«Nein, diesen Vorhang kann man nicht waschen»

Als ihre Tochter sich eine Fasnachts-Larve wünschte, begann Tami Komai am Küchentisch mit Papiermaché zu arbeiten. Heute macht sie Papierkunst, die man auch als Möbel brauchen kann. Oder umgekehrt.

«Origami? Nein, diese stereotypischen Vögel mache ich nicht.» Tami Komai sucht ihren eigenen Weg.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Als ihre Tochter sich eine Fasnachts-Larve wünschte, begann Tami Komai am Küchentisch mit Papiermaché zu arbeiten. Heute macht sie Papierkunst, die man auch als Möbel brauchen kann. Oder umgekehrt.

Beim Unterschied zwischen Kunst und Handwerk ist es so eine Sache: Mancher Handwerker verflucht die Unterscheidung, mancher Künstler besteht darauf. Bei der Papierdesignerin Tami Komai weiss man wirklich nicht, ob man im Atelier einer Künstlerin oder einer Handwerkerin steht.

Die 68-Jährige arbeitet in einer kleinen Kammer in der Ziegelei in Oberwil. Vor dem Fenster steht ein Arbeitstisch, an der Decke darüber hat Komai einen Draht gespannt, an dem zwei grosse Papierbögen befestigt sind. Sie wirken durchsichtig, doch je nachdem, wie das Licht durchscheint, erkennt man schwaches Rosa und Blau. Komai hat das Japanpapier mit mehreren Lackschichten bemalt, unter die sie ein bisschen Farbe gemischt hat. «Damit die Schichten sichtbar werden», sagt sie.

Ab ans Fenster

An der Wand hängen zwei drahtige Kleiderbügel, daran ein Gehänge aus Papierstreifen in pastellfarbenem Blau, Gelb, Orange und Weiss. Komai hat die Streifen mit einem Japanmesser geschnitten, gefärbt und zusammengenäht.



Vorhang? Raumtrenner? Kunst? Hauptsache, schön.

Vorhang? Raumtrenner? Kunst? Hauptsache, schön. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Was ist das?

Es ist, was man daraus macht. «Man kann das als Bild aufhängen», sagt Komai. «Oder ans Fenster als Vorhang.» Klar, wenn man Kinder habe, müsse man aufpassen, dass sie nicht daran reissen. «Aber wenn man sie genug hoch montiert, ist das kein Problem.»

Komai selber möchte «Künstlerin» genannt werden, dabei lacht sie leise und verschliesst ihren Kittel über der Brust. Sie ist klein und macht grosse Gesten, ihre Papierbilder nimmt sie mit festem Griff von der Wand, man ist erstaunt, dass sie das aushalten. 



Tami Komais Kinder erinnern sich, wie ihre Mutter in der Küche stand, mit einer Hand bei der Spaghettisauce und einer bei ihrem Papier, und sagte: «Jetzt nicht.»

Tami Komais Kinder erinnern sich, wie ihre Mutter in der Küche stand, mit einer Hand bei der Spaghettisauce und einer bei ihrem Papier, und sagte: «Jetzt nicht.» (Bild: Alexander Preobrajenski)

Komai ist in den USA aufgewachsen. Für ihre Ausbildung als Grafikerin folgte sie ihrem Bruder nach Basel. Hier blieb sie hängen, wegen der Liebe und «weil Basel so offen ist».

Als Grafikerin arbeitete Komai allerdings nie: «Ich wollte nicht in die Werbung, sondern selber bestimmen, wie ich arbeite, welche Farben und welches Material ich wähle.» Stattdessen fertigte sie Steppdecken, bis sie schwanger wurde. «Ich nähte immer am Boden, mit hochrotem Kopf – alles Blut floss mir in den Kopf. Irgendwann ging das einfach nicht mehr mit dem Bauch.» Komai hörte auf.

Schachteln, Teelichter, Schmuck

Das Kind kam, dann ein zweites. Nach sechs Jahren zu Hause merkte Komai, dass sie mehr brauchte. «Ich wollte etwas Kreatives nur für mich machen, aber von zu Hause aus, so dass ich bei den Kindern sein konnte.»

Eines Tages wünschte sich ihre Tochter eine Larve für die Fasnacht. Komai setzte sich an den Küchentisch und machte eine aus Papiermaché. «Da merkte ich: Das ist es, das will ich machen», sagt Komai. «Also, nicht Fasnachtslarven, sondern Papierhandwerk.»

Von da an sass sie stundenlang in der Küche und schuf Schalen, Schachteln, dann Teelichter und Schmuck. Vom Papiermaché kam sie zum Kalkpapier, Drachenpapier, experimentierte mit Zeitungspapier und zuletzt auf Plan- und Japanpapier, mit denen sie bis heute arbeitet. 




Könnte ein Rollo sein. Oder einfach Kunst. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Sie fing an, ihre Sachen zu verkaufen, etwa an der Designmesse in and out in Aarau, und kürzlich an der Spezialitätenmesse Authentica in Basel. Das lief gut, doch irgendwann wurde es Komai ein bisschen langweilig: «Ich wollte eine Challenge.» Wenn Komai ein deutsches Wort nicht findet, sagt sie es auf Englisch.

Die Herausforderung kam, und zwar, als sie eingeladen wurde, in der Schmuckwerkstatt von Regula Freiburghaus auszustellen. Die Designerin macht Schmuck aus Pflanzen. Komai hatte damals zwar schon begonnen, künstlerische Bilder zu machen, doch ihre geometrischen Schnittmuster wollten nicht zu Freiburghaus‘ organischen Formen passen.

Also probierte Komai etwas aus: Sie hängte einen Bogen Papier auf, nahm ihr Japanmesser und fing an zu schneiden, ohne Plan, einfach drauflos und in Kurven. «Ich merkte, wow, das geht, ich kann freihandschneiden.»




Manchmal müssen es Rundungen sein.  (Bild: Alexander Preobrajenski)

 

Es folgten Ausstellungen in Galerien und bei Ramstein Optik. Allerdings ist es nicht ganz einfach, Papierdesign zu verkaufen. «Teelichter sind kein Problem, aber schon beim Schmuck haben die Leute Angst, dass das Papier reisst, das ist schon frustrierend», sagt Komai. 

Sie trägt selber eine ihrer Ketten aus gedrehten Papierstreifen um den Hals. Die Kette ist so eng, dass sie ziemlich ziehen muss, um sie über den Kopf zu ziehen – sie hält. 

Papier hält sogar Wut aus

Doch die Leute beklagen sich, dass sie damit nicht unter die Dusche können. Komai versteht das nicht ganz: «Ich gehe ja schliesslich auch nicht mit einer Seidenbluse joggen.» Dasselbe gelte für ihre Vorhänge und Raumtrenner. «Die Leute klagen, dass man sie nicht waschen kann. Nein, meine Vorhänge kann man nicht waschen, aber das ist bei vielen Gebrauchsgegenständen so.»  

Sowieso, Papier sei viel stabiler, als man denke. Das hat sie gemerkt, als sie einmal danebenschnitt. Darüber regte sie sich so auf, dass sie das Papier zerknüllte. Risse gab es keine, dafür aber feine Muster im Papier.

Komai gefiel’s. Sie begann, Japanpapier absichtlich zu zerknüllen, mit Faden kleine Knöpfe zu machen und diese einzufärben. Wenn man sie auftrennt, gibt es kleine Blumenmuster, ein bisschen wie bei den Batik-T-Shirts, aber schöner:




Knopf machen, einfärben, aufmachen, und zack, gibts ein schönes Blüamli. Das nennt sich Shibori. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Alles Japan, oder was?

Diese Technik nennt sich «Shibori» und kommt aus Japan. Komai benutzt Japanpapier, ein Japanmesser und eine japanische Technik. Ob das mit ihrer Herkunft zu tun hat? Man kommt fast nicht umhin zu fragen. «Nein», sagt Komai bestimmt. Sie versuche gezielt, sich von japanischen Traditionen wie etwa Origami zu distanzieren. «Ich möchte kein Klischee sein, sondern meinen eigenen Weg entwickeln.»

Ihre Grosseltern sind zwar aus Japan und in die USA ausgewandert. Aber Komai kennt nur die vier «wichtigsten» Wörter auf japanisch: Kino, Polizei, Geld, Geschenk.

Für ihre Zukunft hat die Künstlerin Komai einen «Pipe dream», einen «Traum», der wieder sehr klar in die Kategorie Gebrauchsgegenstand geht: Sie möchte eine Lampe machen, zusammen mit einem Freund. «Er macht das Elektrische, ich den Lampenschirm.» Aus Kalkpapier, natürlich. Und bestimmt nicht waschbar.

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