Auch am Samstag gab es bei einigen Konzerten des BScene-Festivals kein Reinkommen mehr. Wir bewegten uns abseits der Massen und merkten: In der Nische lauern schöne Entdeckungen, aber auch leise Enttäuschung.
Dann kommt er, der Moment, auf den Konzertbesucher mit Entdeckergeist hoffen. Gegen ein Uhr sind im Sud auf einmal alle Erwartungen vergessen und der Blick verharrt staunend auf der Bühne. Was machen die da?
Die Band heisst Alt F4 und stammt aus Möhlin im Fricktal. Sie könnte aber genauso gut aus Woodstock kommen. Die sechs Musiker wirken wie eine Gruppe, die nie aus dem Pfadilager heimgekehrt ist und statt dessen eine Kommune gegründet hat, um fortan wunderlichen Dialekt-Progrock zu spielen. Musikalisch wie textlich wird frei assoziiert, was nicht sofort ins Ohr geht, aber sympathisch und spannend wirkt.
Manchmal werfen sie auch die Sequenzer an, das holt den Sound in die Gegenwart und bietet vage Ansatzpunkte für Fans von MGMT oder Arcade Fire. Doch eigentlich klingen Alt F4 ganz eigen. Völlig aus der Zeit gefallen, gefällt das Sextett mit Mundart-Rock, der kaum fassbar ist und dennoch packt.
Man kann verstehen, dass Jeans For Jesus in der Kaserne mehr Publikum anziehen. Aber wo deren Mundart-Update den hippen Mainstream bedient, zelebrieren Alt F4 die Freude am Experiment. Das geht auf Kosten der Massentauglichkeit, feiert aber die befreiende Kraft, die Musik haben kann, wenn man sie nicht ins Korsett der Konventionen zwängt.
Scratches: Dunkelrote Dramatik
Begonnen haben wir den zweiten Abend um halb zehn im Parterre. Scratches heisst die Band von Sängerin Sarah-Maria Bürgin und Gitarrist Sandro Corbat, die letztes Jahr mit «Fade» ihr Debüt vorgelegt hat. Für den BScene-Auftritt treten sie mit Drummer und Bassist als Quartett auf. Und anders als andere Bands treten sie wirklich auf und latschen nicht einfach auf die Bühne.
Die Band nimmt Aufstellung und dann tritt Bürgin mit blonder Mähne und weissem Anzug ans Mikrofon. Die Optik ist hell, die Stimme dunkel. Erst wickelt sie das Publikum mit samtenem Timbre ein, dann klingt sie brüchig, dass man überlegt, ihr ein Taschentuch zu reichen, doch plötzlich beisst sie zu. Sie zelebriert die Lieder expressiv wie eine Diseuse, hat aber auch den Stimmumfang, um weite Melodiebögen zu tragen.
Die Texte sind englisch und trotzdem kommt einem manches französisch vor, so ähnlich wie das einst auch bei Grace Jones war. Das liegt wohl an den Arrangements, die angedubbte Grooves mit klingelndem Wave verweben. Die Band spielt satt, aber nie mastig und Gitarrist Corbat zelebriert feines Fingerpicking. In der Summe ergibt das Songs von dunkelroter Dramatik, die das Publikum in den Bann ziehen.
Zu wünschen wäre der Band eine Tour, denn richtig eingespielt, könnte ihr Konzert zum Triumph werden. So bleibt es bei einem frühen, feinen Höhepunkt des BScene-Samstags.
Otto Normal: Der Fehler mit Strehler
Ein Festival lebt von Kontrasten und darum begeben wir uns vom Parterre in den Rossstal zu Otto Normal. Das Sextett aus Freiburg ist eine Partytruppe. Schon im ersten Song steigt Frontmann Chabezo von der Bühne und heizt dem Publikum auf Augenhöhe ein. Der Mann versprüht Charme und ansteckende Energie, die Band bewegt sich druckvoll durch allerlei Tanzmusikstile der letzten 40 Jahre. Diese Leute verstehen ihr Handwerk und das umfasst neben Musik auch die Animation.
Das sieht dann so aus: Man lässt das Publikum in die Hocke gehen und wenn aufs Kommando alle hochspringen, hält der Schwung die Leute gleich in Bewegung. So verwandelt man Fans in «Tanzroboter», wie ein Stück heisst. Und so können sich Otto Normal einen Fehler erlauben, den man in Basel eigentlich nicht machen sollte.
Chabezo möchte freestylen und bittet das Publikum dafür um Stichworte. «Marco Streller» ruft einer. «Markus Strehler, wer ist das?», fragt Chabezo. Hat er nicht gerade erzählt, er hätte jahrelang als Velokurier in Basel gearbeitet? Man klärt ihn auf, doch es bleibt dabei, dass Chabezo den Nachnamen nicht so recht versteht und darum auf «Strehler» «Fehler» reimt.
Nicht auszudenken, hätten sich Dabu Fantastic, die parallel in der Reithalle auftreten, einen solchen Fauxpas geleistet. So leiden die Zürcher Oberländer zumindest zu Beginn ihres Auftritts nur an der etwas unglücklichen Programmierung. Hüben wie drüben wird partytauglicher Pop mit Rap gekreuzt, aber das Publikum kann ja nur vor einer Bühne auf einmal tanzen. Unsereiner würde gern noch etwas bleiben, muss aber den Schwung von Dabu Fantastic nutzen, um rechtzeitig ins Sud zu kommen.
Last Leaf Down: Ein Mäuerchen statt Wall of Sound
Dort treten nämlich Last Leaf Down auf, jene Band aus dem Schwarzbubenland mit den vielen Facebook-Fans, über die wir hier berichtet haben. Die Ansagerin erwähnt einleitend ebenfalls, die fünf Musiker hätten mehr Likes als Baschi, die seien also super.
Leider aber bedeuten Likes lediglich einen geschickten Umgang mit sozialen Medien und nicht musikalische Grösse. Auf Aufnahmen verstehen es Last Leaf Down mit melancholischen Shoegaze dichte Atmosphäre zu schaffen. Im Konzert spielt das Quintett engagiert, doch verpufft ihr Sound im halb leeren Saal. Das liegt mitunter am fehlenden Volumen, denn bei 97 Dezibel entsteht auch aus drei Gitarren keine Wall of Sound, sondern bloss ein musikalisches Mäuerchen.
Zudem fehlt es an Songs, die hängen bleiben. Zwar beherrschen Last Leaf Down die Sound-Ästhetik von Bands wie Slowdive, ihr Zusammenspiel hat Qualität, aber um in diesem eng gesteckten Genre herauszuragen, mangelt es dann doch an Klasse. Nach dem Auftritt verkündet die Ansagerin, Kuppel und Kaserne seien voll. Hier im Sud hätte es noch Platz.
Deaf’n’Dumb: Ein Konzert ist kein Kolloquium
Zum Abschluss des Abends zieht es uns in den Hirschi-Keller, dort hebt um diese Zeit der gute alte Rock’n’Roll sein verschwitzes Haupt. Deaf’n’Dumbs Riffrock mit Souleinschlag fährt in die Beine. Sänger Matthew Felix gibt die Rampensau, die Stimme überschlägt, das Bier fliesst. Das ist simpel und ein bisschen stupid, aber ein Konzert ist schliesslich kein Kolloquium, auch wenn man das inmitten der quasselnden Massen mancherorts heute hätte meinen können. Hier aber wird getanzt und getrunken und gut ist.
Gewährsleute berichten aus der Reithalle, bei Schwellheim würden Fahnen geschwungen und ein Volksfest gefeiert. Das glauben wir gerne, doch nach all der Musik halten wir nur noch kurz bei der Kaserne, um einen Hotdog mit Sauerkraut zu erstehen. Um dann auf dem Heimweg gedanklich wieder bei Alt F4 zu landen. Ein Festival ist gelungen, wenn man eine unerwartete Entdeckung macht. BScene hat uns Alt F4 gegeben, BScene ist gelungen.
Und so war der Freitag: Zum Bericht von Kollege Krebs bitte hier entlang.