Müslüm

Das türkisch-schweizerische Immigranten-Popwunder macht am Samstag erstmals im Sud Zwischenhalt.

Türkischer Comedy-Schwerenöter mit grossem «Herzeli»: Müslüm. (Bild: zVg)

Das türkisch-schweizerische Immigranten-Popwunder macht am Samstag erstmals im Sud Zwischenhalt.

Bei der Berner Polizei ruft ein Mann mit schwerem türkischem Akzent an, der sich als Müslüm vorstellt und als Polizist bewerben möchte. Er habe Erfahrung als Security und wolle helfen, «die Berner Strassen sauber zu halten». Im Gespräch mit der zunehmend irritierten Beamtin gibt er dann zu, früher mal an einem Raubüberfall beteiligt gewesen zu sein: «Aber ich war jung und dumm und will mich in die Gesellschaft integrieren. Hat nicht jeder eine zweite Chance verdient?»

Wenn man Müslüm, der als «der Mann mit dem Telefonscherz» zuerst im Berner Lokalradio, dann schweizweit Kultstatus erreichte, im Gespräch mit seinen Schweizer «Streichopfern» zuhört, weiss man nie genau, ob man nun laut loslachen oder betreten weghören soll. Denn so gekonnt wie der Berner Komiker mit bürgerlichem Namen Semih Yavsaner die gängigen Klischees über seine Landsleute persifliert, so entlarvend wirken die Reaktionen seiner Gesprächspartner. Er habe sich darüber geärgert, wie stereotyp die meisten Comedians den Immigrantenslang nachgeahmt hätten, erklärt Yavsaner selbst zur Motivation hinter seiner Radioshow: «Ich wollte eine neue, zwar witzig-überzeichnete, aber im Kern treffendere Figur des vermeintlich typischen Türken entwickeln.» Provokativ, aber nicht unter der Gürtellinie, frech, aber nicht respektlos sollte sie sein: «Einer, der auf den ersten Blick abstossend und gefährlich wirkt, den man aber schon bald ins Herz schliesst.»

Als die Berner Reitschule 2010 bei ihm anklopfte und fragte, ob er im Abstimmungskampf über die Zukunft des alternativen Kulturzentrums einen Song beisteuern wollte, sagte Yavsaner spontan zu. Es sollte seine grosse Chance werden: Im Videoclip zum Ohrwurm «Erich, warum bisch du nit ehrlich» (gemünzt auf den SVP-Reitschulgegner Erich Hess) tanzte sich der behaarte Typ im grellen Polyesteranzug zu fetzigem Ethnopop in die Herzen der Schweizer – und trug damit nicht unbeträchtlich zum Abstimmungssieg bei. Der Nachfolge-Hit «Samichlaus», der Christoph Mörgeli ins Visier und aufs Korn nimmt, wurde mit über 1,5 Millionen Views gar zum meistgesehenen Mundart-Videoclip überhaupt.

Kein Wunder also, dass mit «Süpervitamin» nun ein ganzes Album des «Immigranten-Popwunders» folgt, das vor Witz, Charme und Lebensfreude nur so sprüht. «Die Liebe» sei denn auch das zentrale Motiv bei Müslüm, betont Yavsaner: «Es sind Geschichten aus dem Immigranten-leben, gesungen von einem Türken mit losem Mundwerk, aber noch grösserem Herz. Lieder, die einen Beitrag leisten wollen zu einer toleranteren, farbenfroheren, humanistischen und multikulturellen Gesellschaft.» Sein Ziel sei es, «Müslüm» trotz des momentanen Erfolgs seiner ersten Tour, trotz mehrerer Film- und TV-Angebote, nicht käuflich werden zu lassen, sondern stetig weiterzuentwickeln, «zu emanzipieren». Damit er in Zukunft noch mehr «Gratisliebe für alle» verteilen kann. Oder in Müslüms eigenen Worten: «ganz viel Herzeli».

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.10.12

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