Vor zwanzig Jahren hat Aphex Twin mit «I Care Because You Do» den Techno auf den Kopf gestellt. Das Genre hat sich verändert, die Platte verstört und begeistert noch heute.
Irre Musik vom irren Grinser. Als «I Care Because You Do» vor 20 Jahren erschien, waren die groben Einzelteile schon da. Die Atonalität des Ambient. Die zischende, blubbernde, pfeifende Kulisse des Acid House. Die Kraftbolzenbeats im Techno. Der Brite Richard D. James machte 1995 daraus – und noch aus vielem anderen – eine Synthese, und die elektronische Musik war danach eine andere. «Dancefloor und moderne Kunst», schrieb das Magazin «Musikexpress» überrascht dazu. Als hätte man es nicht kommen sehen müssen.
Dabei hatte James Vorboten gesendet, die deutlich genug waren. Drei Jahre zuvor veröffentlichte er «Selected Ambient Works 85–92», das Debut unter seinem Act-Namen Aphex Twin, und möbelte damit jenes Genre neu auf, das Brian Eno in den 70er-Jahren begründet hatte. Seine mit Loops und Samples durchsetzte Ambient-Platte, der noch ein zweiter Teil folgen sollte, setzte neue Massstäbe darin, wozu instrumentale Musik jenseits von Beats und Rhythmus dank dem Computer fähig sein kann.
Wohlklang-Oasen und Kälteschocks
James, fortan als «Mozart der Elektronik» gepriesen, setzte mit «I Care Because You Do» noch eins drauf. Schlüsselstücke wie das eröffnende «Acrid Avid Jam Shred» oder «Wax The Nip» waren gleichzeitig von schummrigen Melodien durchtränkte Wohlklang-Oasen und Kälteschocks aus der Industrial-Kammer. In «Ventolin» quietscht die Groove-Skizze wie rostiges Eisen und heizt die Ohren vor für einen meisterhaften Krawall, und am Ende in «Next Heap With» arbeitet James doch noch mit rein orchestralen Elementen, quasi als Fingerübung in analoger Tiefe. Als wollte er im Abgang noch zeigen, dass er auch das beherrscht. Weil sie doch so nahe liegen, die beiden Welten, wenn man nur hinzuhören vermag.
Tanzen konnte man zu «I Care Because You Do» auf jeden Fall, solange man dazu kein Vierviertel-Diktat brauchte und die richtigen Substanzen intus hatte. Der psychedelische Reiz der Platte verdeutlicht hingegen, aus was für einer für die Clubkultur fernen Zeit sie stammt. James‘ Virtuosität setzt sich über Genres hinweg, verdampft in diese und gibt ein Panoptikum an akustischer Wundersamkeit frei, das dem Techno Fluchtwege aus ebenjener Massenkultur bot, die ihn damals zu vereinnahmen begann.
Nerd mit Humor
Und zu guter Letzt bewies James eine Eigenschaft, die man von einem dem Nerdtum zugeneigten Soundtüftler nicht unbedingt erwartet hätte: Humor. Schon das bizarre Selbstporträt auf dem Cover von «I Care Because You Do» mit dem diabolisch verzerrten Grinsen wirkt wie eine schabernackende Antwort auf den aufkommenden Starstatus für DJs, dem sich der öffentlichkeitsscheue Aphex Twin stets entzog.
Die Fortführung folgte 1999 mit dem Track «Windowlicker» und dem dazugehörigen Clip seines kreativen Partners Chris Cunningham: eine absurde Parodie auf Sprache und Ästhetik des Streetrap mit dicken Karren, knapp bekleideten Tänzerinnen und einem Aphex Twin mit Dancemoves, die von Michael Jackson stammen könnten, während auf der Tonspur James‘ Elektroküche überkocht und Funken sprüht. Die «interessanteste Musik aller Zeiten», schrieben die Musikkenner von «Pitchfork» einst. Kommt hin, auch nach zwanzig Jahren.