Mit schlichter Sprache über den Abgrund

In Angelika Klüssendorfs Roman «April» sucht eine junge Deutsche ihren Platz im Leben. Für die kühle Sprache, mit der sie die aufreibende Suche nach Zugehörigkeit beschreibt, ist die Autorin berühmt geworden.

Ungefähr hier darf man sich April vorstellen, wie sie von Westberlin zurück nach der Heimat lugt. Aufgenommen 1984 in Berlin-Neukölln. (Bild: Gschwandtner Bua)

In Angelika Klüssendorfs Roman «April» sucht eine junge Deutsche ihren Platz im Leben. Für die kühle Sprache, mit der sie die aufreibende Suche nach Zugehörigkeit beschreibt, ist die Autorin berühmt geworden.

Eine junge Frau is coming of age. Ihr wundervoller, selbstgegebener Name: April. Man weiss nicht genau, ob man ihn Abbrüll lesen soll, weil sie ihre Eskapaden im Leipzig der 80er Jahre erlebt? Oder doch Eypril, weil sie Janis Joplin liebt, Dylan und vor allem den gleichnamigen Song von Deep Purple?

In ihre Adoleszenz fallen: Ein Selbstmordversuch, die Ausreise nach Westberlin, eine relativ grosse Anzahl an Liebhabern, die sie durch zwanghafte Bockigkeit wieder von sich stösst, ein Sohn, viele weisse Nächte, ebenfalls zwanghaft, und ein Happy End. Ein «Mädchen» (so der Titel des Romans, an den «April» anschliesst, und der Angelika Klüssendorf 2011 auf die Shortlist des deutschen Buchpreises brachte) will Frau werden und findet ihren Platz nicht. Eine Frage bleibt auf 200 Seiten offen: warum nicht?

Die Heldin wird nicht greifbar

Klar – ihre Eltern waren trunksüchtig und handgreiflich, sie lebt im Überwachungsstaat, und das Leben ist an sich schon eine Zumutung. Doch bei Klüssendorf wird das nicht spürbar. Ihr Text fliesst elegant, ist schlicht und unprätentiös («mentale Hitze bei sprachlicher Kälte», wie es der «Tagesspiegel» nennt, haben der Autorin Ruhm beschert), und an vielen Stellen ist das Buch poetisch. Kleine Beobachtungen werden eingeflochten, die für die Story nicht nötig sind, sie aber gerade kräftig machen. Doch der Text bleibt an der Oberfläche, April wird nicht greifbar.

In gewisser Hinsicht liegt darin das Thema des Textes. Sie klappert Psychologen ab und klagt, sie wisse nicht, was sie fühlt. Sie schaut ihren kleinen Sohn an und denkt sich, sie müsse ihn mehr lieben. Sie fragt dessen Vater, warum er sie eigentlich liebt. Die DDR ist ihr weniger ein Käfig als vielmehr ein Sehnsuchtsort, sobald sie sie verlassen hat. Das grosse Freiheitsgefühl in Westberlin stellt sich nicht ein. Was fehlt ihr? Das ist genauso Aprils Frage wie die des Lesers.

Die Fragen bleiben

April, die ihren Platz in einem Europa sucht, das noch von Grenzen bestimmt ist, kommt den heutigen Twens erstaunlich nah: So, wie es ist, wollen wir es nicht, woran wir uns reiben können, wissen wir nicht, und wie wir es gerne hätten, das können wir auch nicht sagen. Klüssendorf gibt all diese Fragezeichen an den Leser weiter.

Dennoch kommt April voran, auch wenn man nicht genau folgen kann, wie das geschieht. In Klüssendorfs Worten, die sich sehr lesenswert mit der «ZEIT» unterhalten hat: «Sie geht immer zwei Schritte vor und einen zurück. Aber sie geht eben auf jeden Fall einen vor. Das ist das Wichtige: das Immer-wieder-Probieren.»

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Angelika Klüssendorf: «April», Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten.
Die Autorin liest am 23. April, 19 Uhr, im Literaturhaus Basel.

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