Pratteln gibt es im Sommer aber mehr zu sehen als Möbel aus Spanholz. Pratteln hat ein Autokino! Man kann es irgendwie kaum glauben – und es ist auch nicht ganz leicht zu finden. Aber es ist da. Vier Jahre schon.
Autokino, das ist der Inbegriff der amerikanischen Vorstellung von Teenager-Romantik: Im schnittigen Cabrio, gross wie ein Schiff, mit Baseball-Jacke, Backenbart und Elvis-Fritte unter freiem Himmel neben der Abschlussballkönigin. An der Leinwand läuft ein Gruselfilm, der den Ritter im Mann hervorkitzelt, was nach Pommes und Burger irgendwie zu wildem Knutschen führen muss. Oder es läuft ein Film wie «Grease», der seltsamerweise denselben Effekt aufs Publikum hat. Oder das wild knutschende Paar befindet sich selber plötzlich im Horrorfilm.
Fast wie im Film
Im Autokino verwischen die Grenzen von Realität und Fiktion. Auch in Pratteln. Hier kann man beides sein: Zuschauer und Darsteller. Der Film beginnt um zehn, die Show um acht. Ein Elvis dort, ein «Cop» der «Highway Patrol» da und immer wieder ein glanzpolierter Oldtimer, den man bestimmt auch schon in einem Film gesehen hat. Oder es zumindest glauben will, wenn es der Besitzer behauptet.
So schlendert man vor Filmbeginn fast wie im Museum von einem Exponat zum nächsten und staunt. Von allen Seiten her glitzert die Abendsonne im Lack der elegant geschwungenen Motorhauben und Kotflügeln. Immer und überall hört man einen Besitzer gerade «alles original» herumposaunen und Fragen von Neugierigen beantworten. Es ist fast wie früher auf dem Pausenhof, als man mit Quartett-Karten in der Hand vom Mitspieler wissen wollte: Wie schnell? Wie schwer? Wie alt?
Neben «original» ist «einmalig» das Wichtigste. Auch für Thomas, den Cop in waschechter Uniform. Er hat sein schwarz-weisses Polizeiauto aus Kalifornien importiert. «Ein ganz seltenes Stück», erklärt er. «So etwas gibt es in der Schweiz nur einmal.» Mit Sirenenalarm, wie man ihn aus Blues Brothers und Co. kennt, ist Thomas vorgefahren und hat sich damit alle Aufmerksamkeit gesichert. «Diese Showeinlage gelingt eigentlich immer», sagt er. Eine Familie hat der selbständig Erwerbende keine. Dafür noch zwei weitere seltene amerikanische Klassiker, die man auch mieten kann. Ganz uneigennützig ist es deshalb nie, wenn er mit seiner Karre aufkreuzt. Seine Kunden sind vorwiegend Paare, die für ihre Hochzeit ein Auto mit dem gewissen Etwas suchen.
Sehen und gesehen werden
Überhaupt ist man im Autokino Pratteln am richtigen Ort, wenn man seine Hochzeit ein wenig amerikanisch frisieren will. So klemmt unter dem Scheibenwischer mehrerer Oldtimer ein Stapel Werbeflyer. Den 1960 Cadillac Fleetwood kann man ebenfalls mieten, Elvis inklusive. Auch hier darf die Polizeisirene auf dem Dach nicht fehlen. Für den Elvisdarsteller ist dieses Gefährt «kein Luxusartikel, sondern ein Werkzeug für den perfekten Auftritt». Offenbar ein gutes. Denn damit hat er für Auftritte vor Hochzeitsgesellschaften und Firmenangestellte «schon 42 Länder bereist». Bevor er mit Tourneen in die Welt hinausging, hatte er sieben weitere Elvis-Mobile besessen. Diese fielen jedoch der Scheidung von seiner ersten Frau zum Opfer. Er leidet noch heute. Wegen den verlorenen Autos, wohlgemerkt.
Einige Besucher mit nostalgischen Flitzern sind aber auch ausschliesslich zum eigenen Vergnügen da. Und dieses darf dann auch etwas kosten. Im Autokino braucht man ein Radio, um den Filmton zu hören. Dieses fehlt Oldtimern in der Regel. Ein Porsche-Fahrer hat sich deshalb kurzerhand eine Soundanlage installieren lassen: «Mit der könnte ich den ganzen Platz unterhalten». Das liess er allerdings dann höflicherweise bleiben.
Hollywood-Romantik
Bei der ganzen Autotreff-Atmosphäre, die im Autokino herrscht, könnte man meinen, es seien vor allem die Männer, die da hingehen wollen. Weit gefehlt! Marc Hermann, Hauptorganisator des Events, nimmt überwiegend Ticketreservationen von Frauen entgegen: «Oftmals wollen sie ihren Partner damit überraschen.» Wenn sie tatsächlich «Grease» zeigen, ist dies nicht nur eine Garantie für ein ausverkauftes Kino – sondern zugleich eine klassische Win-Win-Situation: Mann darf Autos bestauen, Frau sich danach wie die Hauptfigur Sandy Olsson an der Seite von Danny fühlen. Freie Bahn für Träumereien je nach Geschmack!
Auf dem Kinoplatz ist es mittlerweile ruhig geworden. Die Leute haben sich ins Auto zurückgezogen. Licht kommt nur noch aus dem Projektor beziehungsweise von der Wand, die einem Logistikunternehmen gehört. Teil eins der Show ist vorbei. Jetzt kommt der Film. «Spiel mir das Lied vom Tod». Ein Klassiker – das passt. Wer clever war, liess sich vorher sein Auto «vorne aufbocken», so dass er jetzt gute Sicht auf die Leinwand hat – und nicht bloss an das eigene Autodach.
Mit dem Filmanfang schlägt die grosse Stunde der «Rollergirls». Im 50er-Jahre-Look gekleidet und auf Rollschuhen servieren sie Milkshakes, Burger und was sonst noch zur Autokino-Kulinarik dazugehört. Weil jeder dann essen will, wenn der Film losgeht, flitzen die «Rollergirls» von Auto zu Auto. Dort stellen sie sich vor der Fahrerseite so hin, dass man seine Bestellung ihnen direkt ins Dekolleté aufgeben kann.
Abschliessend widmet man sich endlich ganz dem Film. Die wenigsten lassen sich dabei von den «Rollergirls» beim Knutschen erwischen. Und kaum ist die letzte Szene vorüber, starten bereits die Motoren. Die Autos verlassen das Kino, als wären sie Gäste eines ganz gewöhnlichen Kinosaals gewesen. Ruhig und geordnet, Reihe für Reihe.