«Neider sollten ihren eigenen Club gründen»

Der Bird’s Eye Jazz Club feiert heute im Schützenmattpark und morgen im Club seinen 20. Geburtstag. Gründer Stephan Kurmann blickt zurück auf das Jahr 1994, als er mit einer Bühne, einer Idee und einem Telefonbeantworter startete. Ausserdem spricht der 56-Jährige über den Neid auf seine Vormachtstellung und den Wandel in der Jazzmusik.

Stephan Kurmann gründete das Bird’s Eye 1994 mit trashigem Umfeld und improvisiertem Interieur. Heute ist der Club ein etabliertes Lokal. (Bild: Philippe Hollenstein)

Der Bird’s Eye Jazz Club feiert seinen 20. Geburtstag. Gründer Stephan Kurmann blickt zurück auf das Jahr 1994, als er mit einer Bühne, einer Idee und einem Telefonbeantworter startete. Ausserdem spricht der 56-Jährige über den Neid auf seine Vormachtstellung und den Wandel in der Jazzmusik.

Stephan Kurmann, hätten Sie vor 20 Jahren gedacht, dass das Bird’s Eye quasi zur Lebensaufgabe für Sie werden würde?

Nein, so weit dachte ich damals nicht. Wir hatten die Gegenwart vor Augen. Nachdem der «Birseckerhof» mit Livejazz aufgehört hatte, bedeutete das, dass es in Basel keinen Ort mehr gab, wo regelmässig Livejazz geboten wurde.

Aber im Atlantis gabs doch in den frühen 1990ern noch mehrmals wöchentlich Konzerte?

Ja, aber das «-tis» hatte sich schon längst vom Jazz verabschiedet. Uns ging es um eine Clubatmosphäre, einen Treffpunkt auch. Den gab es nicht mehr. Als wir 1994 das Bird’s Eye bezogen, war das Atlantis gerade frei, man hätte es pachten können. Aber das hätte mich nie interessiert, denn es war viel zu gross – zudem war es mir zu lärmig durch die beiden Bars ohne Sicht zur Bühne. Vor 50 Jahren war Jazz Popmusik, da füllte man ein Atlantis, da stimmte das Ambiente. Aber in den Neunzigern war das nicht mehr der Fall.

Sie waren Jazzmusiker, hatten kein Lokal mehr. Also gründeten Sie Ihr eigenes?

Ein Stück weit, ja. Meine damalige Partnerin brachte die Idee eines Jazzclubs auf. Sie fragte mich eines Tages: «Wenn du einen Jazzclub eröffnen würdest, wie würdest du ihn nennen?» Mir kam das Wort «Bird’s Eye» in den Sinn, was im Englischen für eine Fermate (Ruhezeichen, Anm. d. Red.) steht – und fand das einen passenden Namen. Auch, weil ich bereits eine mögliche Visualisierung mit diesem Notationszeichen vor Augen hatte. Einen Ruhepunkt für Jazzliebhaber.

Und dann fanden Sie einen Raum im Bell-Areal, der grossen Zwischennutzung in der grenznahen Industriezone.

Ja. Mich hatte zuvor der Groove im Schlotterbeck fasziniert – und als das Bell-Areal besiedelt wurde, bewarb ich mich für Räume, durfte einziehen und bot Workshops an. Meine Freundin sah, wie durch die Jam-Sessions ständig Musiker ein- und ausgingen, und brachte dann eben die Idee ein, doch einen Club zu gründen. Im Parterre des Hauses gab es einen Raum, einen ehemaligen Lagerraum, dort hatte Sabine Bürgin ihren Flügel eingestellt, weil sie zu Hause nicht genug Platz hatte. Man musste den Raum etwas herrichten, vor allem die Akustik war eine Herausforderung, die wir aber dank guten Tipps und einigem Aufwand lösen konnten. Zum Glück lebten und arbeiteten im Bell auch motivierte, hilfreiche Handwerker, auch eine Lüftung aus einem Abbruchobjekt wurde eingebaut. Wir bauten eine Bühne aus vorhandenem Material, sammelten in Brockenhäusern Stühle zusammen und fanden eine Bar. So entstand das alte Bird’s Eye.

Macht alles Sinn.

Doch sahen das damals viele anders. Viele Leute warnten mich, als ich von der Idee erzählte: «Einen Jazzclub eröffnen, ja spinnst du denn? Willst du dich völlig ruinieren?»

«Hätte ich richtig Geld verdienen wollen, hätte ich mir einen anderen Beruf gesucht.»

War Jazz dermassen am Boden vor 20 Jahren?

Nein, aber nicht lukrativ. Aber darum ging es mir auch schon damals nicht. Ich war Jazzmusiker, wenn ich richtig Geld verdienen wollte, hätte ich mir einen anderen Beruf gesucht.

Aber das ist ja nicht nur im Jazz so – sondern allgemein bei freischaffenden Musikern.

Einverstanden, das zieht sich über alle Sparten hinweg. Da würde ein Grundeinkommen viel Druck wegnehmen.

Das Bird’s Eye feiert in den Parks
Sein 20-Jahre-Jubiläum feiert der Basler Jazz Club zwar auch in den eigenen vier Wänden – am Abend des 21. Juli geht eine grosse Geburtstags-Jamsession über die Bühne. Doch das Bird’s Eye – der einzige Konzertclub in Basel, der keine Sommerpause kennt – geht raus zu den Leuten. Verschiedene Parks werden bespielt, Ziel sei es, auf diese Weise ein breiteres Publikum zu erreichen, sagt Stephan Kurmann. Die Konzerte sind für die Zuschauer gratis, es wird auch ein spezielles Kinderprogramm geboten.

20. Juli im Schützenmattpark / Pavillon im Park
17. August im St. Johanns-Park / Jonny Parker
24. August in der Elisabethen-Anlage / Zum Kuss Caffè
jeweils ab 14 Uhr (Kinder) resp. 15.30 (Konzerte)

Details unter www.birdseye.ch

Ein Grundeinkommen haben Musiker, die bei Ihnen im Bird’s Eye spielen. Sie sagten uns mal, dass jeder Musiker mindestens 300 Franken erhält – weil Sie bewusst gegen die Ausbeutung, das Dumping der Musiker, ein Zeichen setzen möchten.

Ja, das stimmt. Allerdings können wir uns das nur leisten, weil wir nicht nur auf die Einnahmen an der Kasse angewiesen sind. Wir sind zu einem Viertel selbsttragend.

Zu drei Vierteln von Gönnern?

Ja, das Budget beläuft sich inzwischen auf jährlich etwa 1 Million. 100’000 decken wir mit Beiträgen der öffentlichen Hand, 150’000 kommen von diversen Gönnern, 500’000 Franken von der Stiftung Levedo, 250’000 aus den Einnahmen. 

Diese Stiftung wurde bekanntlich von Beatrice Oeri gegründet, die auch die TagesWoche ermöglicht hat. Sie gehört seit Jahren zu den grossen Gönnerinnen im Bird’s Eye.

Ja, sie unterstützt den Club via Stiftung, leistet aber auch als private Person sehr wichtige Arbeit. Sie ist jeden Abend hier im Club, hat schon vor langer Zeit das übernommen, was mir nicht mehr möglich ist: die Leute zu begrüssen, den Club- und Barbetrieb zu organisieren. Und das macht sie einfach super, sie wäre mit ihrem Engagement schwer zu ersetzen. Und seit etwa 16 Jahren ist sie kompetente und verantwortungsbewusste Präsidentin des Trägervereins Jazz-Live Basel.

Das John Marshall Quintett im Bird’s Eye mit Stephan Kurmann am Bass, Januar 2013.

Ein Glücksfall, zumal sie offenbar auf den Inhalt nicht Einfluss nehmen will.

Doch schon, aber nicht direkt auf das Programm. Aber auch darin wie in anderen künstlerischen und konzeptionellen Belangen haben wir ähnliche Vorstellungen und haben uns immer gut verstanden. Es gab andere potenzielle Mäzene, die nur Geld gegeben hätten, wenn sie auch ein Mitspracherecht beim Programm erhalten hätten. So etwas hat mich aber nie interessiert. Ich wollte immer die Unabhängigkeit bewahren, ohne künstlerische oder kommerzielle Kompromisse machen zu müssen.

Aber die Bar läuft sicher nicht schlecht, an einer zentralen Lage wie dem Kohlenberg.

Naja, das täuscht. Die Bar lief im alten Bell eigentlich besser, weil es dort keine Alternativen gab. Hier kommen die Leute nicht her, um zu trinken, sondern um zuzuhören. Für diese Erkenntnis haben wir in der Vergangenheit auch Lehrgeld zahlen müssen. So glaubten wir mal, dass wir nach Mitternacht noch warmes Essen anbieten sollten. Doch der Zuspruch war gering, das Angebot schon genügend vorhanden in der Innenstadt.

Früher war alles provisorisch eingerichtet, heute etabliert. Symptomatisch für den ganzen Club?

Ja, sicher. Wir gehören zu den etablierten und auch subventionierten Kulturbetrieben der Stadt. Wir sind privilegiert, das ist uns sehr wohl bewusst. Wer in den Anfangsjahren wissen wollte, was im Bird’s Eye gespielt wird, wählte eine Telefonnummer und hört das Programm via Beantworter. Der Clubeingang wirkte versifft, man musste durch dunkle, versprayte Gänge, das nahmen aber auch die Gäste, die das nicht kannten, auf sich: Denn es ging um das Wesentliche, die Musik. Damals hatten wir mehr Stammgäste, weil der Club wenigen Leuten bekannt war. Aber auch heute kann man sagen, dass der Club bei Musikern bekannter ist als beim Publikum.

Ach ja? Weil Sie zu gute Gagen zahlen?

(lacht) Nein, aber weil wir die Musiker gut behandeln. Man kann bei uns an zwei Abenden spielen, das ist weltweit eine Seltenheit geworden.

«Ich würde aufhören, im Bird’s eye zu spielen, wenn ich den Ansprüchen nicht mehr genügen würde.»

Sie haben sich eine bemerkenswerte Stellung im Basler Jazz geschaffen: den einzigen Club gegründet, dessen Programm bestimmt – und dabei auch sich selbst als Bassist immer wieder auf die Bühne gestellt.

Ich weiss, worauf Sie hinauswollen: dass ich mir selber Auftritte zuschanze.

Was ja auch stimmt.

Das war einer der Gründe, überhaupt damit anzufangen. Ich rate allen Neidern, dasselbe zu tun wie ich. Einen eigenen Club gründen und sich ins Programm setzen.

Dennoch birgt dieses Doppelmandat – Musiker und Programmchef – Risiken.

Dessen bin ich mir bewusst. Ich achte darauf, dem Club und damit auch mir selber nicht zu schaden. Das Bird’s Eye ist mein Pflänzchen, das gedeihen soll. Ich würde aufhören, hier zu spielen, wenn ich den Ansprüchen nicht mehr genügen, nicht mehr angefragt würde.

Aber so verdienen Sie doppelt Geld.

Nein, darum geht es wirklich nicht. Sondern um die Freude am Musizieren. Ich weiss schon, dass gewisse Leute in der Jazzszene beanstanden, dass ich so oft auf der eigenen Bühne stehe. Andere freuen sich darüber. Ich spiele das geeignetste Instrument für das Mitspielen im Hintergrund, in unterschiedlichsten Formationen. Ich habe viel Erfahrung in vielen Stilbereichen und werde darum oft auch als Ersatz angefragt. So wie jetzt vom Montreux Jazz Quartet, bei dem Heiri Känzig verhindert ist. Mit meinem Instrument stehe ich nicht im Vordergrund, ich passe mich der Band an und nicht umgekehrt. Darum heisst es ja auch Bass.

Weil er sich «anbasst»?

Genau.

Sie stellen das aber nicht zur Bedingung, wenn Sie eine internationale Band buchen?

Sie lachen jetzt. Aber in Neuchâtel gab es mal einen Club, da war es Bedingung, dass der Veranstalter als Schlagzeuger mitspielte. Das ging dann auch nicht lange gut.

Dennoch ist die Konstellation nicht einfach für eine kleine Stadt wie Basel: Alle Jazzer möchten bei Ihnen spielen. Müssen sich aber auch mit Ihnen arrangieren.

Niemand muss heucheln. Ich plane nach musikalischen, aber natürlich auch menschlichen Kriterien. Es gibt Musiker, die super nett zu mir sind und hintenrum schlecht über mich reden. Ich frage mich deshalb immer wieder: Ist jemand wirklich nett, oder will er oder sie nur einen Gig? Und manche sind sauer auf mich, wenn sie keinen Gig erhalten.

Zurück zu den wilden Anfängen: Was vermissen Sie aus dieser Zeit?

Alles ändert sich. Es hatte seinen Reiz, kurzfristig zu planen. Heute buche ich mitunter schon ein Jahr und mehr im Voraus. Dafür führen wir ab Oktober an zwei Abenden monatlich «last minute dates» ein.

Sie haben selber erwähnt, dass sich der Jazz verändert hat. Zugleich hört man weiterhin Bands, die alte Standards spielen. Müsste sich das Bird’s Eye radikaler öffnen, wenn es weitere 20 Jahre bestehen möchte?

Nein, ich glaube nicht. Wir sind offen. Ich bin froh, dass ich viele administrative Aufgaben abgeben konnte und mich wieder mehr auf das Programm konzentrieren darf. Hierfür habe ich einen jüngeren Musiker hinzugezogen, der seinesgleichen kennt, gut vernetzt ist in der jungen Szene – und mir Empfehlungen abgibt. Ich hole generell gerne andere Meinungen ein, buche auch nicht immer nur, was mir gefällt, sondern auch etwas, wovon ich weiss, dass es dem Publikum gefällt. Und dass ich es mir auch nicht anhören mag. Das kommt vor.

Wie halten Sie sich jung und agil?

Die Musik ist eine Kunstform, die per se frisch bleiben sollte, wenn sie aus Liebe gemacht wird. Im Prinzip sollte ja überhaupt jeder das beruflich machen, was er möchte.

Klar. Trotzdem können wir uns kaum vorstellen, dass alle Gäste Ihres Lokals ständig die gleichen Standards wie «Autumn Leaves» hören möchten.

Dieses Stück hört man heutzutage wohl sehr selten im Bird’s Eye. Aber solange ein Musiker es gerne spielt, leidenschaftlich auch, ist daran nichts auszusetzen.

Im September wird der Jazz Campus an der Utengasse eröffnet, der nebst Schulzimmern auch einen Liveclub enthalten wird. Fürchten Sie diese Konkurrenz?

Die Schule ist ähnlich aus dem Nichts gewachsen wie das Bird’s Eye. Wir haben immer zusammengearbeitet und voneinander profitiert, denn beide Lokale ziehen Musiker an. Nun wird die Hochschule die meisten ihrer Diplomkonzerte bei sich durchführen statt wie bisher bei uns. Es gibt ja heute generell wieder viel mehr Orte, wo Jazz gespielt wird: in den Quartieren wie etwa in der Sonny’s Bar im St. Johann oder in der Lady Bar an der Feldbergstrasse. Ich meine, dass es Platz für alle hat.

Wieso?

Weil es auch immer mehr Musiker gibt. Die Frage ist höchstens, wie viel Publikum für das Angebot vorhanden ist. In unserem Fall sind wir sehr zufrieden, denn die Auslastungszahlen sind in den letzten Jahren gestiegen. Wir kommen im Jahr doch auf 10’000 Eintritte.

«Es gab immer Leute, die finden, dass es sich bei uns anfühle, als sei man in der Kirche. Aber wir sind ein Konzertlokal, da sollte auch die Livemusik im Zentrum stehen.»

Sie haben vom Ruhepunkt gesprochen. Jüngere Jazzer monieren mitunter, dass es ein bisschen zu ruhig zu und her gehe im Bird’s Eye. 

Es gab immer Leute, die finden, dass es sich bei uns anfühle, als sei man in der Kirche. So ruhig, so aufmerksam. Aber wir sind ein Konzertlokal, da sollte auch die Livemusik im Zentrum stehen.

Auch die Musik hat sich in den 20 Jahren verändert.

Das stimmt. Früher hatten wir oft Ad-hoc-Formationen, es wurden viele Standards gespielt, ohne Noten. Heute gibt es viel mehr Bands mit eigenem Konzept und eigenen Kompositionen. Diese sind zum Teil so komplex, dass sie sogar für die Musiker zu schwierig werden. Man sieht auch viel mehr Notenständer auf der Bühne als früher.

Hat das mit der Akademisierung des Jazz zu tun?

Ja, sicher auch. Ich lernte noch, auf der Bühne zu spielen. Heute erhalten viele eine professionelle Ausbildung, doch manchmal fehlt es an Bühnenerfahrung. Das heisst, die jungen Studenten komponieren ausgetüftelte Stücke im stillen Kämmerlein. Anspruchsvoll, aber vielleicht nicht immer publikumsfreundlich.

Der Jazz ist intellektueller geworden?

Zu einem gewissen Teil auf jeden Fall, ja. Aber er bleibt eine Musik, bei der die Improvisation eine wesentliche Rolle spielt und die damit auch sehr vom Moment abhängt.

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